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Dokumentation 4 nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001

Inhalt


Wenig Sicherheit, kaum Strom - Die politische und wirtschaftliche Lage im Irak ist weiter höchst labil - was auch am Unvermögen der Besatzer liegt

Von Heiko Flottau

Es ist erst wenige Tage her, da glaubten die amerikanischen und britischen Besatzer des Irak für einen Augenblick, sie dürften Hoffnung schöpfen. Da legte das angesehene Forschungsinstitut Oxford Research International die Ergebnisse einer groß angelegten Umfrage vor, die es im Auftrag der BBC, der ARD und anderer Fernsehanstalten zum ersten Jahrestag des Irak-Krieges durchgeführt hatte. Die Mehrheit der Iraker beurteilt demnach ihre persönliche Situation positiv - und ist zufriedener als vor dem Kriegsbeginn. Zwar brachte die Befragung auch zweischneidige Einstellungen zu Tage: So begrüßten die meisten Befragten zwar den Sturz Saddam Husseins - fast die Hälfte wünscht sich aber auch für die Zukunft "einen starken Führer" an der Spitze des Landes. Und bei aller Freude über die "Befreiung" sorgen sich die meisten weiter vor allem um ihre Sicherheit. Insgesamt aber zeigte die Umfrage ein positives Bild der Lage in dem kriegsgeplagten Land.

Doch der Hoffnungsschimmer wurde kurz darauf schon wieder ausgelöscht. Der Anschlag auf das Hotel Mount Lebanon, bei dem am Mittwoch fast 30 Menschen starben, und der Tod zweier arabischer Fernsehjournalisten durch versehentlichen amerikanischen Beschuss in der Nacht zum Freitag untermauerte eine These, die der frühere UN-Chefwaffeninspektor Hans Blix so formuliert: die Invasion des Irak habe die Region polarisiert und die Bedrohung durch den Terrorismus verstärkt. Tatsächlich hat sich die von US-Präsident George W. Bush immer wieder vorgetragene These, durch den Sturz Saddam Husseins habe Osama bin Laden einen Verbündeten verloren, als falsch erwiesen. Im Gegenteil: Das Machtvakuum im Irak hat es den "ausländischen Kämpfern" der al-Qaida und anderer Terrorgruppen erst ermöglicht, in den Irak einzusickern und die Besatzungstruppen, mehr und mehr aber auch die Iraker selbst zu terrorisieren. Von "Mission Accomplished" ("Mission erfüllt"), wie Bush am 1. Mai vergangenen Jahres nach kaum sechs Wochen Krieg auf dem Flugzeugträger "Abraham Lincoln" vor jubelnden Truppen verkündete, kann ein Jahr nach dem ersten Angriff auf Bagdad kaum die Rede sein.

Auch politisch ist die Bilanz ein Jahr danach eher durchwachsen. Auf der Habenseite ist sicher die "Vorläufige Verfassung" zu verbuchen. Sie garantiert fürs Erste die Grundrechte, legt die Basis für eine Zivilgesellschaft und für demokratische Wahlen. Auch vor plötzlicher Einkerkerung und Folter braucht niemand mehr Angst zu haben - es sei denn, er gerät ins Visier amerikanischer Fahnder, die nach al-Qaida-Anhängern suchen.

Unterm Strich aber sind nur wenige politische und wirtschaftliche Fortschritte zu verzeichnen. Das liegt vor allem an den Kardinalfehlern, die die Besatzer in der Stunde Null und in den ersten Wochen ihrer Herrschaft gemacht haben - und die bis heute nachwirken. Zunächst überließen Amerikaner und Briten Bagdad den Plünderern, vermutlich auch, um sie von größerem Widerstand gegen die einrückenden Truppen abzuhalten. Museen, Archive, Bibliotheken, Galerien, Universitäten wurden ausgeraubt - das historische Gedächtnis einer gesamten Nation wurde eliminiert.

