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Ungleichheit und Terror

Von Ivan Nagel

Das siegreiche Ende des Irak Krieges wurde von Präsident Bush am 1. Mai 2003 verkündet. Von Juni bis August schien der Widerstand im Irak fast unbedeutend. Im September, wenige Wochen nach Erscheinen dieses Aufsatzes, ließ er sich nicht mehr übersehen. Zählt man Tote und Verwundete seither monatlich zusammen, sind die Verluste der US Armee im ständigen Steigen. Die Zahl ihrer Ermordeten seit Kriegsende ist (zur Jahreswende 2003/04) dreimal so hoch wie die Zahl ihrer Toten im Krieg.

Sind aber die Attentate im Irak überhaupt einer täglichen, bald panischen, bald hämischen Berichterstattung wert? Insgesamt starben im Krieg und in den Kriegsfolgen etwa 500 Amerikaner. Die Zahl der toten Iraker (Soldaten, Partisanen, Zivilisten) wird wechselnd auf 20.000 und 50.000 geschätzt.

Er will endlich vorbei sein. Der Irak-Krieg sucht wie eine aufgestörte Ratte, sich mit irrer Eile in die Vergangenheit zu fressen. Es gelingt ihm nicht. Der Sieg, mit dem Kriege sonst enden, hält diesmal fest: die hassgeteilte Erdkugel und unser schockhaft erschüttertes Bewusstsein vom begonnenen Jahrhundert. Verwirrung, Misstrauen, Furcht ordnen sich unter dem Schlaglicht der beiden Fragen, die vor dem 11. September fast keiner, im Afghanistan Krieg schon mancher zu denken begann und die sich heute jedem aufzwingen: Wie werden wir leben unter der Dominanz eines einzigen Staates, der mit unvergleichlichen Machtmitteln und stupender Anmaßung herrschen will und herrscht? Und: Werden sich Herrschaft und Terror ausschließen oder ergänzen?

1.

Anderthalb Jahre hat es gebraucht, das Gefüge des Politischen und unser regulierendes Bild von ihm umzustoßen. Zwischen Oktober 2001 und März 2003 waren die USA laut Umfragen (ob in Deutschland oder in der Türkei) von »unserem besten Freund« zur »größten Gefahr für den Frieden« abgestürzt. Ein weiterer Stoß und Sturz dürfte noch schmerzlicher werden. Mit dem veränderten Begreifen der äußeren Welt ändert sich auch das Selbstverständnis unzähliger Einzelner. Ihnen könnte, was »Terrorismus« heißt, nicht mehr als Wahn und Verbrechen vorkommen, sondern als schlüssiges Bekenntnis: eine Ethik des Widerstands, so gottesfromm wie realitätsgerecht.

»Der Irak Krieg zeugt tausend Osama bin Ladens.« Staatschef Mubarak warnte mit schlotternder Stimme davor, was Diplomaten, Juristen, Politikforscher in Ost und West lange voraussagten: Amerika gewinnt; und sein Triumph wird die Anschläge von Seattle über Fès bis Djakarta vermehren. Schneller noch als die Zahl der Terrorakte drohen Selbstgefühl und Ansehen der Terroristen zu wachsen. Keinem IRA oder ETA Mörder war es gelungen, sich zum universalen Vorbild aufzuwerfen. Polizisten aus dem Hinterhalt zu erschießen, Richter von Autobomben zerreißen zu lassen, erschien nicht nachahmenswert. jetzt aber häutet sich, nicht nur für anderthalb Milliarden Moslems, der lokale Verbrecher zusehends zum allgemeinen Helden.

