Sep 012014
 
Wer ins Flugzeug steigt, braucht von Klimaschutz nicht zu reden

Von Cernot Knödler

Moral: Fliegen ist praktisch, dient der Verständigung,
erhöht den sozialen Status und schadet immens der Umwelt.

Das Umweltbundesamt ist in seiner Bewertung von Flugreisen nüchtern aber deutlich: „Fliegen ist die klimaschädlichste Art, sich fortzubewegen“ stellt die oberste deutsche Umweltschutzbehörde fest. Den Deutschen ist das offenbar egal: Im Jahr 2012 starteten sie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 77 Millionen Mal ins Ausland, 2006 waren es noch 67 Millionen Starts gewesen, 1990 bloß 26 Millionen – auf immerhin 23 Millionen Starts bringen es die Deutschen heute allein mit Inlandszielen. Wie das mit dem gern beschworenen Ehrgeiz zu vereinbaren ist Klimaweltmeister zu werden, erschließt sich nicht ohne weiteres. Es ist jedenfalls nicht damit getan, die Energiegewinnung per Kohlekraftwerk zu bekämpfen.

Zugegeben: Ein Gomera-Trip im November ist eine Labsal für die Seele. Milde Luft liebkost den Körper und statt trübe hinterm Ofen zu sitzen, genießt man im T-Shirt bei einem Glas Wein den Sonnenuntergang. Doch so ein Trip ist ein typischer Fall eines persönlichen Vorteils zu Lasten der Umwelt. Wer einmal auf die Kanarischen Inseln fliegt und zurück – macht zusammen 8.000 Kilometer- schädigt das Klima laut Umweltbundesamt (UBA) genauso stark wie einer, der 15.000 Kilometer mit einem Mittelklassewagen fährt. Für das, was der Gomera-Tourist bei seinem Flug an Kohlendioxid ausstößt, kann er als typischer Stromverbraucher anderthalb Jahre lang Steinkohlestrom verbrauchen. Sowas gleichen Sie nicht mal aus, indem Sie ihren Strom bei Lichtblick oder Greenpeace Energy beziehen.

Und es kommt noch schlimmer: Das Fliegen schadet dem Klima nicht nur durch den Kohlendioxidausstoss. Beim Verbrennen von Kerosin in großer Höhe entstehen Stickoxide, Partikel und Wasserdampf, die dort den Treibhauseffekt verstärken. Nach UBA-Schätzung wirkt all das zusammen zwei- bis fünfmal stärker als das CO2 allein. Dazu kommt der Fluglärm – der lässt fast 40 Prozent der Deutschen leiden und erhöht das Risiko etwa von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Dagegen steht, dass das Fliegen die Arbeitsteilung erleichtert, bessere Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit schafft und die Produktivität steigert, meiner vernetzten Welt ermöglicht das zumindest, andere Kulturen, deren Wert und Weltsicht kennenzulernen – was wiederum die Aussichten für eine internationale Verständigung verbessert.

Trotzdem ist es doch zumindest merkwürdig, dass in linksalternativen Kreisen zwar zunehmend der Fleischverzehr problematisiert wird – aber keineswegs das Fliegen. Im Gegenteil: Während Schnitzel oder Sauce Bolognese zunehmend als uncool gelten, ist das Fliegen weiterhin mit einem Statusgewinn verbunden: Wer erzählen kann, in welche ferne Weltgegend er gerade wieder geflogen ist, erntet in der Regel neidische Blicke. Jungen Menschen mit ihren internationalen Kontakten erscheinen Flugreisen beinahe als ein Muss. Und absurderweise sorgt der internationale Konferenzzirkus, der dem Klimaschutz und der Erhaltung der biologischen Vielfalt gewidmet ist, für Hunderttausende an Flugmeilen.

Manche der Länder, die an diesen Konferenzen teilnehmen, sind inzwischen dazu übergegangen, die Flüge ihrer Delegationen durch Ausgleichsmaßnahmen zu kompensieren. Der bekannteste und auch durch Privatleute nutzbare Anbieter auf diesem Feld ist Atmosfair. Die gemeinnützige GmbH, zu deren Schirmherren der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der Kieler Klimaforscher Mojib Latif sowie ehemalige Chefs der Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) zählen, ging 2004 aus einem Forschungsprojekt des Bundesumweltministeriums hervor.

Atmosfair berechnet die Emissionen von Flugreisen, Kreuzfahrten oder auch Großveranstaltungen. Der Reisende zahlt einen Aufpreis, mit dem Atmosfair Klimaschutzprojekte finanziert, die den gleichen Betrag an Emissionen einsparen. „Kompensation kann das Klimaproblem nicht lösen“, räumt Atmosfair selbst ein, „weil sie nichts an den eigentlichen CO2-Quellen ändert.“ Sie sei aber als zweitbeste Lösung notwendig – solange keine beste Lösung existiere. Was tun? Ein bisschen weniger fliegen, zum Beispiel: Mit dem Fernzug brauchen Sie laut UBA pro Kopf und Kilometer nur halb so viel Energie wie mit dem Flugzeug, mit dem Fernbus sogar nur ein Drittel. 


Frankfurter Rundschau vom 10.08.2014


Link