Der zweite Fehler war die - ideologisch - begründete Auflösung der irakischen Armee. Fälschlicherweise glaubten die Besatzer, das Militär sei eine Säule der Herrschaft von Saddam Hussein gewesen. Tatsächlich war es eine ganz normale Armee von Wehrpflichtigen, die, wie der Krieg gezeigt hatte, keine sonderlichen Anstrengungen machte, das Regime zu verteidigen. Die Sicherheit im Irak wäre heute weit besser - und die Kooperationsbereitschaft der Iraker womöglich weit größer -, wenn die Armee intakt geblieben und von Amerikanern und Briten mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung beauftragt worden wäre.

Ein weiterer Fehler der Besatzer war, Exiliraker ins Land zurückzuholen und mit wichtigen politischen und administrativen Aufgaben zu betrauen. Diese Oppositionspolitiker hatten im Ausland jeglichen Kontakt zu ihrer Heimat verloren und werden deshalb von kaum einem Iraker akzeptiert. Verhassteste Figur im heutigen Irak ist Ahmed Chalabi, der aus London gekommene Vorsitzende des "Irakischen Nationalkongresses". In Jordanien wird er wegen Unterschlagung von Geldern gesucht, in Bagdad umgibt er sich mit einer eigenen Miliz, den so genannten "Free Iraqi Forces".

Ebenso prekär ist, dass der von den Besatzern eingesetzte "Irakische Regierungsrat" ausschließlich nach ethnischen und religiösen Kriterien zusammengesetzt ist. Dem Irak könnte so das Schicksal des alten Jugoslawien drohen, das auseinander fiel, weil seine Regierung und Verwaltung nach ethnischen Gesichtspunkten gebildet wurden, politische Professionalität aber außen vor blieb. Der "Irakische Regierungsrat" jedenfalls gilt schon jetzt bei den meisten Menschen im Land als korrupt und inkompetent; auch ihn nimmt niemand wirklich ernst.

Das größte Unvermögen der Besatzer aber zeigt sich in den Kleinigkeiten des Alltags: Ein Jahr nach Kriegsende haben viele Iraker noch immer nur für einige Stunden am Tag elektrischen Strom. Warum, so fragen sich viele, bringt es die führende Industriemacht der Welt nicht fertig, in einem Jahr Elektrizitätswerke und Telephonzentralen wieder herzurichten. Dafür gibt es einen einfachen, recht traurigen Grund. Die Kraftwerke sind überwiegend von Russland, Frankreich und Deutschland gebaut. Doch diese Kriegsgegner sind durch die Sieger vom Wiederaufbau des Landes weitgehend ausgeschlossen. Und so sehen viele Iraker auch ein Jahr nach Kriegsbeginn weiter in eine dunkle Zukunft.

Süddeutsche Zeitung vom 20.03.2004


Patrioten trauern nicht - Auch nach den Bomben bleiben Kritiker in der Pflicht

Von Judith Butler

Manch einer in der amerikanischen Linken meint jetzt, die Vereinigten Staaten sollten sich ihrer Verantwortung als Besatzungsmacht stellen und in Irak für Recht und Ordnung sorgen. Doch darf man nicht vergessen, dass die oberste Pflicht einer Besatzungsmacht darin besteht, die Besatzung zu beenden.

Im Falle Iraks heißt das für die USA, unverzüglich gemeinsam mit den Vereinten Nationen den Übergang zu einer internationalen Schutztruppe zu erarbeiten, die nicht nur den gesetzlichen Schutz von Menschen und Sachen wiederherstellt, sondern sukzessive die Notwendigkeit jeglicher amerikanischer Militärpräsenz überflüssig macht. Wenn Irak selbstständig werden soll, muss eine internationale Institution den Übergang von der amerikanischen Militärbesatzung zur Demokratie gewährleisten.