Das Pew Institut für Meinungsforschung in Washington stellte Probanden aus 21 Nationen Ende Mal die Frage, von welchen vier Staatsmännern sie glaubten: »Sie tun das Richtige.« Bush steht an erster Stelle nur in Israel, an zweiter (nach Blair) in den USA und Kanada, an dritter in Nigeria; Scharon an dritter in Israel und den USA. Dagegen: Arafat ist Erster in Indonesien und der Türkei, Zweiter in Palästina, Dritter in Pakistan und Marokko. Der erste Platz in Palästina aber, der zweite in Pakistan, Marokko, Jordanien, der dritte in Indonesien gehören Osama bin Laden. Zwingen wir die Tatsache in unsere Köpfe: Hunderte Millionen Menschen wählen Osama oder Arafat zu ihrer politischen Leitfigur. Sie haben Vertrauen zum Terror. Nur zum Terror haben sie Vertrauen. Diese Regierung der Vereinigten Staaten, die ein Unglück für die Welt ist, hat der Welt durch zwei Kriege eine Deutung aufgedrängt: Das Wesen der Beziehung zwischen Zivilisationen, Staaten, Menschen sei Ungleichheit. In Afghanistan sind bis zum Sieg sieben Amerikaner umgekommen: Drei stürzten durch eine Panne ihres Hubschraubers ab; drei wurden von der eigenen Truppe abgeschossen; der siebte, ein CIA Agent, begab sich unter eine Masse von Gefangenen und wurde gelyncht. Tausendmal so viele Afghanen starben im Krieg (ein effizienteres Täter/Opfer Verhältnis als im World Trade Center), noch mehr durch die Folgen. Die ähnliche Disproportion im Irak Krieg wirkt aber ungleich krasser; denn seine Einsichtigkeit und Rechtmäßigkeit sind ungleich schwächer.

Worauf zielen Schaffung und Zurschaustellung eines exorbitanten Machtgefälles? Furcht bahnt den Weg zur Alleinherrschaft. Gegen die USA einen Krieg zu wagen, soll heißen: Selbstmord begehen. Dem Terror beliebt es aber, Ideen und Waffen seines Feindes umzudrehen: Nur als »Aufstand der Selbstmörder« gewinnt er eine Chance gegen Amerikas »Krieg ohne Tote«. Wut und Witz dieser Umdrehung, Perversion, werden einen wachsenden Teil der Menschheit faszinieren. Die grässlichsten Attentate mögen dabei nicht einmal im Alltagselend des Iraks geschehen (seit Kriegsende durchschnittlich 13 Überfälle am Tag, 3oo GIs tot oder verletzt). Im fernen Marokko oder Indonesien kann die Lehre noch verführerischer erglänzen: zerrissene Eingeweide gegen perfekte Maschinen.

Der Kriegsverlauf im Irak geriet zur puren Beweisführung von Ungleichheit im Namen egalitärer Demokratie. Der Terrorist verhöhnt die Fiktionen der Gleichheit. Der Ungleichheit dankt er nicht nur die suizidale Strategie, sondern seine Ethik: Pflicht des Ohnmächtigen, den Mächtigen zu vernichten. Kann aber Mord durch Selbstmord Kants »Grundgesetz aller Ethik« erfüllen: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne«? - Ja: Denn der neue Terrorist ist aus dem verworfen Partikulären ins Allgemeine (aus der Zelle ins TV Manifest) hervorgetreten. - Nein: Denn der Weltbürgerkrieg, dem er sich verschrieb, kennt keine »allgemeine Gesetzgebung« mehr; sondern, »jederzeit«, zwei entgegengesetzte Gesetze.

Situation und Ethik greifen in Krisen wie Frage und Antwort ineinander: Der gespaltenen Welt scheint nur eine gespaltene Ethik angemessen. Dem Einen müsste sogar jedes Gebot als unwahr gelten, das ebenso für den Anderen gilt. Doch selbst die Spaltungssucht des Terrors verkehrt nur zerrspiegelbildlich jene Spaltung der Menschheit in Gut und Böse, die sein Feind feierlich erklärt hat: »Either you are with us, or you are with the terrorists.« Bush und bin Laden einigen sich auf diesen Satz als Glaubens und Arbeitsgrundlage. Gut und Böse scheiden sie mittels christlich moralischen Universalismus, islamischschriftfrommen Partikularismus. Doch beider Gewissheit, Selbstrechtfertigung, löst sich in Lüge auf.

