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Nachwort aus "Friedenstreiberinnen"

Von Ute Scheub

Haland + Wirth im Psychosozial-Verlag, Seite 239 - 252

Ich habe sehr viel gelernt von meinen »Friedenstreiberinnen«. Von ihrer moralischen Haltung, ihrer Lebensphilosophie, auch von ihren Methoden. Ich habe zu bewundern gelernt, dass sie unter den widrigsten Bedingungen weiterarbeiteten, auch wenn sie manchmal heftige Krisen erlebten. Bonny Dikongue wollte ihre Arbeit mit den ruandischen Überlebenden hinwerfen, Hildegard Goss Mayr macht sich heute noch Vorwürfe, dass sie den Mord an dem salvadorianischen Erzbischof Romero nicht verhindern konnte, Bosiljka Schedlich zog sich zeitweise zu Hause die Decke über den Kopf. Dennoch haben alle diese Frauen mit Mut und Dickköpfigkeit ihre Arbeit fortgesetzt.

Sie gehören zu einem weltumspannenden Netzwerk von Heldinnen und Helden, die sich für die Bedrängten und Erniedrigten einsetzen manche in herausragender Weise, manche eher leise unauffällig... Dieses zivile Heldentum steht im denkbar größten Gegensatz zum herkömmlichen Heldenbegriff, der dem antiken Schlachtengetümmel entstammt. Von Achilles über Siegfried bis zu Hollywoods Terminator ging es diesen Kriegsheroen letztlich immer nur um sich selbst: sich einen unsterblichen Namen zu machen, indem sie möglichst viele andere Menschen in den Tod rissen.

Fasziniert war ich auch von den vielen Gemeinsamkeiten, die ich bei den »Friedenstreiberinnen« entdeckte. Ob im europäischen Ex Jugoslawien, im afrikanischen Ruanda oder im lateinamerikanischen Kolumbien sie alle arbeiten mit ähnlichen Methoden daran, das er Kriegsverbrechen gebreitete gesellschaftliche Schweigen zu durchbrechen, um den Opfern ihre Erinnerung und ihre Würde zurückgeben zu können. Viele Kriegsopfer wünschen sich nicht die größtmögliche Strafe für die Täter, sondern deren Geständnis und Eingeständnis, dass sie an Verbrechen beteiligt waren. Versöhnung bedeutet nicht, den Feind abzuküssen, sondern einen gesellschaftlichen Prozess zu organisieren, in dem über Leid, Schuld, Sühne und angemessene Strafen debattiert wird.

Wenn das nicht passiert, sind Wiederholungen vorprogrammiert. Traumata sind eine Krankheit wie Aids, sagt Bosiljka Schedlich zu Recht. Sie beruhen auf materiellen Veränderungen im Gehirn, die die Menschen gefühlskalt und empathieunfähig machen. Es ist bloß ein scheinbares Paradox, dass Traumatisierte sich vor nichts mehr als vor einer Wiederholung ihrer schlimmsten Erlebnisse fürchten und diese doch unbewusst herbeiführen; die einschlägige Fachliteratur erklärt dieses Phänomen besser, als ich es in wenigen Zellen tun kann. Überlebende geben ihren Kindern und Enkeln vielfach unbewusst den Auftrag mit, sie später zu rächen. Kriegsverbrecher versuchen oft, ihre Nachkommen zu Komplizen zu machen.

Gerade wir Nazi Nachgeborenen in Deutschland müssten das am besten wissen wenn unsere Eltern und Großeltern ehrlich über dieses Thema geredet hätten. Stattdessen aber demonstrieren deutsche Politiker immer wieder ihre Gefühllosigkeit gegenüber Kriegsflüchtlingen. Härte zeigen, weil man selbst Härte erfahren hat - das scheint die Devise jener Generation zu sein, die als Kinder noch die Kriegsschrecken erlebte und jetzt an den politischen und wirtschaftlichen Schaltstellen der Republik sitzt. Die Härte ist dabei offenbar die Kehrseite der Angst - einer in der deutschen Bevölkerung offenbar sehr tief sitzenden Angst vor Bestrafung, die als »German Angst« Karriere als internationaler Begriff machte und im nationalen Rahmen als zwanghaftes, nicht aufhören wollendes Krisengerede daherkommt. Mich hat das Geständnis eines Nürnberger Geschäftsmannes beeindruckt, der bei einer Tagung der Heinrich Böll Stiftung über »Männer und Krieg« zugab, er habe 60 Jahre seines Lebens damit zugebracht, Gefühle von totaler Ohnmacht und Hilflosigkeit abzukapseln, weil er diese als »unmännlich« empfunden habe. Als Sechsjähriger hatte er in Todesangst die täglichen Bombenangriffe der Alliierten miterlebt, später litt er an allen möglichen psychosomatischen Krankheiten.

Wer sich einmal für dieses Thema sensibilisiert hat, merkt schnell, dass es zwar unterschiedliche Schweregrade von Traumata gibt, aber kein Land und keine Generation jemals vollständig verschont blieben. Nirgendwo! Bosiljka Schedlich hat anschaulich berichtet, wie sich in den Köpfen ihrer Landsleute der Zweite Weltkrieg und die Kriege der neunziger Jahre vermengten. Es gibt riesige Schweigegebiete auf dem Globus, in denen sich die Traumata der Generationen überlagern und gegenseitig überwuchern. Dort werden sich die Konflikte ins Unendliche verlängern, wenn nicht irgendwann alle Beteiligten gegenseitig ihr Leiden und ihre Schuld anerkennen, ihr Opfersein und Tätersein nebeneinander stehen lassen.