Es ist entsetzlich, dass die USA jetzt Aufträge zum Wiederaufbau Iraks vergeben, als befände sich dieses Land nunmehr in ihrem Privatbesitz. Und es ist entsetzlich, dass Aufträge an Firmen gehen, die mit Richard Cheney und anderen Regierungsmitarbeitern einträgliche Verbindungen unterhalten. Auch wenn die USA für die Wiederherstellung der irakischen Infrastruktur aufkommen sollen, ja müssen, haben sie keinen wie auch immer gearteten Anspruch darauf, von der Verwüstung zu profitieren, deren Urheber sie sind. Ihre Zahlungen sollten als "Reparationszahlungen" behandelt werden, die durch Institutionen internationalen Rechts zu verwalten wären, also höchstwahrscheinlich den Internationalen Strafgerichtshof oder den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, wobei von irakischer Seite ernannte Vertreter als Prozessbeteiligte teilnehmen sollten.

Natürlich besteht wenig Aussicht, dass sich die Regierung Bush einem solchen Vorgehen fügen würde; schließlich hat sie ja schon unter Beweis gestellt, dass ihre Verachtung internationalen Rechts und anderer Formen internationaler Solidarität durchgängig und konsequent ist. Sie verweigerte die Anwendung der Genfer Konventionen im amerikanischen Militärstützpunkt und Gefangenenlager Guantanamo Bay, verweigerte den Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof, brach den ABM-Vertrag und betrachtete die Vereinten Nationen als entbehrliches "Werkzeug", während sie damit beschäftigt war, einen Vierten Weltkrieg wahrscheinlicher zu machen.

 

Mit "Die-Ins" in die Öffentlichkeit

Es entsetzt mich auch, amerikanische Soldaten in den Verschnaufpausen von ihren Tötungstouren Baseball spielen zu sehen oder zu sehen, wie sie unmäßig lange Trauerfeiern für einen ihrer gefallenen Kameraden abhalten, während Tausenden getöteten Irakern keine Trauerzeremonie zuteil wird. Und während ich, wie wir alle, zutiefst beunruhigt darüber bin, wie wenig effektiv Plünderungen und kriminelle Gewalttaten durch die US-Streitkräfte eingedämmt wurden, halte ich es gleichwohl für falsch, längerfristig eine ausgedehnte Übernahme von Polizeifunktionen durch das Militär zu fordern. Genau dafür gibt es schließlich internationale Friedenstruppen. Es ist an der Zeit, dass die Vereinigten Staaten eine schnelle und effektive Übergabe an diese internationalen Einrichtungen organisieren, um die vollständige militärische Besetzung Iraks mit Besitzansprüchen auf Rohstoffe, Arbeit und Profite zu verhindern, die derzeit droht.

Neben einer Beendigung der Besatzung und einem raschen Übergang zu internationaler Friedenssicherung bleibt es entscheidend, dass die amerikanische Linke in ihren öffentlichen Bekundungen von Trauer und Bedauern nicht nachlässt. Die "Die-Ins" in Boston vor einigen Wochen waren überaus wirkungsvolle Aktionen und vermochten es sogar, die "Nachrichtensperre" zu durchbrechen, der die meisten Demonstrationen in diesen Tagen zu unterliegen scheinen.

"Die-Ins" sind eine Erfindung der achtziger Jahre, damals als Zeichen des Protests gegen die Weigerung der Regierung, Gelder für die Erforschung von HIV und Aids zur Verfügung zu stellen - spektakuläre Aktionen auf offener Straße, die die tödlichen Folgen der Untätigkeit der amerikanischen Regierung symbolisierten: Große Gruppen von Menschen brechen mitten auf der Straße zusammen, während andere die Umrisse ihrer Körper mit Kreide auf den Asphalt zeichnen; Umrisse, die zurückbleiben, nachdem Polizisten all diese scheinbar leblosen Körper weggetragen haben, als brächten sie die Toten fort. "Die-Ins" erinnern aber auch an die Toten, bringen sie ins "Leben" zurück, in den öffentlichen Diskurs, vor unsere Augen, als so viele tote Körper, die nicht vergessen werden können und nicht vergessen werden dürfen.

