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Deutscher Verfassungsrechtler zum Streit um die Mohammed-Karikaturen

Satirische Kritik muss erlaubt sein

Dieter Grimm: Aber wenn eine Religion verächtlich gemacht wird, kann der Staat zum Eingreifen verpflichtet sein

Dieter Grimm, 68, ist einer der einflussreichsten deutschen Staatsrechtler. Von 1987 bis 1989 war er Richter am Bundesverfassungsgericht; zahlreiche Urteile zur Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit tragen seine Handschrift. Seit fünf Jahren ist Grimm Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs. Derzeit lehrt er an der Yale Law School in New Haven (USA).
Interview: Heribert Prantl
SZ: Ist es verwerflich, wenn Gläubige ihren Glauben verteidigen, wenn sie die Achtung der Grundüberzeugungen ihres Glaubens verlangen?

Grimm: Nein, es ist im Gegenteil normal. Sie können aber nicht ihre Glaubensüberzeugungen über den Kreis der Glaubensgemeinschaft hinaus verbindlich machen.

SZ: Zeigt sich in^der Wut und Raserei gegen die Mohammed-Karikaturen ein spezifisch muslimisches Problem?

Grimm: Wir sollten kein zu kurzes Gedächtnis haben. Im christlichen Europa sind um religiöser Wahrheitsansprüche willen Kriege geführt, Ketzer verbrannt und Bücher verboten worden. Es hat Zeit gebraucht, bis Glaubenstreue mit Toleranz vereinbar wurde. Allerdings kommt der Toleranz die wachsende religiöse Indifferenz in Europa entgegen, aber auch eine Einstellung zu heiligen Texten, die nicht Buchstabentreue verlangt. Von beidem sind islamische Gesellschaften derzeit weiter entfernt als westliche, wenngleich auch im Westen Gegenbewegungen zu beobachten sind, in Amerika allerdings stärker als in Europa.

SZ: Um welche Verfassungsgrundsätze geht es in dem Streit? Auf der einen Seite steht die Religionsfreiheit, steht die Religion; auf der anderen Seite die Meinungs- und die Pressefreiheit. Wie wägen Sie ab, was wiegt schwerer?

Grimm: Keines dieser Grundrechte geht dem anderen von vornherein vor. Beide sind gleichrangig, und beide haben ihre Wurzel in der Menschenwürde. Im Konfliktfall muss also ein Ausgleich gesucht werden, der beiden Grundrechten möglichst gerecht wird. Was am Ende den größeren Schutz verdient, kann nur im Blick auf den konkreten Fall festgestellt werden. Welche Einbuße erlitte die Religionsfreiheit, wenn die Pressefreiheit die Oberhand behielte und umgekehrt? In solchen Abwägungen sind die Verfassungsrechtler aber geübt. Abwägung ist ihr tägliches Geschäft in den verschiedensten Grundrechtskonflikten.

SZ: Bleiben wir also beim täglichen Geschäft: Der Karikaturist, der Mohammed ein Gesicht gibt - muss er sich, um das tun zu dürfen, auf die Pressefreiheit oder soll er sich auf die Meinungsfreiheit berufen?

Grimm: Das ist eine schöne Frage fürs juristische Staatsexamen. Es hängt aber nicht viel davon ab, weil beide im selben Artikel gewährleistet sind und denselben Schranken unterliegen. Unbezweifelbar ist jedoch, dass - spielte sich dies in Deutschland ab - Karikaturist und Zeitung Artikel 5 Grundgesetz auf ihrer Seite hätten. Die Frage ist nur, wo diese Freiheit an die Grenzen stößt, die sich aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit ergeben. Diese Grenzen können nicht schon darin liegen, dass ein religiöses Bilderverbot von der Presse nicht beachtet worden ist. Auch der Staat ist nicht verpflichtet, ein solches Gebot einer Religionsgemeinschaft allgemein verbindlich zu machen. Religiöse Normen gelten nur innerhalb der Religionsgemeinschaft. Wohl aber hat der Staat eine Pflicht zum Schutz der Religionsfreiheit. Er muss sie nicht nur selber respektieren, sondern auch vor Störungen durch Dritte bewahren. Angesichts der gleichrangigen Garantie der Meinungs- und der Pressefreiheit tritt dieser Fall aber nicht schon bei einer Religionskritik ein, auch nicht bei einer satirischen. Wenn es um Herabsetzung und Verächtlichmachung geht, kann das anders sein. Wir haben zum Beispiel eine Vorschrift, die die Religionsbeschimpfung unter Strafe stellt.

SZ: Auf Sie geht das Soldaten- und Mörderurteil zurück, das den Gebrauch des bekannten Tucholsky-Zitats für straflos erklärt. Sie waren der zuständige Sachbearbeiter des Gerichts in Marksteinurteilen, bei denen die Pressefreiheit ein starkes Gewicht bekam und der Persönlichkeits- und Ehrenschutz zurückstecken musste. Viel zu sehr, wie Kritiker meinen. Sie wären auch Sachbearbeiter beim so genannten Kruzifix-Urteil. Haben Sie Anlass zur Selbstkritik?