Der Nahe Osten ist ein gutes Beispiel dafür. Die traumatisierten Überlebenden des Holocaust haben ein Recht darauf, nie wieder wehrlos einem Aggressor gegenüberzustehen, sie haben ein Recht auf einen sicheren Staat Israel. Diesen Staat auf der Asche zerstörter arabischer Dörfer auf gebaut und die Gebiete der Palästinenser besetzt zu haben, setzte jedoch, in abgeschwächter Form, die Kette von Unrecht, Gewalt und Traumatisierung fort. Nicht nur für Sumaya Farhat-Naser und Gila Svirsky ist es eine bittere Ironie der Geschichte, dass dort nun eine Mauer der ethnischen Trennung aufgebaut wird, höher als eine Mauer, die Deutschland infolge des Holocaust und des verlorenen Weltkriegs teilte.

Wie würden die Menschen sein, die unbeschädigt von Gewaltfolgen aufwüchsen? Wie frei wären sie, wie kreativ? Wie stark wäre ihr soziales Verantwortungsgefühl, ihr moralisches Rückgrat? Wir wissen es nicht, es gibt sie nicht. Und wir selbst haben verdrängt, wie sehr unsere geistige und emotionale Freiheit durch Gewalterfahrungen eingeschränkt worden ist. Ein Stück freier können wir erst dann sein, wenn wir uns unserer eigenen Verwicklung in die furchtbaren Geheimnisse bewusst sind, die es in allen Familien und allen Staaten gibt.

Meist passiert aber das Gegenteil: Opfer werden von der Gesellschaft nicht als Opfer anerkannt, sondern isoliert und diskriminiert. Wir wollen uns ihre Leidensgeschichten nicht anhören, weil sie uns ein schlechtes Gewissen machen und an unsere eigene Verletzlichkeit erinnern.

Um das erfahrene Trauma an ihre Kinder weiterzugeben, brauchen Gewaltopfer allerdings keine Worte. In Ländern wie Afghanistan oder Irak, wo 23 Jahre lang Kriegszustand herrschte, sind viele Eltern psychisch nicht mehr in der Lage, ihren Kindern ein Minimum an sozialem Vertrauen zu vermitteln. Frauen wie Nooria Haqnegar und Susan Ahmed haben am eigenen Leib erfahren, was Traumatisierung bedeutet.

Am schlimmsten ergeht es den Opfern sexualisierter Gewalt. In Afghanistan oder im Kosovo verstoßen Familien Mädchen und Frauen, die von der Soldateska vergewaltigt wurden; außerhalb ihres Familienverbandes aber haben diese keine Überlebenschance. In Ruanda wurden Frauen, die von Milizionären auf Dachböden als Sexsklavinnen gefangen gehalten wurden, der »Kollaboration« bezichtigt. In Kurdistan und im Irak bringen Väter ihre eigenen Töchter um, wenn sie vergewaltigt wurden und so »Schande« über die Familienehre gebracht haben. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, aber mich packt angesichts solcher Fälle die nackte Wut. Der Gipfel von Gewalt und Ungerechtigkeit ist erreicht, wenn Unschuldige Opfer eines Verbrechens werden und hinterher dafür auch noch mit dem Tode bestraft werden.

Im Grunde bräuchten wir eine ebenso massive wie lang anhaltende internationale Kampagne zur Trauma Bearbeitung. Traumata sind eine ebenso furchtbare Volkskrankheit wie Tuberkulose oder Aids. Sie sind genauso ansteckend und genauso gefährlich, zersetzen Seele und Körper, zerstören Individuen, Familien, Gruppen, Gemeinwesen, ganze Staaten. Die UNO müsste verpflichtet werden, Landkarten von Schweigegebieten zu erstellen und dort Programme aufzulegen: Therapien. Begegnungen. Dialoge. Gedenkstätten. Öffentliche Rituale, bei denen die Opfer angehört werden. Tribunale, in denen sie ihre furchtbaren Erlebnisse aussprechen dürfen. Elizabeth Odio Benito und ihre Kollegen sitzen demnächst im Internationalen Strafgerichtshof über die Täter zu Gericht, aber vielleicht bräuchten wir nach dem Muster der in Südafrika und weiteren 20 Ländern eingerichteten Wahrheitskommissionen ein Pendant für die Opfer - ein internationales Tribunal, das nicht um die Strafprozessordnung kreist, sondern Aufmerksamkeit organisiert für die Wahrheiten der Opfer. »Erinnerung ist Widerstand« haben die von Christiane Schwarz und den Peace Brigades betreuten kolumbianischen Friedensgemeinden formuliert. Erinnerung, die endlich ohne Angst öffentlich ausgesprochen werden darf, ist noch mehr: ist Heilung.