 

Rendezvous mit McCarthy

Und nun ist es durch eine US-Regierung wieder zu massiven Verlusten an Menschenleben gekommen, denen die USA einen irrealen Charakter verleihen wollen. Wir sollten die toten Iraker öffentlich betrauern und darauf drängen, dass öffentliche Plätze der Ort sind, wo der Wirklichkeit dieses Verlusts gedacht wird. Die Bildberichterstattung gleitet rasch über die Realität des von den USA verursachten Todes hinweg. Sie säubert den Horror. Es ist, als riskierten die amerikanischen Medien, würden sie die Bilder zeigen, dass Sympathie für das irakische Volk entsteht und die amerikanische Regierung in ihrer Blutrünstigkeit bloßgestellt wird. Die Funktion von "Die-Ins" besteht darin, an die Wirklichkeit dieser Morde zu erinnern und darauf zu bestehen, dass diese Leben Anerkennung finden und dass die amerikanische Aggression unannehmbar bleibt.

In diesen Tagen geht eine offene und öffentliche Trauer über die von den Vereinigten Staaten getöteten Menschen das Risiko ein, "unpatriotisch" genannt zu werden, als setzte man das Land herab oder drücke gar Solidarität mit seinen Feinden aus, indem man Verantwortung für das Blutbad übernimmt, das es angerichtet hat. Die amerikanische Presse bringt nur handverlesene Fotos von Todesopfern, stellt nur äußert knapp dar, wie Menschen starben - etwa die sechzig Zivilisten auf einem Markt in Bagdad vor drei Wochen - und geht später nicht mehr auf das Geschehen ein, verfolgt es einfach nicht weiter. Man hat den Eindruck, investigativer Journalismus sei an sich schon zu einem "unpatriotischen" Umtrieb mutiert.

Diese Art von Patriotismus lebt davon, die Folgen des amerikanischen Angriffs nicht zu sehen und nicht zu kennen. Noch die Szenen, die Iraker beim Plündern von Regierungsgebäuden und Museen zeigten, wurden von Donald Rumsfeld kritisiert, weil sie die Aufmerksamkeit vom Plot der "Befreiung" ablenkten, der ja die amerikanische Gewalt begründen soll. Journalisten, die öffentlich Zweifel an der US-Kriegsstrategie äußerten oder zu Formulierungen griffen, die nicht gänzlich vom Militär gebilligt waren, wurden öffentlich ihres Mangels an patriotischer Solidarität bezichtigt; einige verloren ihren Job.

Kritik und Meinungsfreiheit scheinen nicht länger Teil jener Idee von Demokratie zu sein, die hier "verteidigt" wird. Die Journalisten, Nachrichtensendungen, Zeitungen, die sich die Anschuldigung "unpatriotischen" Verhaltens zu eigen machen, handeln aus der Furcht heraus, man würde sie eines zu großen Verständnisses für "den Feind" bezichtigen, mithin mangelnder Unterscheidbarkeit vom Feind. Das ist genau der Gesinnungsterror, der die McCarthy-Prozesse der fünfziger Jahre auszeichnete.

Wen sollte es da noch überraschen, dass in Oregon eine Gesetzesvorlage eingebracht wurde, die in Antikriegsdemonstrationen einen Landesverrat erkennen will und all jenen mit Gefängnisstrafen droht, die das ausüben, was sie bislang für ihre in der Verfassung verankerte Redefreiheit hielten. Als die Verfassung außer Acht gelassen wurde, damit Bush die Präsidentschaftswahlen gewinnen konnte, wussten wir einfach noch nicht, dass sie binnen weniger Monate mit Füßen getreten würde.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Adrian.
Frankfurter Rundschau vom 22.04.03


"Das sind doch paranoide Slogans"

Zbigniew Brzezinski, Ex-Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter und graue Eminenz unter den amerikanischen Globalstrategen, sprach mit stern.de über Teherans nukleare Ambitionen und die Politik des selektiven Engagements

Herr Brzezinski, seit mehr als 20 Jahren soll der Iran an der Entwicklung von Atomwaffen arbeiten. Wann hat das Land die Bombe?

