Gaebler Info und Genealogie

Home neu • Genealogie • Christoph Gäbler • Hannelore  Schwedes • Indien • Ökumene • Politik • Bildung • Kunst • Was noch? • Privat • Kontakt • Suchen
 

Terror
Dokumentation
Dokumente 1
Dokumente 2
Dokumente 3
Dokumente 4
Osama Bin Laden
Terrorismusgeist
Rechtsdemontage
Autoritäre Versuchung
Terror + Gegenschläge
Ungleichheit + Terror
Islam-Staat in Europa
Islamkritik
Dalai Lama
Israel - Libanon
Irakischer Widerstand
Dear Mr. Bush

Der Terrorist als Gesetzgeber

Wie westliche Regierungen den Rechtsstaat demontieren

Von Herbert Prantl

Der Guerillero besetzt das Land, der Terrorist besetzt das Denken. Den islamistischen Terroristen ist es in kürzester Zeit gelungen, das Denken der westlichen Welt zu erobern. Die Terroristen sind nach dem 11. September nicht, wie befürchtet, in Atomkraftwerke und Wasserversorgungsanlagen eingedrungen; nicht dort haben sie Unheil angerichtet und Verderben über das Land gebracht. Sie tun es auf andere, subtil-gefährlichere Weise: Sie haben sich der Schaltzentralen der westlichen Demokratien bemächtigt, sie beherrschen die Apparate und Braintrusts, in denen Recht produziert wird; sie verseuchen den Geist der Gesetze. Überall, in Washington, London, Paris und Berlin, werden vergiftete Paragrafen und Gesetzesartikel produziert.

Die rechtsstaatlichen Grundprinzipien werden geopfert, die Strafverfolgung verkommt zur Inlandsspionage. Die bisherigen Fundamentalgewissheiten sind nicht mehr gewiss: Die Öffentlichkeit des Strafverfahrens. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst. Die alsbaldige Kontrolle von Verhaftungen und sonstigen Grundrechtseingriffen durch unabhängige Richter. Das Recht auf Akteneinsicht. Das Recht auf freie Wahl eines Verteidigers. Die öffentliche Beweisführung. Der Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten. Die Gleichheit vor dem Gesetz. Das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden. Der Grundsatz des fairen Verfahrens. Weltweit wird damit begonnen, all das unter Vorbehalt zu stellen. Der Vorbehalt lautet: Der rechtsstaatliche Katalog ist schön und gut - aber nur solange er die Bekämpfung des Terrorismus nicht behindert.

Am weitesten geht dabei bisher die Bush-Regierung. Die Fahndungs-, Justiz- und Einwanderungsbehörden, so hat es in den USA Justizminister John Ashcroft angekündigt, werden "mobilisiert und unter Kriegsbedingungen reorganisiert". Die Trennung von polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungen ist praktisch aufgehoben, das Abhören von Telefonen kinderleicht geworden. 1200 Araber sind in Gefängnissen festgesetzt, ohne dass sich jemand dazu erklärt, was ihnen vorgeworfen wird. 5000 arabische Muslime wurden verhört, gegen die hauptsächlich die Erkenntnis vorlag, dass es sich um arabische Muslime handelt. Die Grundsätze des aufgeklärten Strafverfahrens stehen unter Kriegsvorbehalt, das heißt: Verdächtige Ausländer bleiben ohne Anklage inhaftiert, falls der Justizminister "eine Gefahr für die Sicherheit der Nation" ausmacht. Wer in den Dunstkreis des Terrorismus gerät, ist nahezu vogelfrei. Vogelfrei - das war im Mittelalter der friedlose Straftäter, über den die Reichsacht verhängt war. Niemand durfte ihn unterstützen, beherbergen, ernähren, er war aus der Rechts- und Friedensgemeinschaft ausgeschlossen, der Verfolgung durch jedermann preisgegeben. Letztmals im Jahr 1698 hat in Deutschland das Reichsgericht zu Wetzlar offiziell die Reichsacht verhängt. In den USA ist sie wieder eingeführt: Acht, Bann und Rechtlosigkeit für verdächtige Ausländer.

Per präsidialer Order hat Bush es ermöglicht, vermeintliche Terroristen und deren Helfer von geheimen Militärtribunalen aburteilen zu lassen, die der Verteidigungsminister einsetzt und die tagen können, wo immer sie wollen: Im Pentagon, in einer afghanischen Höhle oder auf einem Schiff im Pazifik. Es richten Offiziere in Uniform, und für ein Todesurteil reicht es, wenn zwei der drei Offiziers-Richter die Schuld für erwiesen halten. Rechtsmittel gibt es nicht. Terroristen hätten den Schutz durch die US- Verfassung nicht verdient, erklärt US-Vizepräsident Dick Cheney. Es handelt sich bei alledem um die amerikanische Variante der Scharia. Oliphant, der beliebteste Karikaturist des Landes, setzt dem Justizminister deshalb einen Turban auf und nennt ihn "Mullah Ashcroft". Ähnlich ist es in England: Ausländer sollen, wenn Polizei oder Geheimdienste sie terroristischer Verbindungen verdächtigen, beliebig lange festgehalten werden können - wenn nur der Innenminister die Verfügung alle sechs Monate bestätigt. Das widerspricht nicht nur dem Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern auch der englischen Magna Charta aus dem Jahr 1215. Und überall werden solche Gesetze in jagender Hast verabschiedet.