Das alles wäre nötig, um die Folgen vergangener Kriege zu lindern, aber es reicht noch nicht aus, um zukünftige Kriege zu verhindern. Wir brauchen genauso dringlich den aktiven Widerstand gegen den Militarismus, so wie ihn Helen John oder Hildegard Goss Mayr oder auch Krishna Ahoo)a Patel organisieren. Die weltweite Rüstung gegeneinander ist der schlimmste Feind der Menschheit. Sie frisst dringend benötigte Ressourcen und verwandelt sie in Herrschaft, Gewalt, Ungerechtigkeit, Angst und Schrecken. Alleine das »Star Wars«-Programm der US-Regierung, so hat Helen Johns Organisation Campaign for Nuclear Disarmament ausgerechnet, würde bei seiner vollen Verwirklichung mehr Geld kosten, als jeder Erdbewohner für ein menschenwürdiges Leben benötigen würde. Attac sollte sich nicht nur für die Tobinsteuer gegen die internationale Finanzspekulation einsetzen, sondern auch für eine Gewaltsteuer für alle Rüstungsproduzenten, mit der die Kampagne zur Trauma-Bearbeitung finanziert werden könnte - als minimale Entschädigung für die Opfer.

Warum gilt hier eigentlich nicht das Verursacherprinzip? Weshalb dürfen die Produzenten von Uranmunition bestimmte Weltregionen für Millionen von Jahren verseuchen, ohne dass sie dafür zur Verantwortung gezogen werden? Weshalb sorgt die UNO mit Sanktionen nicht dafür, dass alle Staaten auf Erden nicht mehr als ein Minimum an Waffen besitzen, gerade mal so viel, um ihre Polizei auszurüsten und das staatliche Gewaltmonopol aufrecht zu erhalten? Wieso soll es nicht möglich sein, sämtliche Munitions- und Sprengstoffproduzenten der Welt zu kontrollieren, und zwar so scharf, dass weder Ländern noch terroristischen Gruppen etwas in die Hände fällt? Weswegen sollte das nicht auch für sämtliche Pistolenfabriken gelten? Für alle Minenhersteller? Warum gibt es immer noch kein weltumspannendes Verbot für alle Arten und Sorten von Massenvernichtungswaffen?

Natürlich kenne ich die Antwort auf diese Frage, jeder kennt sie. Es fehlt der politische Wille. Diejenigen, die die Herrschaft innehaben, wollen sie nicht aufgeben. Militärapparate schützen Imperien, Interessen, Reichtümer, ersticken Veränderungspotenziale und Revolten. Sie frieren Gesellschaften in ihre Vergangenheit ein, sodass diese den letzten Stand der menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten niemals erreichen. Rüstung ist organisierter Raub von Zukunft, organisierte Kriminalität auf höchster und leider dennoch legaler Ebene.

Gleichzeitig sind Armeen die wohl ältesten Massenmedien zur Propaganda von Angst. Die durch die Waffen symbolisierte Gewalt ist immer auch Inszenierung von Herrschaft, gleichzeitig Zweck und Mittel zum Zweck. Sie streckt die Opfer nieder und strahlt dabei auf das Publikum aus, das sich eingeschüchtert abwendet. Gewalt wirkt so nachhaltig, weil sie das Folgeprodukt Angst gleich mit herstellt. Folteropfer sind gefürchtet, nicht nur wegen ihrer stummen Vorwürfe, sondern auch, weil sie an die Allgewalt der Herrschenden erinnern. Die wahre Absicht der Mörder und Folterer ist die Propaganda der Allgewalt: »jeder Widerstand ist sinnlos! « Der US-Feldzug gegen den Irak war gleichzeitig eine Werbekampagne der US-Army und eine Warnung an die Adresse von Länder wie Syrien oder den Iran: »Tut, was wir sagen, sonst seid ihr die Nächsten! «

Der Gebrauchswert von Gewalt ist ein doppelter: die Ausschaltung des Feindes und die Einschüchterung weiterer Feinde. Aber sie hat auch einen Tauschwert. Nicht erst seit der Globalisierung gibt es Unternehmer, die die Dienstleistung »Anwendung von Gewalt« oder die Dienstleistung »Schutz vor Gewalt« und sogar beides anbieten - so zusagen im praktisch-preiswerten Doppelpaket für 499.999,95 Dollar. Sie sind an kriegerischen Verhältnissen interessiert, weil sie daran so gut verdienen, und fürchten nichts mehr als einen lang andauernden Frieden.

Die wahrscheinlich gefährlichste Auswirkung der Globalisierung, deren Konsequenzen die breite Öffentlichkeit nicht einmal in Ansätzen begriffen hat, ist der weltweite Zerfall des staatlichen Gewaltmonopols. Auf der nördlichen Halbkugel und vor allem in den USA wird der gesamte »Sicherheits«-Sektor immer weiter privatisiert, ob nun in Form von Sicherheitsdiensten, Söldnertrupps oder Privatgefängnissen. Auf der südlichen sind es die failing states, die für sein Verschwinden sorgen und den Weg freimachen für die Terrorherrschaft bewaffneter Banden. Beide Tendenzen treffen nun in fataler Weise im globalen »War on Terror« zusammen.