 In zwei bis drei Jahren wird das Land wohl in der Lage sein, Atomwaffen zu bauen.

Der israelische Sicherheitsberater Giora Eiland warnt, bereits im November erreiche der Iran den Punkt, von dem an es kein Zurück mehr gibt.

Ja, ja, das waren die gleichen Quellen, die uns einflüsterten, der Irak stecke voller Massenvernichtungswaffen. Und wir haben erlebt, wie gefährlich Demagogie bei diesem Thema sein kann.

Was passiert, wenn der Iran Atomwaffen hat?

Ich glaube, die Bedrohung, die dann vom Iran ausginge, wäre gar nicht so groß.

Das sehen die Regierungen in Washington und auch in Berlin ganz anders. Eine Atommacht Iran sei nicht hinnehmbar, heißt es.

Nehmen Sie doch die Atommächte Indien und Pakistan. All die Vorhersagen, dass es zwischen den beiden Ländern zum Krieg komme, haben sich bislang nicht erfüllt.

Wenn Atomwaffen tatsächlich den Frieden stabilisieren, warum ist dann die ganze Welt dagegen, dass der Iran die Bombe baut?

Der Iran ist ein wichtiges Land in einer Krisenregion, umgeben von Atommächten. Deshalb ist es nicht wünschenswert, dass er in den Besitz von Atomwaffen kommt.

Bisher ist Israel die einzige Atommacht im Nahen Osten, es soll rund 200 Atombomben besitzen.

Man kann verstehen, dass die Iraner überzeugt sind, genau diese Waffen haben zu müssen. Teherans nukleare Ambitionen sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass man dort über ein Mittel der Abschreckung verfügen will. Der Iran selbst ist ja kein notorisch aggressives Land. Wenn wir wirklich wollen, dass die iranische Führung unsere Besorgnis ernst nimmt, müssen wir auch Verständnis aufbringen.

Atombomben in den Händen fundamentalistischer Mullahs würden die Sicherheit der Welt bedrohen, heißt es aber bei Ihnen in Washington.

Das sind doch irrationale und paranoide Slogans. Diese Argumentation erinnert verdächtig an die Demagogie, die vor dem Irak-Krieg verbreitet wurde und mit der dann die Gewalt gerechtfertigt wurde.

Im Pentagon und in einigen Abteilungen des Außenministeriums ist aber schon wieder von "regime change" die Rede. Für Präsident Bush gehört der Iran zur "Achse des Bösen". Folgt auf den Sturz Saddams der "Regimewechsel" in Teheran?

Sicher gibt es hier Menschen, die dieser Idee anhängen. Nach seiner Wiederwahl mag Präsident Bush sich sogar dazu ermächtigt fühlen, den Kurs solcher Regimewechsel fortzusetzen - zumindest verbal.

Die USA werden doch jetzt schon in der arabischen und in der muslimischen Welt gehasst. Welche Folgen hätte so eine Politik?

Die gesamte Region droht gerade in Flammen aufzugehen. Aber mit jedem weiteren Tag im Irak wächst auch in Washington die Erkenntnis, dass eine Iranpolitik, die das Feuer weiter anfacht, sehr ernste Folgen hätte.

"Welche?

Im Irak und in Afghanistan beispielsweise könnte der Iran fundamentalistische Gruppen verstärkt unterstützen.

Wie kann der Iran dann gestoppt werden?

Teheran möchte sich alle nuklearen Optionen offen halten. Atomwaffen bedeuten auch Prestige. Doch wir dürfen uns niemals allein auf militärische Macht verlassen. Wir müssen ein wirklich ernsthaftes Engagement in dieser Frage zeigen.

Und wie soll das aussehen?

Ich nenne das die Politik des selektiven Engagements. Die USA sollten den ersten Schritt tun.