In Deutschland haben vor 33 Jahren Hunderttausende von Menschen gegen die Notstandsgesetze demonstriert. Die Sicherheitspakete des Jahres 2001 verdienen diesen Namen wirklich. Sie gelten nicht, wie damals, für einen ungewissen, in der Zukunft liegenden Fall. Sie gelten unmittelbar, sofort und ohne Eintritt einer weiteren Bedingung. Was im Kampf gegen die RAF begonnen wurde, wird mit diesen Gesetzen offensiv fortgesetzt. Der Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy hat vor einer Woche bei der Sachverständigen- Anhörung im Innenausschuss des Bundestages anschaulich beschrieben, wie die Sicherheitsgesetze das deutsche Recht verändern: "Es geht nicht primär um die Verfolgung begangener Straftaten. Es geht auch nicht um die Verhinderung einzelner krimineller Handlungen. Vielmehr geht es um die Etablierung eines Frühwarnsystems bei der Erkennung auch weiter entfernter Risiken." Dabei werden freilich Mittel und Methoden angewandt, wie sie bisher nur gegen Verdächtige erlaubt waren. "Es entsteht", so konstatiert Gusy, "die Notwendigkeit eines hohen Maßes an Überwachung für ein relativ geringes Maß an Ertragschancen". Das betrifft, zum Beispiel, den Bank- und Telefonverkehr: Den Terrorfahndern wird erlaubt, freihändig hineinzugreifen - wobei als Terror auch jede irgendwie geartete Förderung und Unterstützung gilt.

In den USA soll der Tatbestand des Terrorismus schon dann erfüllt sein, wenn "durch Einschüchterung oder Zwang das Verhalten der Regierung beeinflusst wird oder wenn gegen Maßnahmen der Regierung zurückgeschlagen wird". Wenn dies so Gesetz wird, kann der Staat auch gegen aktivistische Tierschützer, Greenpeace oder Globalisierungs-gegner vorgehen. In den neuen deutschen Sicherheitsgesetzen funktioniert das schon - wenn es gegen Ausländer geht: Da reichen Vermutungen, da reicht ein vager Verdacht, da werden Fälle allgemeiner Kriminalität mit Terror gleichgesetzt - die Folge: Ausweisung und Abschiebung.

Als 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands vom Bundesverfassungsgericht verboten worden war und im Anschluss Zehntausende von Strafverfahren gegen echte und angebliche Kommunisten geführt wurden, wies der damalige Stuttgarter Generalstaatsanwalt Richard Schmid warnend darauf hin, worin das "Wesen einer Diktatur" bestehe: "Die Abwehr ihr feindlicher Tendenzen" verlegt sie vor, nämlich "in Rechtssphären, die in einem freien Staat durch Individualrechte gesichert" seien. Und "gerade diejenige Staatsform" sei "die vollkommenste Diktatur, die diese Vorverlegungen am vollkommensten" zustande bringe. Derzeit herrscht in den Staaten des Westens ein Wettlauf, der in diese Richtung geht.

Daher war es nicht abwegig, als der Berliner Juraprofessor Martin Kutscha im Innenausschuss des Bundestages davon gesprochen hat, dass die deutschen Geheimdienste durch die neuen Gesetze "eine Kompetenzfülle erhalten", die sie in die Nähe der Geheimdienste totalitärer Staaten rückten. Was bisher nur Staatsanwaltschaft und Polizei durften, dürfen künftig auch Geheimdienste. Maßnahmen, die bisher nur gegen Verdächtige zulässig waren, sind jetzt auch gegen Unverdächtige statthaft. Der Rechtsstaat gibt die Unterscheidungen auf, auf die er bisher stolz war.

Die Geschichte kennt viele Beispiele für Opferkulte, die ein Unglück abwenden sollten: Es gab Menschenopfer, Gabenopfer, Sühneopfer, Speise- und Brandopfer. Opfern: das bedeutete, auf etwas zu verzichten, was hernach schmerzlich vermisst wurde. Die westlichen Demokratien opfern ihre Rechtsgrundsätze. Aber ihre Politiker machen dabei nicht den Eindruck, als würden sie diese schmerzlich vermissen.

Süddeutsche Zeitung vom 08.12.2001

 

 onmousedown="ET_Event.link('Link%20auf%20www.gaebler.info',