Mit mindestens 725 US-Basen in 38 Ländern sind die USA die uneinholbar größte militärische Supermacht, und doch ist das nur der sichtbarste Teil ihres Imperiums. Die unter Vertrag genommenen privaten Gewaltunternehmer haben aus Sicht des Pentagon den strategischen Vorteil, dass sie meist außerhalb klarer rechtlicher Regelungen in den Ländern des Südens die Drecksarbeit übernehmen. Die US-Firma »DynCorp« bildet im Irak die Polizei aus, vernichtet in Kolumbien Koka Plantagen mit Monsanto Gentechnik und war nach Aussage einer ehemaligen UN Polizistin tief in den Frauenhandel Bosniens verstrickt. »Kellogg, Brown & Root«, eine Tochter des Unternehmens »Halliburton«, dem früher US-Vizepräsident Dick Cheney vorsaß, errichtete das Skandalgefängnis von Guantanamó sowie zahlreiche Militärbasen in Afghanistan, Pakistan, Kirgisien, Usbekistan, Kuweit und Katar, für deren Versorgung mit Benzin oder Proviant sie zum Teil exorbitant überhöhte Preise verlangte. Mitarbeiter von Privatfirmen wie »CACI« taten im Bagdader Foltergefängnis Abu Ghraib Dienst und machten irakische Gefangene durch »Spezialbehandlungen« gefügig. Praktisch nirgendwo konnten solche privaten Gewaltspezialisten bisher vor Gericht gebracht worden. Nach dem 11. September hatte die CIA ein weit verzweigtes Geheimsystem für die Vernehmung mutmaßlicher Terroristen aufgebaut - mit abgeschirmten Lagern in den afghanischen Orten Bagram, Kandahar, Khost und Gardez, auf der Insel Diego Garcia und in Thailand, Ägypten, Syrien und Jordanien, in denen angeblich mehr als 9.000 Gefangene ohne jeden Rechtsstatus gehalten und wahrscheinlich ebenso oder noch schlimmer gefoltert werden wie in Abu Ghraib.

In den failing states wird private Gewalt hingegen zum Währungsersatz oder auch zur Antiwährung: Wer eine Waffe zückt, bekommt Ware auch ohne Bezahlung, wer sich den Raubzügen bewaffneter Banden anschließt, kann sich am Rohstoffraub, an Drogen und Waffendeals und am Frauen und Kinderhandel bereichern ohne Ende. Solche Art von Beutekriegen gibt es historisch gesehen zwar schon sehr lange, aber erst die moderne Waffenproduktion hat die heutigen Kriegsökonomien möglich gemacht. Weltweit sterben neun von zehn Kriegsopfern durch so genannte Klein und Leichtwaffen, vor allem Pistolen, Gewehre und Maschinengewehre. Sie sind die eigentlichen Massenvernichtungswaffen.

Gut eine halbe Milliarde von ihnen kreist derzeit um die Welt, eine für jeden zwölften Menschen. Sie sind unglaublich billig, vor allem im Verhältnis zu der Macht, die sie ihren Besitzern verleihen. In Uganda kostet eine Kalaschnikow so viel wie ein Huhn, in Mosambik so viel wie ein Sack Mais - wie viele Hühner, wie viel Sack Mais kann man damit rauben? Nach Artikel 51 der UN-Charta darf Waffenexport nur für Verteidigungszwecke stattfinden und keine existierenden Konflikte verschlimmern oder Menschenrechtsverletzungen verursachen. Warum verstoßen fast alle Rüstungsexporteure dagegen? Weil die fünf ständigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates - die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - gleichzeitig die fünf größten Waffenverkäufer sind. Zusammen mit der Rüstung exportierten sie auch die Kriege aus dem Norden in den Süden: 85 Prozent aller bewaffneten Konflikte fanden seit 1945 in armen Ländern statt.

Die vermeintlich ethnischen Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts haben fast immer auch einen Hintergrund der organisierten Kriminalität, des Rohstoffraubes und der sexuellen Versklavung. Der Handel mit Mädchen und Frauen entsteht oft innerhalb oder am Rande von Kriegen, dort, wo die normale Ökonomie zusammengebrochen ist, wo Frauen keine andere Überlebensmöglichkeit mehr haben oder mit Waffengewalt zum Sex gezwungen werden. Nach UN-Schätzung werden jährlich drei bis vier Millionen Frauen und Kinder auf Sklavenmärkten verkauft, was den Menschenhändlern ungefähr sieben bis zehn Milliarden Dollar Profit einbringt. Laut Anti Slavery International existieren heutzutage mehr als doppelt so viele Sklaven als während des Sklavenhandels im 18. und 19. Jahrhundert, der Großteil dürften Frauen und Minderjährige sein. Sexsklaverei gab und gibt es unter anderem in Ex Jugoslawien, Angola, Sierra Leone, Liberia, Tschetschenien, Birma und Kolumbien. 1991 verkauften afghanische Mudschaheddin laut Amnesty International auf einem Marktplatz an der Grenze zu Pakistan afghanische Frauen nach Kilopreis - für 600 Rupien pro Kilogramm.

Männliche Friedenstruppen sind hier keine Lösung, sondern Teil des Problems. Die UN-Blauhelme in Kambodscha sorgten seinerzeit für einen rapiden Anstieg von Frauenhandel, Prostitution und HIV-Infektionsraten. Auch in Sierra Leone, Eritrea, Bosnien oder Kosovo lieg die Anwesenheit von Friedenstruppen riesige Sexmärkte entstehen. Im Kosovo kamen nach einer Amnesty Studie 1999 rund 80 Prozent der Freier aus den Reihen der KFOR-Soldaten und UN Mitarbeiter; inzwischen ist durch das »Angebot« an neu errichteten Bordellen auch die heimische »Nachfrage« extrem gestiegen. Viele der teilweise noch minderjährigen Mädchen stammen aus Moldawien und Bulgarien, sie wurden vergewaltigt, verschleppt und in den Kosovo verkauft, zum »Stückpreis« zwischen 50 und 3.500 Euro.