Die USA haben aber seit 25 Jahren Sanktionen gegen den Iran verhängt.

Dennoch - die USA sollten bereit sein, einen bilateralen Dialog mit Teheran zu beginnen. Es könnten ja zunächst informelle Gespräche sein. Dabei würde zunächst über die Sicherheitsinteressen beider Länder gesprochen werden.

Solche Gespräche sind in Nordkorea gescheitert, die UN-Atominspektoren wurden aus dem Land geworfen. Heute besitzt Nordkorea möglicherweise schon die Atombombe. Warum plädieren Sie nun auch im Fall des Iran für Appeasement, für eine Politik der Beschwichtigung?

Verwechseln Sie Engagement nicht mit Beschwichtigung durch falsche Zugeständnisse. Wir müssen Vertrauen und Respekt aufbauen. Und so weit sind wir noch lange nicht. Das letzte Urteil über das iranische Nuklearprogramm steht noch aus. Daher muss auch klar sein: Wir müssen uns eine militärische Option immer offen halten.

Welche Rolle spielt Europa in Ihrem Konzept? Der ehemalige Präsident Ali Rafsandschani verkündete vor wenigen Tagen, iranische Raketen könnten jetzt mehr als 2000 Kilometer weit fliegen und damit Europa erreichen.

Europa ist betroffen, es liegt näher am Iran als Amerika. Aber politisch existiert Europa immer noch nicht. Das ist ein Riesenproblem. Beim Thema Irak stand Großbritannien an der Seite der USA, die Spanier und Italiener kooperierten, Deutsche und Franzosen aber erhoben das Nicht-Engagement nahezu zum moralischen Gebot. Die EU-Länder können sich einfach nicht auf eine einheitliche Strategie einigen. Es ist also ziemlich egal, wer sonst noch Gespräche mit dem Iran führt - entscheidend ist, ob sich die USA engagieren.

Bis zum 25. November muss der Iran einen umfassenden Bericht bei den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA vorlegen. Außerdem soll Teheran auf Urananreicherung verzichten. Wozu das Ultimatum?

Glauben Sie mir, es wird nichts Dramatisches geschehen.

Deutschlands Außenminister Joschka Fischer aber fürchtet: "Wir könnten in eine ernste Situation geraten." Ist das übertrieben?

Was passiert denn, wenn der Iran die Forderungen einfach nicht erfüllt? Bricht dann einen Tag später der Krieg los? Zunächst käme der Iran vor den Sicherheitsrat. So wie vor knapp zwei Jahren auch der Irak, oder?

Vielleicht. Und was würde der Sicherheitsrat unternehmen? Eine Militäraktion beschließen?

Zunächst würden Sanktionen verhängt.

Das tun die USA schon seit 25 Jahren. Aber würde auch Europa mit seinen Handelsinteressen wirklich harte Sanktionen befürworten?

In den USA forderte der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry genau das: viel schärfere Sanktionen. Die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen sah er als größte Bedrohung für sein Land. Solche drakonischen Maßnahmen funktionieren nur, wenn alle mitmachen. Ich meine wirklich alle. Ich glaube, wir müssen uns an einen Tisch setzen und miteinander sprechen. Über Afghanistan, den Irak und vielleicht sogar auch über eine nuklearwaffenfreie Zone im Nahen Osten...

Die entsprechende UN-Resolution hat Israel erst gar nicht unterzeichnet.

In solchen Fällen kann man sich nur vorsichtig vortasten. Man kann niemandem eine Lösung aufzwingen.

Das Gegenteil passiert. Schon wird über einen israelischen Militärschlag spekuliert - so wie 1981, als israelische Kampfflugzeuge den Atomreaktor Osirak im Irak zerstörten, rechtzeitig, bevor Saddam Husseins Nuklearprogramm richtig in Gang kam. Und gerade hat Israel 500 Bomben in den USA bestellt, die unterirdische Bunker zerstören können.

