Dez 282011
 

Die Motive sind nicht nur religiös

Von Paul Kreiner

Stuttgarter Zeitung vom 28.12.2011

Natürlich hat Benedikt XVI. gegen die Bombenanschläge auf einige christliche Kirchen in Nigeria protestiert, bei denen an Heiligabend mindestens vierzig Gläubige in den Tod gerissen wurden. Von einer „absurden Tat“ sprach der Papst am zweiten Weihnachtsfeiertag; den „blinden Hass ohne jeglichen Respekt für menschliches Leben“, hatte ein Vatikansprecher schon vorab gegeißelt. Nur eines hat die katholische Kirchenleitung vermieden: die getöteten Christen als „Märtyrer“ zu bezeichnen.

Der Begriff „Märtyrer“, das zeigt sein Gebrauch in islamistischen Kreisen und seine Anwendung auf Selbstmordattentäter, lässt sich leicht politisch instrumentalisieren. Märtyrer fordern nicht nur gläubige Verehrung, sondern tätige Gefolgschaft; Gewalt zieht Gewalt nach sich – und das will der Papst nicht fördern. Zwar beklagte Benedikt auch an diesem Weihnachtsfest: „Viele Christen in verschiedenen Weltteilen sind der Verfolgung und bisweilen dem Martyrium ausgesetzt.“ Aber er beließ den Begriff im theologischen Bereich; noch in keiner politischen Bewertung aktueller Vorgänge hat er ihn angewandt

Zwischen den Fronten

Dabei hat es gerade in den vergangenen Jahren viele Attentate auf Christen gegeben, vor allem in islamisch geprägten Staaten: Morde in Pakistan – darunter ein gezieltes Attentat auf den einzigen christlichen Minister -, Attacken gegen eine katholische Kirche in Bagdad mit 50 Toten, Ausschreitungen gegen koptische Christen in Ägypten mit Dutzenden von Toten und regelrechte Treibjagden auf Christen im indischen Bundesstaat Orissa, wo die Zahl der Opfer im mindestens vierstelligen Bereich liegen soll.

Dazu kommen körperliche und seelische Gewalt – bis hin zu Todesurteilen – gegen Muslime, die zum Christentum übertreten wollen; gerade Pakistan mit seinem „Antigotteslästerungsgesetz“ tut sich darin hervor. Dazu kommen kollektive, alltägliche Diskriminierungen und die Vertreibung ganzer christlicher Gemeinschaften in den meisten Ländern des Nahen und Mittleren Ostens – zum Beispiel die Attacken auf die Chaldäer im Irak, also auf eine christliche Minderheit, die seit fast 2000 Jahren dort fest verwurzelt ist.

Und palästinensische Christen leiden – als ethnische Araber – tagtäglich unter den Schikanen der Israelis. In den muslimisch „aufgerüsteten“ Palästinensergebieten aber haben sie auch keine Heimat mehr. Sie stehen zwischen den Fronten. Im Nahen und Mittleren Osten, so resümierte Benedikt, nachdem er bei einer Synode im Herbst 2010 die in Rom versammelten Ortsbischöfe zwei Wochen lang hatte erzählen hören, seien Christen eine winzige, aber „die am meisten bedrängte und gequälte Minderheit“.

Politische Kolonne des Westens

Viel aber spricht dafür, dass sie das nicht ihres Glaubens wegen sind, sondern weil ein aufstrebender, aber in sich gärender, brausender, seiner eigenen Richtung nicht sicherer Islam zunächst alles „Störende“ aus dem Weg zu räumen versucht. Das „Antiblasphemiegesetz“ wird in Pakistan nicht nur gegen Christen eingesetzt, sondern genauso gegen die Ahmadiyya, eine friedfertige, aber nicht orthodoxe Glaubensgruppe innerhalb des Islams.

Nur finden Christen, sofern ihre Fälle so bekannt werden wie jener der zum Tode verurteilten Landarbeiterin Asia Bibi, im Westen mehr Fürsprecher und Publizität als die Angehörigen einer kleinen innerislamischen Bewegung. In Ägypten – und nicht nur dort – durchdringen sich soziale, wirtschaftliche und religiöse Motive, so dass von einer „Christenverfolgung“ nur eingeschränkt gesprochen werden kann.

Die kleine koptische Minderheit sieht sich auch deshalb angegriffen – von anderen Ägyptern, die eben Muslime sind -, weil sie tendenziell in höherem Wohlstand lebt und ihr gesellschaftlich-ökonomisches Gewicht deutlich über ihrem Bevölkerungsanteil liegt. Anderswo – im Irak vor allem – gelten Christen als politische Kolonne des Westens im Allgemeinen oder der Vereinigten Staaten im Besonderen; als solche werden diese Gruppen zu Opfern politischer, paramilitärischer, terroristischer Gewalt.

Bemühen um den heiklen katholisch-islamischen Dialog

Die Anschläge auf Kirchen gelten dann nicht der Kirche als solcher, sondern zielen in zynischer Logik auf Effizienz ab. Wer Versammlungsräume attackiert, trifft auch die Versammelten in großer Menge – besonders wie jetzt in Nigeria am Weihnachtsfest. Die sprachliche Vorsicht des Papstes – bei aller Entschiedenheit im Protest und allen diplomatischen Gesprächsversuchen – erklärt sich auch aus dem Bemühen, den immer heiklen katholisch-islamischen Dialog nicht abreißen zu lassen und die positiven Ansätze einiger Hundert islamischer Theologen nicht an den Mauern politischer Ideologie scheitern zu lassen.

Im Religionsfrieden sieht Benedikt eine entscheidende Grundlage für den Weltfrieden. Wie bedroht diese Grundlage ist, hat der Papst im Januar 2011 erfahren, als er gegen das Neujahrsmassaker an Kopten in Alexandria protestierte und Religionsfreiheit einforderte. Da ließ die Kairoer Al-Azhar-Universität, mit deren Theologen sich vatikanische Experten zuvor zweimal im Jahr zum gelehrten Dialog getroffen hatten, dem Papst in ganz unerwartet brüsker Weise ausrichten, er möge seine „islamkritischen Äußerungen“ sein lassen. Seither herrscht Funkstille zwischen dem Vatikan und der höchsten Lehrautorität des sunnitischen Islams.