Bushs Universalie »Freiheit« maskiert das Teilinteresse amerikanischer Marktbeherrschung; bin Ladens Partikularwahrheit »Widerstand« dient totalitärer Taliban-Theokratie. Der Irak Krieg hat jetzt schon ein doppeltes Unheil bewirkt. Er hat die Ethik des Mächtigen zu Gewinngier und Gewaltshow degradiert; und das Verbrechen des Ohnmächtigen zur Ethik aufgewertet. Staatsmacht macht sich verwandt mit Sektenterror, da sie das Fundament mit ihm teilt: weltweite Ungleichheit. Nach Tagen und Monaten, in denen Politiker Reden wie heuchlerische Propaganda tönten, überzeugt nur noch der rüde Zynismus des Farcendichters Ustinov: »Terrorismus ist der Krieg der Armen; Krieg ist der Terrorismus der Reichen.«

2.

Was heißt »Ungleich« in der Machtpraxis was im Rechtsverständnis? Die USA unterhalten Stützpunkte in vierzig Ländern. Sie werden 2004 einen Wehretat von 400 Milliarden Dollar (ohne Kriegsfolge und Besatzungskosten) haben: mehr als die achtzehn auf sie folgenden Länder so Russland, China, Japan, Indien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland zusammen. Die Vereinigten Staaten gründeten sich 1776 im Namen der »Selbständigkeit und Gleichheit der Völker«. Können sie noch für dieses »natürliche und göttliche Recht« einstehen und maßlose Mittel aufwenden, um sich über die Gleichheit und Selbständigkeit aller anderen zu erheben? Die drei Systemstützen der Neuen Strategie vom 17. September 2002 sind drei Privilegien, mit denen die USA sich aus dem Kreis der Völker und ihres gemeinsamen Rechts verabschieden: Vollmacht zum Präventivkrieg; Vertragsfreiheit in der Atomrüstung; Immunität gegen das Internationale Strafgericht. Befragen wir sie der Reihe nach.

Erschrockene Völkerrechtler malen sich aus, was geschähe, wenn Indien gegen Pakistan (oder China gegen Indien) sich einen Präventivkrieg anmaßte. Sie unterschätzen Bushs »National Security Strategy«. Das Recht auf Strafüberfälle gegen selbsterwählte Feinde hat Amerika allein. Wie Macht Recht schafft und abschafft, beginnt sich hier abzuzeichnen. Denn die Empfehlung von Präventivkriegen tauchte zuerst in jener »Defense Planning Guidance« auf, die Rumsfelds heute engster Mitarbeiter WOH0W1tZ 1992 für den damaligen Kriegsminister, heutigen Vizepräsidenten Cheney entwarf: Ziel von Rüstung und Politik der USA sei, ihre mit dem Zerfall der Sowjetunion gewonnene Welt Entscheidungskraft zu erhalten und (auch gegen Verbündete) auszuweiten. Darum sei es ratsam, dem Besitz atomarer, auch biologischer, chemischer Waffen durch andere Länder bei Bedarf mit Krieg vorzugreifen.