Ein israelischer Militärschlag könnte nur mit amerikanischer Zustimmung erfolgen. Die israelischen Flugzeuge müssten über amerikanisch kontrollierten Luftraum fliegen. Eine israelische Aktion käme also politisch einer amerikanischen Militäraktion gleich.

Die iranische Führung behauptet ohnehin, sie halte sich exakt an den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen NPT. Der erlaubt die friedliche Nutzung von Atomenergie und verspricht sogar Hilfe bei der Beschaffung der Technik - wenn auf Nuklearwaffen verzichtet wird.

Der Vertrag kann sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Und einige doppeldeutige Paragrafen darin erlauben tatsächlich Tätigkeiten, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können. Das ist die Realität, leider. Aber das steht im Vertrag. Wir haben offenbar keine Alternative dazu.

Sollen die Europäer dem Iran wirklich nuklearen Brennstoff für dessen Atomkraftwerke liefern, falls Teheran auf militärische Programme verzichtet?

Es ist zu früh, um über solche Belohnungen zu sprechen. Doch wenn wir nicht wollen, dass der Iran eines Tages Nuklearwaffen besitzt, dann sollten wir dem Land Zugang zu Atomenergie gewähren. Noch viel wichtiger ist: Wir müssen den Iranern das Gefühl geben, dass sie sich sicher fühlen können.

Interview: Katja Gloger
stern.de vom 18.11.2004

Jean Baudrillard

"Frankreich ist nur ein Land, Amerika ist ein Modell."

Wie unüberbrückbar weit die Kluft zwischen französischen Intellektuellen und den amerikanischen derzeit ist, dokumentiert dieses Interview, das die Amerikanerin Deborah Solomon mit dem französischen Philosophen Jean Baudrillard geführt hat. Für Baudrillard, nach dessen berühmter Theorie "die Bilder der Medien mächtiger und wirklicher geworden sind als die Wirklichkeit selbst", ist Freiheit, aber auch der Einmarsch in den Irak nichts als eine Maskerade, ein Spiel. Sicher spricht Solomon heute den meisten amerikanischen Intellektuellen – von denen nicht wenige vor Jahren ja den Pariser Intellektuellen mächtig nacheiferten – aus dem Herzen, wenn sie Baudrillards "Sophistik" nun "ermüdend" findet.

Deborah Solomon: Monsieur Baudrillard, können Sie als einer der gefeierten Philosophen Ihres Landes uns erklären, was die jungen Leute in der Banlieue gegen den Rest der Nation aufbringt?

Jean Baudrillard: Es wird noch viel, viel schlimmer werden. Lange gab es so etwas eine relativ friedliche Koexistenz oder besser Kohabitation, aber meine Landsleute haben nicht allzu viel unternommen, um die muslimische Bevölkerung zu integrieren – das rächt sich jetzt. Frankreich hat sich immer als Einheit begriffen, doch dieses naturgegebene Selbstverständnis zerbricht gerade.

Solomon: Vielleicht war das ja unvermeidlich. Viele amerikanische Beobachter hat es jedenfalls sehr überrascht, als die französische Regierung religiöse Symbole wie Kopftücher aus den öffentlichen Schulen verbannte.

Baudrillard: Ja, die USA verfügen über eine lange Geschichte der Einwanderung. Ihre Bevölkerung setzt sich aus verschiedenen Ethnien zusammen, und, obwohl diese miteinander konkurrieren, ist und bleibt Amerika Amerika. Selbst wenn keine Amerikaner in den USA leben würden, gäbe es immer noch Amerika. Frankreich ist nur ein Land, Amerika ist ein Modell.

Solomon: Würden Sie sagen, dass Amerika für das Ideal der Demokratie steht?

Baudrillard: Nein, sondern für die Simulation von Macht.

Solomon: Mit 76 Jahren vertreten Sie immer noch Ihre Theorie über Simulation und Simulacren, derzufolge die Bilder der Medien mächtiger und wirklicher geworden sind als die Wirklichkeit selbst.