Wer vom Krieg spricht, darf über Sex nicht schweigen. Egal, ob in Nord oder Süd, Ost oder West, im Abendland oder Morgenland - sexualisierte Gewalt ist ein Merkmal praktisch aller Kriege, Frauenkörper - und manchmal auch Männerkörper - sind ein weiteres Schlachtfeld. Ich spreche hier ausdrücklich von »sexuallsierter Gewalt« und nicht von »sexueller Gewalt«. Mit erotischer Lust haben die zumeist öffentlich zur Schau gestellten Massenvergewaltigungen nicht das Geringste zu tun, sie sind Akte von Aggression in sexueller Gestalt. Der Körper von Frauen, begehrt, gehasst und symbolisch hochaufgeladen, gilt auch heute noch als Kriegsbeute und gleichzeitig als Symbol für die Nation. 1937 vergewaltigten die japanischen Invasoren in Nanking rund 40.000 Chinesinnen. 1945 zwangen russische Soldaten schätzungsweise rund zwei Millionen deutsche Frauen zu sexuellen Diensten. Zwischen 1992 und 1995 vergewaltigten Männer in Ex-Jugoslawien mindestens 20.000 Frauen anderer Ethnien, um den »Feind« zu demütigen und sein »Territorium« zu »schänden«. In Algerien, Afghanistan, Guatemala, Kolumbien, Indien, Pakistan, Ruanda, Sierra Leone, der Demokratischen Republik Kongo oder im Sudan - in all diesen und noch viel mehr Ländern haben Kriegsstrategen Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe eingesetzt, weil sie die billigste und effektivste Seelenvernichtungswaffe ist, die es auf der Welt gibt.

Klaus Theweleit hat in seinem Buch »Männerphantasien« beschrieben, wie normale Männer im Militär durch Drill und den Aufbau extremer Frustration zu Sexualsadisten »umgebaut« werden - wie sie nicht länger ihre Frauen mit sexuellen Wünschen besetzen, sondern ihre Waffen, um mit Mordlust Lustmord zu betreiben. »Morgen muss ich zur Front«, freute sich der Freicorps Soldat Schauwecker im Ersten Weltkrieg, »hinein in die flammende Umarmung der Granaten, entgegen den knallenden Küssen der Gewehrschüsse unter den glühenden Liebesblicken der Flugzeuge.« A have a rifle, I have a gun, one for the killing, one for the fun«, war ein stehender Spruch der US-Soldaten in Vietnam. »Für Saddam, in Liebe« stand auf den Bombensprengköpfen, die im Golfkrieg 1991 Richtung Irak abgeschossen wurden. »Wargasm« war der Pentagoninterne Spitzname für eine Liste von russischen Städten, die im Falle eines Atomkrieges durch US-Nuklearbomben zerstört werden sollten. Es gibt unzählige andere Beispiele.

Viele Männer, die aus Kriegen heimkehren, sind deshalb zu normalen Liebesbeziehungen nicht mehr fähig - sie werden zu Opfern und Tätern in einer Person. Laut einer Unifem-Studie haben im Kambodscha der Nachkriegszeit 75 Prozent aller Frauen häusliche Gewalt erlebt, oft durch Männer, die ihre Kriegswaffen behalten hatten. Auch in Ex-Jugoslawien eskalierten innerfamiliäre Grausamkeiten in und nach den Kriegen. »Ihr müsst verstehen«, sagte ein mazedonischer Mann den Autorinnen der Studie, »ich bin so gestresst durch den Krieg. Es ist unvermeidbar, dass ich meine Frau schlage.« Viele Ex Soldaten, die Gräueltaten erlebten oder selbst begingen, verlieren jede innere moralische Orientierung. So wie jene vier Kämpfer einer US-Spezialeinheit, die nach Ihrer Rückkehr aus Afghanistan ihre Frauen töteten.

»Krieg verwandelt Menschen in brutale Folterer«, kommentierte der US-Psychologe Philip Zimbardo in »Spiegel Online« die Fotos von sexuell gedemütigten irakischen Gefangenen in Abu Ghraib. Die Erklärung der Regierung Bush, es handele sich hier um ein paar faule Äpfel in einem ansonsten guten Fass, sei »nicht akzeptabel«. In Wahrheit sei »das Fass des Krieges mit Essig gefüllt, der gute Gurken in saure Gurken verwandelt, und das immer tun wird. Er verwandelt die Mehrzahl guter Menschen, Männer wie Frauen, in Übeltäter.« Die wichtigsten Faktoren dabei seien Verlust der Individualität, Entmenschlichung, Geheimhaltung, Nichtverantwortlichkeit, Frustration, Rachegefühle und Autoritätshörigkeit. Zimbardo hatte 1971 sein eigenes, berühmt gewordenes »Stanford Prison Experiment« abbrechen müssen, weil es außer Kontrolle geriet. Er hatte einen Teil einer Gruppe von Freiwilligen zu »Gefängniswärtern« und den anderen zu »Insassen« erklärt. Innerhalb von nur sechs Tagen entwickelten die »Wärter« unerträgliche Unterdrückungsmethoden - wie im Irak zwangen sie die »Gefangenen« zum Ausziehen und zu sexuellen Akten.

