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Unsere heutige Ökonomie rechnet falsch, entscheidende Faktoren werden ausgeblendet.

Von Adelheid Biesecker

Die jüngste Finanzkrise schien auch Männer in den Chefetagen von Banken und Großunternehmen zum Nachdenken zu bringen - aber schon gilt wieder: business as usual. Mehr noch: „Jetzt geht die Party erst richtig los" - so betitelte „Die Zeit" kürzlich einen Artikel über die Hedgefonds. Deren Boom beginne jetzt erst. Die mehr als 10.000 Hedgefonds verwalten schon wieder mehr als 1,8 Billionen Dollar - so groß ist etwa das Bruttosozialprodukt von England. Und die dazugehörenden Bilder zeigen Männer - Männer mit Anzug, Fliege oder Krawatte, ein Sektglas in der Hand. Männer in Feierlaune. Das bestätigt den Eindruck, den die vielen Bilder der vergangenen Monate - Bilder von Krisenverursachern und Krisenbewältigern, von Erfolgreichen und Gescheiterten - bei mir hinterlassen haben: Das Geschlecht der Finanzkrise ist männlich - und das der Gegenstrategien und Reformvorschläge ist es auch.

Aber es mehren sich die Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen langfristiger denken, mit Risiken vorsichtiger umgehen und eine Vielzahl von Einflussfaktoren in ihren finanziellen Handlungen bedenken. Und so geht auch schon der Ruf um, Frauen sollten die Welt retten, zumindest die Finanzwelt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) zum Beispiel wünscht sich Frauen in die Führungsriegen der Finanzinstitute. Und im Weltwirtschaftsforum von Davos wurde vor einem Jahr laut darüber nachgedacht, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn „Lehman Brothers" „Lehman Sisters" gewesen wären.

Die Frauen als Rettungsschirm für die Finanzmärkte? So einfach nicht, denn es geht nicht um einen Austausch der Akteure durch Akteurinnen, sondern um einen Wandel des Systems.

Der Kern des Problems liegt in dem heutigen Verständnis von Wirtschaft: Wirtschaften geschieht an, für und koordiniert über Märkte - anderes zählt nicht. In diesem Konzept von Ökonomie werden die lebendigen Grundlagen (Naturproduktivität und Produktivität der sozial weiblichen Care-Arbeit) abgetrennt. Mit ihnen wird maßlos und sorglos umgegangen. Ökonomie ist „entbettet", aus ihrem sozialen und ökologischen Bett herausgelöst.

Diese Trennungsstruktur ist hierarchisch - geschlechtshierarchisch: Was an Märkten geschieht (dort agiert der sogenannte homo oeconomicus: Er handelt rational, indem er seinen Gewinn oder Nutzen maximiert, lebt und handelt ohne soziale Beziehungen, ist allein mit sich, seinem Geld und der Güterwelt und konkurriert am Markt mit seinesgleichen), ist öffentlich, sichtbar, gilt als wertvoll, die dort geleistete Erwerbsarbeit als Wert schaffend und deshalb zu bezahlen. Die Care-Ökonomie dagegen gilt als privat, unsichtbar, nicht wertvoll, die hier geleistete Sorge-Arbeit als nicht Wert schaffend und daher nicht zu bezahlen. In den guten Positionen des Marktes agieren vor allem Männer, während die Care-Arbeit (sowohl als bezahlte Erwerbsarbeit als auch als unbezahlte Hausarbeit) bis heute größtenteils Frauensache ist. Männer managen oben, Frauen sorgen unten.

Wenn wir uns noch so sehr bemühen, im Rahmen dieses ökonomischen Systems maßvoll und sorgsam zu handeln, es wird nicht gelingen: weil das, was umsorgt wer-den muss - die Produktivitäten der Mensehen (auch und gerade in der Care-Ökonomie) und der Natur - gar nicht im ökonomischen Blick ist, in den ökonomischen Rechnungen nicht vorkommt. Diese Ökonomie rechnet daher falsch! Ernst Ulrich von Weizsäcker hat gefordert: „Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen" - ja, und die soziale auch. Nötig sind lebenserhaltende Preise und Löhne. Löhne ermöglichen Leben, sie sind Lebensmittel, nicht nur Kostenfaktor.

Das falsche Rechnen setzt sich auf gesamtwirtschaftlicher Ebene fort: Im Sozialprodukt werden nur die in Geld bewerteten Güter und Dienstleistungen der Marktökonomie erfasst. Die Leistungen der Care-Arbeit kommen nicht vor, ebenso wenig wie die der Natur. Und auch die Kosten, die diese Bereiche zu tragen haben, werden nicht berechnet. Dennoch gilt das Sozialprodukt als Wohlfahrtsmaß, sein Wachstum als Wohlfahrtssteigerung. Als Maß für Lebensqualität oder „gutes Lesen" taugt es aber nichts - wie auch nicht als Maß für die ökologische Qualität des Wirtschaftens. Und als Maß für ökonomisches Wachstum ist es richtig falsch: Alternative Wohlfahrtskonzepte wie zum Beispiel der Genuine Progress Indicator, die diese Leistungen und Kosten erfassen, zeigen: Wenn auch das in Geld ausgedrückte Sozialprodukt noch steigt, so wachsen wir doch schon lange nicht mehr!

Dieses enge Verständnis von Ökonomie, dieses falsche Rechnen wirken auf das nicht Erfasste zerstörerisch. Daher rühren viele soziale und ökologische Krisen. Wollen wir zukunftsfähig werden - das heißt, wollen wir auch zukünftigen Generationen ein gutes Leben auf der Erde ermöglichen - so kommt es aber gerade auf das Erhalten an, das Erhalten (und dabei Erneuern) der sozialen und natürlichen Grundlagen unseres Wirtschaftens. Ein neues Konzept dafür heißt Vorsorgendes Wirtschaften. Seine Prinzipien lauten: Vorsorge statt Nachsorge, Kooperation statt Konkurrenz, Orientierung am für das gute Leben Notwendigen statt an Wachstumsraten. Vernünftiges Wirtschaften ist hier fürsorgliches Wirtschaften. In dieser Wirtschaftsweise gibt es keine Rechtfertigung für geschlechtsspezifische Zuordnungen und Abwertungen mehr. Abwertungen und Werte-Hierarchien sind ein Hindernis für die Gestaltung des Neuen. Denn hier werden gleiche Erfahrungen, Kommunikation über Werte, Diskurse über den für alle unbekannten Weg hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft gebraucht - das ist nur auf der Basis eines paritätischen Geschlechterverhältnisses möglich.

Adelheid Biesecker, geboren 1942 in Berlin, ist emeritierte Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen. Sie gehört dem wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland an.

Weser Kurier vom 30.01.2011

 

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