Atomrüstung ist der Hebel globaler Entscheidung. Bushs Kriegsvorwand, dem Irak Atomwaffen zuzuschreiben, war gefälscht seine Sorge um fremde Atomwaffen ist echt. Bei seinem Amtsantritt im Januar 200 1 kündigte er, sofort und einseitig, den »Anti-Ballistic-Missile-Treaty« mit der Ex UdSSR. Das ABM Abkommen verbot beiden Atommächten, um der gegenseitigen Abschreckung willen, jede umfassende Raketenabwehr. Drei Jahrzehnte lang wurde das, trotz Reagans Leidenschaft für »Star Wars«, in keinem der Rüstungsbegrenzungsverträge (ob SALT oder START) angefochten; bis Bush/Cheney/Rumsfeld es taten. Der Raketenschild über einem Land täuscht nur vor, defensiv zu sein. Ob technisch machbar oder nicht: Intentional heißt er, dass Amerika mit Atomwaffen angreifen, aber nicht angegriffen werden kann. Das Pentagon gewönne so das Atombombenmonopol der Zeit von Hiroshima zurück. Dem A-Waffenverbot gegen Kleinstaaten, non-proliferation, obläge dann nur noch, Amerikas Stützpunkte (und Truppenaufmärsche zu neuen Präventivkriegen) im fernen Ausland zu schützen.

Amerikas politisch militärische Führer setzen sich mit ihrer Bereitschaft zu Angriffskriegen stets einem Prozess als »Verbrecher gegen den Frieden« aus. Sie haben die besten schlimmsten Gründe, dem Internationalen Strafgerichtshof die Anerkennung zu verweigern. Gegen dessen Römische Statuten stimmten 1998 nur sieben Staaten: USA, Irak, Libyen, Israel, Katar, Jemen, China. Clinton unterschrieb dennoch die Statuten; Bush annullierte (einmalig bei einer UN Konvention) seines Vorgängers Unterschrift. Sodann haben die USA alle ihre Behörden, auch Gerichte, durch Bundesgesetz verpflichtet, auf keine Weise mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten. Im August 2002 wurde der Präsident ermächtigt, US Staatsdiener, falls vor das Internationale Gericht gestellt, mit Waffengewalt zu befreien. Diesen »Servicemens' Protection Act« nennen Mitglieder des Kongresses »im Spaß« (laut CNN): »Gesetz zum Überfall auf Den Haag«.

Ermächtigung zum Präventivkrieg; Perfektionierung der Atomabwehr; Nichtanerkennung des Internationalen Gerichts: Schon ihr bisheriger Gebrauch enthüllt mit bizarren Widersprüchen, dass sie auf Ungleichheit, zwischenstaatliche Rechtlosigkeit zielen. In umgekehrter Folge:

  1. Die USA zwingen Rest Serbien, alle Kriegsverbrecher an Den Haag auszuliefern bis dahin bleibt ihre zugesagte Finanzhilfe gesperrt.

  2. Eine Verzichterklärung auf atomaren Erstschlag sei »unüblich«, ließ Rumsfeld vor dem Irak Krieg wissen; auch arbeite man (beim Besitz von über 10.000 Sprengköpfen) an »neuen, kleinen A-Spezialwaffen«

  3. Die Irak Prävention wurde mit zwei Täuschungen begründet: Der Feind habe einsatzfähige Massenvernichtungswaffen; er sei dabei, sie an Terroristen weiterzugeben. Bush hält bis heute daran fest, der Irak habe seine ABC Waffen so gut versteckt, dass er sie auch im Notfall nicht wieder finden konnte. Oder aber: Hussein habe sie besessen und (trotz Todesdrohung für Sich, seine Familie, sein Regime) nicht eingesetzt. Würde ihm Amerika dafür nicht endlosen Dank schulden und Norwegen den Friedens Nobelpreis?

3.

Ein einziges Argument reicht aus, um Amerikas Politik der Ungleichheit zu rechtfertigen: Übermacht gehört zu jeder Staatsgewalt, Ordnungsgewalt, die Verbrecher verfolgt. Bushs Amerika versteht sich im Kampf gegen den Terror als eine Art Weltpolizei gegen eine Art Weltmafia. Eine simple Wahrheit begründet diesen Auftrag: Das Morden begann ja nicht mit der Afghanistan Vergeltung, nicht mit der Irak Willkür, sondern mit den Verbrechen am 11. September. Keiner würde Schlagkraft und Effizienz der Polizei in der Bekämpfung von Kriminalität beanstanden - zu Recht dagegen ihre Ineffizienz.