Das Tragische für die Menschheit ist, dass Gewalt so ungleich stärker wirkt als, sagen wir es kitschig, Liebe und Fürsorge. Und das, obwohl die positiven sozialen Bindungen zwischen Menschen in der Summe betrachtet bei weitem über wiegen. Kinder vergessen elterliche Zuwendung, aber ein Trauma werden sie nicht mehr los. Es kostet nur Minuten, eine Frau zu vergewaltigen, doch der Akt ist ihr Leben lang in ihren Körper eingeschrieben - laut einer deutschen Studie entwickelten fast 60 Prozent der Vergewaltigungsopfer des Zweiten Weltkrieges ein Langzeittrauma. 1945 brauchte es nur wenige Minuten, um Hiroshima vollständig zu zerstören, doch bis heute sterben die Nachkommen der Opfer an Krebs. Menschliche Bindungen machen uns die Gegenwart angenehm, Gewalt und Krieg aber wirken ähnlich zerstörerisch wie freigesetzte Radioaktivität: erstens sofort und direkt, zweitens langfristig. Liebe beherrscht uns nur für den Augenblick, Gewalt beherrscht unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist durchaus möglich, dass in der Geschichte der Menschheit viele friedliche Kulturen existierten, von denen wir heute nichts mehr wissen, weil sie von kriegerischen Gesellschaften platt gewalzt wurden. Wir wissen nicht, wie viele fragile Paradiese es gab.

Die Durchschlagskraft von Gewalt ist so auffällig, dass ich versucht bin, eine Art thermodynamisches Gesetz zu formulieren: Die negative Energie ausgeübter Gewalt bleibt immer erhalten. jede Zwangsmaßnahme, jede Erniedrigung, jede Misshandlung, jedes Trauma bleibt im Körper eines Menschen eingraviert. Sie wirkt dort wie ein Stachel, ein Fremdkörper, der so weh tut, dass die Empfänger ihn so schnell wie möglich weiterzugeben trachten - fast immer nach unten. Die Letzten in der gesellschaftlichen Hierarchie sind meistens, in dieser Reihenfolge: Minderheiten. Frauen. Kinder. Tiere. Als ich 1988 Nicaragua besuchte, das eben erst einen grausamen Bürgerkrieg hinter sich gelassen hatte, berichtete mir die Mitarbeiterin einer Frauenberatungsstelle, die Rate des sexuellen Missbrauchs von Mädchen liege bei »100 Prozent«. Gleichzeitig sah ich, wie brutal Erwachsene und Kinder, Mädchen und jungen, auf Tiere einprügelten, auf Pferde, Esel, Hunde.

Im Unterschied zu den Naturgesetzen der Thermodynamik aber gibt es in der menschlichen Gesellschaft keine Zwangsläufigkeit. Die Unterbrechung der Gewaltspirale ist möglich - genau das istja die Botschaft der »Friedenstreiberinnen«. In Gruppentherapien, wie sie Bosiljka Schedlich oder Bonny Dikongue praktizieren. Durch Schulungen, wie Hildegard Goss Mayr oder Sumaya Farhat-Naser sie anbieten. Durch Rituale der Trauer und des Protestes, an denen Gila Svirsky und die Frauen in Schwarz seit Jahren festhalten. Durch konsequenten gewaltfreien Widerstand, wie ihn Helen John vorführt. Durch juristische Verfolgung, wie es Richterin Elizabeth Odio Benito versucht. Durch Organisierung internationaler Aufmerksamkeit gegenüber potenziellen Gewaltopfern, wie es Christiane Schwarz und die Peace Brigades tun. Oder durch politische Lobbyarbeit, wie sie Nooria Haqnegar, Susan Ahmed oder Krishna Ahoo)a Patel praktizieren.

Es ist möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, dass wir niemals eine menschliche Gesellschaft erleben werden, die völlig frei ist von physischer, psychischer und struktureller Gewalt. Die Differenzen zwischen Kindern und Eltern, Frauen und Männern, eigenen und fremden Ethnien laden geradezu dazu ein, Hierarchien aufzubauen, direkte oder indirekte strukturelle Gewalt auszuüben. Dieser lang andauernde Zustand menschlichen Unglücks darf jedoch keine Erlaubnis sein, Gewalt als Conditio humana hinzustellen, so wie es die Zyniker in den herrschenden Eliten behaupten. Die »Friedenstreiberinnen« zeigen auf, dass es fast immer und überall zivile Alternativen gibt, dass es sich lohnt, Gewalt in jeder Form zu bekämpfen wozu nicht zuletzt auch die ökonomische Gewalt der Reichen gegenüber den Armen gehört. Die vollständige Zivilisierung des homo sapiens ist das größte und wunderbarste Menschheitsprojekt überhaupt; an ihm teilzunehmen sollte der Ehrgeiz aller sein, die einen Funken Verantwortung in sich spüren.