Baudrillard: All unsere Werte sind nur Simulationen. Was bedeutet Freiheit? Dass wir die Wahl haben, das eine Auto zu kaufen oder das andere. Das ist eine Schein-Freiheit.

Solomon: Folglich glauben Sie nicht daran, dass die US-Regierung in den Irak einmarschiert ist, um ihn zu befreien?

Baudrillard: Was wir beabsichtigen, ist, den Rest der Welt auf dasselbe Niveau von Maskerade und Parodie zu hieven, auf dem wir uns bewegen, also den Rest der Welt in ein Konstrukt zu verwandeln, auf dass die ganze Welt vollkommen künstlich wird. Dann besitzen wir eine allumfassende Macht. Es ist eine Art Spiel.

Solomon: Wen meinen Sie mit "wir"?

Baudrillard: Frankreich ist ein Nebenprodukt der amerikanischen Kultur. Wir alle sind ein Teil davon; wir sind globalisiert. Wenn Jacques Chirac zum Irak-Krieg Nein sagt, ist das eine Täuschung. Es soll suggerieren, dass die Franzosen eine Ausnahme darstellen, aber es gibt keine französische Ausnahmestellung.

Solomon: Dass Frankreich sich dagegen entschieden hat, Truppen in den Irak zu entsenden, hat jedoch sehr konkrete Folgen für zahllose Soldaten, deren Familien und für den Staat.

Baudrillard: So ist es wohl. Wir sind "gegen" den Krieg, weil es nicht der unsere ist. Amerika hat auch keine Soldaten geschickt, als wir in Algerien Krieg führten. Frankreich und Amerika sind also auf derselben Seite. Es gibt nur eine Seite.

Solomon: Ist das nicht die Sorte von Sophistik, deretwegen französische Intellektuelle so ermüdend wirken?

Baudrillard: Es gibt keine französischen Intellektuellen mehr. Was Sie französische Intellektuelle nennen, wurde von der Mediengesellschaft verschlungen. Die Intellektuellen reden im Fernsehen und in den Zeitungen, aber sie reden nicht mehr miteinander.

Solomon: Glauben Sie, dass es in den USA Intellektuelle gibt?

Baudrillard: Susan Sontag und Noam Chomsky haben wir als solche wahrgenommen. Aber das ist nur Ausdruck des französischen Chauvinismus. Wir betrachteten sie als unseresgleichen. Wir schenken dem, was von außen kommt, keine Beachtung. Wir akzeptieren nur das, was wir erfunden haben.

Solomon: Waren Sie mit Susan Sontag befreundet?

Baudrillard: Wir sahen uns von Zeit zu Zeit, aber das letzte Zusammentreffen war eine Katastrophe. Sie kam zu einer Tagung in Toronto und griff mich an – ich hätte geleugnet, dass es so etwas wie Wirklichkeit gebe.

Solomon: Lesen Sie überhaupt Werke amerikanischer Autoren?

Baudrillard: Ich lese viele amerikanische Romanciers: Updike, Philip Roth, Truman Capote. Ich ziehe amerikanische Belletristik der französischen vor.

Solomon: Vielleicht ist die französische Literatur der französischen Theorie zum Opfer gefallen.

Baudrillard: Unglücklicherweise hat es die französische Literatur auch ohne Hilfe der Theorie geschafft, zu Tode zu kommen.

Solomon: Bei uns meinen manche, dass die Geisteswissenschaften an den amerikanischen Universitäten durch den Einfluss von Dekonstruktion und anderer französischer Theorien Schaden genommen haben.

Baudrillard: Das war das Geschenk der Franzosen. Sie haben den Amerikanern eine Sprache gegeben, die diese nicht brauchen. Das ist wie mit der Freiheitsstatue. Kein Mensch braucht französische Theorien.

Süddeutsche Zeitung vom 24.11.2005
Deutsch von Christopher Schmidt

 

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