Die Löcher dieses Arguments zeigen sich nach beiden Seiten: beim »Polizisten« und beim »Verbrecher«. Der Weltpolizist Amerika erklärte gleich bei seinem ersten strittigen Einsatz, dem Irak Krieg, dass er sich weder einer Weltlegislative (den Vereinten Nationen) noch einer Weltexekutive (dem Sicherheitsrat), noch einer Weltjustiz (dem Internationalen Strafgericht) unterstellt. Der Ordnungshüter agiert in seinem Revier Erdkugel ohne Bindung an eine Verfassung. Schafft er so einen Weltrechtsstaat oder einen Weltpolizeistaat?

Die weltweite Wahrung von Ruhe und Ordnung einem Einzelstaat zu übertragen, wäre stets ein Fehler; keinem Staat bleibt das Dilemma zwischen Eigen und Weltinteresse erspart. Gerade die US Armee aber ist sogar innerstaatlich der Kontrolle ihrer Legislative enthoben: Der Kongress trat seine Befugnisse zur Irak Kriegserklärung schon im Herbst 2002 an den Präsidenten ab. Davor verschob der »Patriot Act« Rechte der Bürger und Kompetenzen der Justiz im »Krieg gegen den Terror« an den Generalstaatsanwalt, das Militär, die Bundespolizei: also ebenfalls ins Belieben des Präsidenten.

Amerikas Vorgehen im Irak Krieg bejahen heißt (wörtlich, nicht demagogisch): dem Präsidenten der USA universale Ordnungsgewalt, sprich, unkontrollierte Globalherrschaft anzuvertrauen. Giorgio Agamben hat Recht (FAZ, 19. April 2003): Da Bush einen langjährigen Krieg gegen den Terror voraussagt und propagiert, kommt seine »Stunde der Exekutive« einem Ausnahmezustand ohne Ende gleich. Er wird nicht über die USA, sondern über den Globus verhängt. Brachte aber der erste Versuch dieses Notstands, der Irak Krieg, überhaupt einen Sieg über »Verbrecher« und »Verbrechen«?

Es geht nicht an (zur Rechtfertigung dieses Krieges), die blutige Staatsherrschaft einer Diktatur mit der Staatsleugnung, Staatssprengung des Terrorismus zu verwechseln. Der Irak Krieg hat ein Land ohne Terror im strengen Wortsinn in ein Land täglichen Terrors verwandelt. Bush/Cheney/Rumsfelds Glaube, durch Angriffe auf »Verbrecherstaaten« den Terrorismus abzuwürgen, ist eine tödlich naive Illusion. Nicht weil man Al Capone keineswegs durch Bombardierung von Chicago überwand. Sondern weil die Demonstration amerikanischer Weltherrschaft niemals eine Bewegung beenden kann, deren Anlass und Zielscheibe eben Amerikas Weltherrschaft ist.

4.

Wir werden mit dem Terror leben müssen. Nur macht es viel aus, ob die Kandidaten für künftigen Terrorismus anderthalb Milliarden Menschen sind oder einige Freaks, die dem Irrenhaus oder dem Gefängnis entgingen. Die Ethik von Mord durch Selbstmord aber wird erst zusammenbrechen, wenn wir alles daransetzen, die Ungleichheit zu mindern, statt, wie Bushs Amerika, sie zu monumentalisieren. Und: Wir müssen mit dem Terror leben, ohne unsere Lebensformen selber zu zerstören. England hat den IRA Terror ohne Opferung des Rechtsstaats überstanden als es den irischen »Feind« anerkannte, statt ihn, wie Jahrhunderte lang, vergeblich auszuhungern, zur Auswanderung zu treiben.