Warum habe ich nur Frauen porträtiert? Um der Gerechtigkeit willen, schrieb ich im Vorwort. Das war jedoch nur ein Teil der Antwort; mich interessierte auch, ob das weibliche Geschlecht in bewaffneten Konflikten anders agiert als das männliche. Das nämlich müsste eigentlich große Konsequenzen für die internationale Außen und Sicherheitspolitik haben. Eigentlich.

Ich hänge nicht der These an, dass Frauen bessere oder friedlichere Menschen sind als Männer. Das ist Kaffeekränzchenkitsch. Frauen der Nazis stachelten ihre Ehegatten zu Raub und Mord an. Eine ruandische Ministerin rief öffentlich zur Vergewaltigung von Tutsifrauen auf. In den Handel mit Sexsklavinnen sind jede Menge Frauen involviert. US-Soldatinnen haben in Abu Ghraib und anderswo mitgefoltert. Die Fotos von den Misshandlungen beweisen, dass sie das Militär keineswegs humaner machen, sondern dass umgekehrt die Institution sie inhumaner macht.

Einen qualitativen Unterschied in der Gewaltfähigkeit zwischen Männern und Frauen gibt es also mit Sicherheit nicht, vielleicht einen quantitativen. Vor kurzem hat eine US Forschungsgruppe um die Psychologin Shelley Taylor und die Hormonforscherin Laura Cousin Klein Messungen des Hormonspiegels von Säugetieren und Menschen vorgelegt. Männliche Wesen, so wollen sie herausgefunden haben, reagierten völlig anders auf Stress und Gefahrensituationen als weibliche. Erstere, stärker von dem Sexualhormon Testosteron gesteuert, würden vor einem »Feind« entweder flüchten oder ihn angreifen (»flight-or-fight«), auf jeden Fall aber als Einzelne agieren. Letztere, eher vom »Bindungshormon« Oxytocin beeinflusst, rotteten sich systematisch zusammen und kümmerten sich umeinander und um ihre Kinder (»tend-and-befriend«).

Die Forscherinnen sagen jedoch selbst - und ich kann das nur unterstreichen -, dass Biologie lediglich einen Trend erklärt, aber kein Schicksal ist. Menschen haben ein beachtlich leistungsfähiges Gehirn, mit dem sie sich ihr Verhalten bewusst machen und es kontrollieren können.

Zudem hat die Geschichte der menschlichen Kulturen gezeigt, zu welch ungeheurer Verhaltensvarianz beide Geschlechter unserer Spezies fähig sind. Die Welt hat buchstäblich alles schon erlebt: sadistische Kriegsgöttinnen, Amazonen, friedliche Männerbünde, und bitteschön nicht zuletzt: die ritualisierte Zivilisierung männlicher Gewaltfähigkeit durch die Erfindung der Bundesliga.

Frauen sind also nicht die Weltretterinnen und sollten sich auch nicht als solche aufspielen. Friedfertige Frauen sind befriedete Frauen sind Friedhofsruhefrauen. Es ist geradezu gefährlich, die Trümmerfrau spielen zu wollen, die zuverlässig die Reparaturarbeiten in einer kaputten Welt leistet und damit die Zerstörer entlastet. Frauen sollten ihre Fähigkeit zur Aggression anerkennen und sie produktiv wenden, zum Beispiel in Widerstand gegen Militarismus und Krieg.

Hier können ihnen bestimmte soziale Rollen zu Hilfe kommen, die für die Entschärfung von Konflikten nützlich sind. Zum Beispiel erlaubt es ihnen ihr gesellschaftlicher Minderstatus, ethnische Grenzen zu übertreten und mit dem »Feind« Kontakt aufzunehmen, ohne dafür so hart bestraft zu werden wie Männer. Gila Svirsky und Sumaya Farhat-Naser haben berichtet, wie sie durch ihren Dialog politische Verhandlungsräume eröffnen konnten. Von den offiziellen Friedensverhandlungen in Oslo und Camp David waren Israelinnen und Palästinenserinnen dennoch ausgeschlossen. »Wenn wir Frauen auf Camp David gehabt hätten, hätten wir ein Abkommen erreicht«, seufzte ein frustrierter US-Präsident Bill Clinton nach dem Scheitern der Verhandlungen im Sommer 2000.

Weltweit finden sich unzählige andere Beispiele für solche ethnischen Grenzüberschreitungen. In Nordirland wäre das Friedensabkommen womöglich nie zustande gekommen, wenn die Frauen beider Seiten sich nicht massiv eingemischt hätten. In Ex-Jugoslawien standen sich rund 40 gemischt ethnische Frauenorganisationen, unter anderem die Frauen in Schwarz, durch alle Kriege hindurch gegenseitig bei, sie demonstrierten gemeinsam gegen den nationalistischen Wahnsinn. In Papua-Neuguinea, in dem Sezessionisten einen eigenen Staat abspalten wollten, schufen Frauen 1991 eine Friedenszone, aus der bewaffnete Männer ausgeschlossen wurden, bis schließlich 1998 ein Friedensabkommen zwischen Regierung und Rebellen unterzeichnet wurde. Und als in Somalia im Jahr 2000 fünf verfeindete Clans miteinander verhandelten, gründeten die davon ausgeschlossenen Frauen den ethnienübergreifenden »sechsten Clan«.