Grimm: Nein. Auch das Tucholsky-Zitat ist seinerzeit ja nicht vorbehaltlos erlaubt worden. Die Strafgerichte wurden lediglich angehalten, genau zu prüfen, ob durch den konkreten Text Soldaten der Bundeswehr persönlich beleidigt wurden oder ob es sich um eine, wenn auch scharfe, Verurteilung von Militarismus und Kriegsdienst und der damit verbundenen Tötung von Menschen handelte. Das Bundesverfassungsgericht ist stets um einen angemessenen Ausgleich zwischen den beiden Grundrechten bemüht gewesen. Der Persönlichkeits- und Ehrenschutz stand dabei keineswegs auf verlorenem Posten. Von dieser Linie ist das Gericht bis heute nicht abgewichen.

SZ: Die Globalisierung, die Grenzenlosigkeit der Information, die ubiquitäre Zugänglichkeit von Meinungen und Karikaturen im Internet, auch dann, wenn Letztere nur in regionalen Zeitungen veröffentlicht worden sind - erfordert das ein neues Nachdenken über die Grenzen der Pressefreiheit?

Grimm: Diese Entwicklungen vermehren die Möglichkeiten kultureller Konflikte, weil Texte oder Bilder, die im heimischen Kulturkreis unanstößig sein mögen, mit der Grenzüberschreitung eine andere Bedeutung erlangen können. Das zeigt der dänische Fall besonders eindringlich. Die Entwicklungen ändern aber nicht die Maßstäbe für die Lösung der Konflikte. Information und Meinungsbildung durch die Medien können nicht davon abhängig gemacht werden, dass sich in der zusammengerückten Welt irgendwo jemand möglicherweise in seinen religiösen Gefühlen verletzt fühlt. Die Funktion der Presse käme dann in einem öffentlich wichtigen Bereich schnell zum Erliegen. Wohl aber muss dafür gesorgt werden, dass die Standards sorgfältiger Recherche, wahrheitsgemäßer Berichterstattung, fairer Behandlung gewahrt bleiben. Daneben gibt es natürlich noch Gebote des Taktes und Geschmacks, die jenseits rechtlicher Bestimmung liegen.

SZ: Erfordert nicht schon die Multikulturalität in Deutschland und Europa eine neue, noch sensiblere Auslegung der Grundrechte?

Grimm: Die Grundrechte müssen sich in der sozialen Realität verwirklichen. Ändert sich die Realität, kann das ein verändertes Verständnis der Grundrechte erfordern. Das Freiheitsziel der Grundrechte bleibt davon freilich unberührt. Deswegen muss man gut unterscheiden. Wir kommen heute häufiger mit Religionen oder religiösen Strömungen in Verbindung, die nicht nur einen Wahrheitsanspruch erheben, das tut das Christentum ja auch, sondern auch andere dieser Wahrheit unterwerfen wollen, was das Christentum mittlerweile aufgegeben hat. Hier kann es keine Konzessionen geben. Die Religionsfreiheit erlaubt, dass man für seine Religion wirbt. Sie erlaubt nicht, dass man sie anderen aufzwingt. Wir begegnen aber auch zunehmend auf dem Territorium des eigenen Staates Religionen, die an ihre Gläubigen Verhaltensanforderungen 'Stellen, die bei uns nichts mit Religion zu tun haben. Kleidungs- und Speisevorschriften sind ein Beispiel dafür. Dennoch genießen sie auch bei uns den Schutz der Religionsfreiheit, und wenn sie mit einheimischen Gesetzen nicht vereinbar sind, muss geprüft werden, ob das Grundrecht der Religionsfreiheit einen Dispens verlangt. Das ist ein Bereich, in dem die Grundrechtssensibilität noch wachsen kahnn. wir vertragen eine gute Portion Andersartigkeit, jedenfalls solange nicht Dritte Schaden nehmen oder fundamentale Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung berührt sind.

SZ: Es heißt, es sei weltweit eine Revitalisierung des Glaubens zu beobachten. Brauchen wir also auch eine Revitalisierung des Schutzes der Religion?

Grimm: Diese Revitalisierung hat schon stattgefunden. Religionsfreiheit war in der Bundesrepublik zu einem weithin konfliktfreien Grundrecht geworden. Der Kruzifix-Streit bildete eine seltene Ausnahme. Das hat sich durch die wachsende Bedeutung von Religion und die vermehrte Koexistenz verschiedener Religionen auf engem Raum geändert. Religionsfreiheit ist konfliktreicher geworden, und die Konfliktlinien verlaufen anders als früher. Das Grundrecht ist wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Meines Erachtens ist es aber den neuen Konflikten gewachsen, auch wenn sie bei Erlass des Grundgesetzes 1949 noch nicht vorhersehbar waren.

SZ: Was kann denn in solch einem Konflikt das Recht überhaupt leisten? Kann ein Gericht mehr tun, als die Hände zum Himmel zu heben und zu sagen: Leute, seid friedlich?