Selbst wenn die böse Ungleichheit zwischen Völkern und Kontinenten abnimmt, wird bleiben: ihre Ungleichzeitigkeit. Der gleiche Raum Erde wird von Menschen geteilt, die in verschiedenen Ären leben. Die Differenz soll respektiert, nicht ökonomisch, militärisch niedergekämpft werden. Leben mit dem Terror muss heißen: Stärkung der regionalen Eigenkraft sittlicher, gesellschaftlicher Bindungen unter dem Vorbehalt allgemeinster Menschenrechte. Solange Globalisierung sich als Kappung solcher Bindungen zugunsten entgrenzter Marktwirtschaft versteht, wird sie den lästigen Begleiter Terror nicht loswerden. »Freie« Wirtschaft ohne erarbeiteten Gemeinsinn und Rechtsstaat zeugt (siehe Russland) eben die Kriminalität, die Amerika zu verfolgen meint: mafiose Herrschaftsnetze, Ausbeutung und Terror zugleich.

5.

In den Medien wie in der Politik Europas mehren sich die Stimmen: Die Gegner des Krieges sollen nun die Schäden des Krieges (und die zwölfjährigen Verwüstungen des Irak Boykotts) mit beheben. Ob aus Mitleid mit den armen Irakern oder den armen Amerikanern, ob mit oder ohne UNO Aufsicht dieses Vorgehen wäre aberwitzig. Es spielt sich als mutige Realpolitik auf und ist feiger Opportunismus. Mit ihm würden Schröder, Chirac und ihresgleichen all ihre Glaubwürdigkeit verschleudern: nicht nur in Deutschland und Europa, vom Nahen bis zum Fernen Osten sondern vor allem in Amerika.

Politik ohne Moral ist grundschlecht: nicht nur moralisch, sondern auch politisch. Wollten Frankreich, Deutschland (mit welchen Helmfarben auch immer) in die Rolle einer gehassten Besatzungsmacht einspringen, wäre das nicht nur würdelos, sondern auch schädlich. Nach innen: Sie zögen Attentäter auf sich und würden dann die eigenen Bürgerrechte (mit Sarkozy und Schily als unsere Ashcrofts) schnell und wirksam beschneiden. Nach außen: Ihre Anbiederung und Erniedrigung müssten bewirken, dass der Regierung und dem Volk Amerikas jede Lektion des verrückten Irak Kriegs erspart bleibt.

Falls Europa für Amerikas gefährliche und rechtswidrige Kriege die Guerillarisiken mitträgt und die Besatzungskosten mitzahlt dann kann und wird Bushs Regierung bald zum nächsten Krieg blasen. Die Herrscher des mächtigsten Volkes müssen lernen, dass selbst Amerika es nicht vermag, allein über die Welt zu bestimmen. Und: Das tüchtigste Volk der Gegenwart muss erkennen, dass es sein Lebensinteresse ist, seine jetzigen Herrscher möglichst bald loszuwerden. Das Volk ist, wenn Umfragen nicht trügen, auf dem Weg zu dieser Erkenntnis. Wie kämen wir dazu, uns hier einzumischen?

Von den Kriegsgründen ist nichts übrig geblieben als der »Enthauptungsschlag« gegen Iraks Regime ähnlich dem, den Al Qaida gegen das Pentagon und das Weiße Haus plante. Amerikas Anmaßung, jede ihm nicht passende Regierung auszuwechseln (gewählte Herrscher wie Mossadegh, Allende, Arafat oder Gewaltherrscher wie Hussein) sie könnte nicht nur verwerflich sein. Doch leider versäumen die USA, die beiden Regierungschefs abzulösen, die weltweit am meisten für die Ausbreitung des Terrorismus tun: Ariel Scharon in Jerusalem, George W. Bush in Washington. Bush und Scharon, Scharon und Bush: Sind sie Osama bin Ladens beste Agenten?

Das Falschwörterbuch - Krieg und Lüge am Jahrhundertbeginn, Berliner Taschenbuch Verlag 2004, Seite 70 - 82

 

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