Nicht selten nützen Frauen auch ihren sozialen Status als Mütter. In Argentinien waren es die »Mütter von der Plaza de Mayo«, die in den 70er Jahren mit einem wöchentlichen Schweigemarsch an die von der Militärdiktatur verschleppten Menschen erinnerten. In Russland ist das Komitee der Soldatenmütter eine der wenigen Oppositionskräfte, die gegen den Vernichtungskrieg in Tschetschenien protestieren.

In fast allen aktuellen Umfragen zeigt sich, dass Frauen Kriege signifikant weniger unterstützen als Männer. Nicht, weil sie über eine höher stehende Moral verfügen, sondern weil sie tatsächlich mehr zu verlieren haben als Männer. Frauen spielen - im wörtlichen und übertragenen Sinne - keinerlei Rolle in militärischen Inszenierungen, ob diese nun in Kriegsgebieten stattfinden oder auch nur in der hiesigen medialen Öffentlichkeit. Zu Beginn der letzten US-Invasion gegen den Irak waren die Bildschirme wie leer gefegt von weiblichen Wesen. Politiker, Militärexperten, Korrespondenten, Generäle, Soldaten - Männer interviewten sich gegenseitig, Frauen hatten buchstäblich nichts mehr zu sagen.

Und: Waren es früher vor allem Männer, die im Krieg starben, so sind es inzwischen immer mehr Frauen. Es ist ein wenig anrüchig, das zu betonen, ist es doch letztlich gleichgültig, welches Geschlecht die Toten tragen. Nicht gleichgültig sind indes die strukturellen Veränderungen der Kriege, die es mit sich brachten, dass sich in den letzten 100 Jahren das Verhältnis zwischen getöteten Soldaten und getöteten Zivilistinnen und Zivilisten völlig umgedreht hat: Trugen 1890 nur fünf Prozent der Kriegstoten Zivil, so waren es in den neunziger Jahren 90 Prozent - fast ausschließlich Frauen, Kinder und Alte. Die übergroße weibliche Mehrheit auf der Welt lebt unbewaffnet an Haus und Familie gebunden, sodass sie weder ohne weiteres flüchten noch Widerstand leisten kann. Das führt dazu - und so hat es sogar der Männerbund UN-Sicherheitsrat konstatiert , dass Frauen die Hauptleidtragenden moderner Kriege sind.

Das gilt besonders für Afrika, jenen Kontinent, auf dem seit Jahren die fürchterlichsten Kriege wüten, ohne dass die Weltöffentlichkeit diese zur Kenntnis nimmt. Die medialen Scheinwerfer sind auf den Irak gerichtet, doch in den Bürgerkriegen Afrikas werden derzeit weit mehr Menschen abgeschlachtet als im ganzen Nahen Osten. Die Weltmedien sind strukturell rassistisch, für sie zählt das Menschenleben von Weißen um ein Vielfaches mehr als das von Nichtweißen.

Die Medien tragen außerdem dazu bei, die Bewaffnung von Männern als Teil des dominanten maskulinen Codes zu legitimieren. »In meinem Dorf muss ein Mann eine Waffe tragen, auch wenn er nur zum Einkaufen geht, sodass alle sehen, dass es ein Mann ist, der hier geht«, sagt ein südafrikanischer Zulu - aber dasselbe könnte auch ein afghanischer Mudschaheddin oder ein Texaner behaupten. Der moderne Kommerzmilitarismus hat diese Codes längst weltweit verbreitet: in Form von PC Kriegsspielen, Kriegsfilmen, Brutalo-Comics und Ballermann-Spielzeug. Seine Boten sind die Amokläufer, die in regelmäßigen Abständen von Columbine bis Erfurt beliebige Opfer abknallen.

Aus allen diesen Gründen habe ich zu Beginn des Golfkrieges 1991, damals noch »taz«-Redakteurin, die Frauenaktion Scheherazade mitgegründet und einen »Aufruf zur weltweiten Abstimmung gegen den Krieg« in die Zeitung gesetzt. Der Aufruf ging damals per Fax binnen vier Wochen buchstäblich einmal um die Welt und setzte eine Vielzahl von Aktivitäten und Diskussionen in Gang. Um der UNO als friedensstiftender Organisation Beine zu machen, bräuchten wir einen »Weltfrauensicherheitsrat«, forderten wir damals und forderten wir erneut nach dem 11. September 2001.

Der »Weltfrauensicherheitsrat«, der die hier skizzierten Zusammenhänge skandalisieren könnte, der den stumm Gemachten eine internationale Stimme verleihen könnte, der die Herren des Sicherheitsrates kontrolliert und überwacht, ist bisher nur eine schöne Utopie. Im Kleinen allerdings existiert er schon, als deutscher Frauensicherheitsrat. Im März 2003 haben wir diesen als Netzwerk von Friedensaktivistinnen, Friedensforscherinnen und Frauen aus entwicklungspolltischen Organisationen gegründet.

Eine seiner Hauptaufgaben sieht der Frauensicherheitsrat darin, für die Umsetzung von Resolution 1325 des UN Sicherheitsrates zu werben. Wenn gemäß dieser Resolution Frauen auf allen Ebenen an nationalen und internationalen Friedensprozessen gleichberechtigt teilnehmen würden - in Afghanistan und im Irak, im Nahen und Fernen Osten, in Ost- und Westafrika, in Mittel- und Südamerika -, dann sähe unsere Welt völlig anders aus.

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