Grimm: Das ließe ich lieber den Pastor sagen. Das Recht kann nicht den Konfliktstoff beseitigen. Es kann aber den Konflikt in zivilisierte Bahnen lenken, die Verwendung unfriedlicher Mittel untersagen. Das fällt freilich einem Recht leichter, das sich von der Religion emanzipiert hat, ihr zwar Freiheit zusichert, aber nicht ihre Gebote mit den Mitteln der Staatsgewalt vollstreckt. Insofern wird viel davon abhängen, ob diejenigen Stimmen im Islam sich Gewicht verschaffen können, die keinen Widerspruch zwischen ihrer Religion auf der einen und Demokratie und Menschenrechten auf der anderen Seite sehen.

SZ: Die Strafbarkeit der Verunglimpfung von Religion ist an die Tatsache geknüpft, dass dadurch der öffentliche Frieden gestört wird. Ist das nicht, wie der jetzige Papst, gesagt hat, eine Aufforderung zum Faustrecht?

Grimm: Der Straftatbestand verbot ursprünglich die Gotteslästerung. Vor 35 Jahren wurde er auf den Schutz des öffentlichen Friedens umgestellt, soweit dieser durch die Beschimpfung von Religionen gestört wird. Der Gebrauch der Faust wird damit nicht gerechtfertigt. Er ist allemal strafbar. Ich vermute, dass man auch der Militanz unter Berufung auf den öffentlichen Frieden Herr werden kann, ganz krassen Fällen mit dem strafrechtlichen Verbot der Volksverhetzung.

SZ: Das deutsche Strafrecht kennt besondere Verbote im antisemitischen Bereich. Wer den Holocaust leugnet, wird bestraft. Ist es womöglich so, dass dieser Sonderrechtsschutz Muslime diskriminiert und provoziert?

Grimm: Hier werden nicht zwei Religionen verschieden behandelt. Der besondere Schutz gegenüber der Holocaust-Leugnung erklärt sich aus der besonderen Verfolgung, der die jüdische Bevölkerung in Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten im Dritten Reich wegen ihrer Rasse^ausgesetzt war. Für Nachkriegsdeutschland ist daraus eine besondere Verantwortung für die hier lebenden Juden erwachsen, die schon durch die Duldung von Leugnungen der Verfolgung und Auslöschung in Frage gestellt wird und bei den Betroffenen die Furcht erneuter Bedrohung begründen kann. Ein vergleichbares Schicksal haben Muslime nicht erlitten. Sie werden also auch nicht diskriminiert, wenn ihnen - wie allen anderen - kein solcher spezifischer Schutz zusteht.

SZ: Allenthalben wird nun Huntingtons Satz vom „Kampf der Kulturen " zitiert. Zu Recht?

Grimm: Unleugbar ist, dass sich durch die wachsende Mobilität und die modernen Kommunikationstechniken die Reibungsflächen zwischen verschiedenen Kulturen vergrößert haben. Dieselben Entwicklungen erhöhen aber auch das wechselseitige Verständnis. Dafür gibt es ebenso viele Zeugnisse wie für die Konflikte. Es wäre auch falsch anzunehmen, dass sich die verschiedenen Kulturen wie monolithische Blöcke unversöhnlich gegenüberstehen. Die heutigen Kulturen sind ihrerseits das Produkt zahlreicher grenzüberschreitender Austauschprozesse, und sie sind in sich vielgestaltiger und veränderlicher, als oft angenommen. Daran lässt sich anknüpfen. Der Kampfbegriff verschleiert das.

SZ: In Deutschland wird über eine Leitkultur debattiert, an die sich die Ausländer im Land halten müssten. Ist es Teil der Leitkultur, Beleidigungen der eigenen Religion schlucken zu müssen?

Grimm: Ich halte den Begriff der Leitkultur nicht für glücklich gewählt, weil darin ein Führungs- und Überlegenheitsanspruch mitschwingt, der die so bezeichnete Kultur über andere erhebt. Es liegt dann nicht fern, dass im Fall eines Widerspruchs zwischen der Leitkultur und anderen Kulturen deren Verhaltensanforderungen, Symbole, Lebensstile weichen müssen. Etwas anderes ist es, dass das Zusammenleben in einer politischen Einheit die Einigung auf bestimmte Grundprinzipien verlangt, die nicht zur Disposition stehen. Insoweit kann es auch aus Gründen der Wahrung kultureller Identitäten keinen Rabatt geben. Zu diesen Grundprinzipien gehört es nicht, dass Religionen folgenlos beleidigt werden dürfen. Es gehört aber wohl dazu, dass über Religionen frei gesprochen und religiös motivierte Gewalt verurteilt werden darf. Die Grenze ist nicht immer leicht zu ziehen. Aber das ist kein Grund, sie völlig zu verwischen.

SZ: Der bayerische Innenminister Günther Beckstein stellt die Frage, ob der Koran verfassungswidrig ist. Ist vielleicht auch die Bibel verfassungswidrig?

Grimm: Verfassungswidrig können nur Akte der deutschen Staatsgewalt sein. Soweit ich weiß, ist weder der Koran noch die Bibel von der Bundesregierung geschrieben worden.

Süddeutsche Zeitung vom 14.02.2006 

 

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