Mrz 292012
 

Erinnerungen an meinen Urgroßvater

In Minnesota lässt ein Tischler seine Kunden ihre eigenen Särge zimmern. 700 Dollar kostet der Kurs, deutlich weniger als ein Standardsarg vom Bestatter. Seit der Finanzkrise kann er über mangelnde Nachfrage nicht klagen

Von Sebastian Grundke

Der Umsatz von Randy Schnobrich schwankt kaum mit Jahreszeiten oder Moden. Nur ein konjunkturelles Moment gibt es, dem sein Geschäft unterworfen ist Wenn es anderen schlecht geht, geht es ihm gut Schnobrich, ein gelernter Tischler mit Glatze und sauber gestutztem Vollbart, baut seit zehn Jahren in Minnesota Särge. Wenn früher die Aufträge einmal längere Zeit ausblieben, musste er zu seinem Gewehr greifen und.Rehe jagen gehen. Doch in letzter Zeit schließt er seinen Waffenschrank nur noch selten auf. Schnobrichs Särge sind nämlich besonders billig – weil seine Kunden sie sich in einem Schreinerkurs selbst zimmern müssen.

„Es ist wie beim Autokauf. Wenn man sich den BMW nicht leisten kann, kauft man eben etwas, mit dem man preiswert von A nach B kommt“, sagt Schnobrich. Ganz egal, ob das nun von zu Hause zur Shoppingmall ist oder vom Diesseits ins Jenseits.

Die Finanzkrise, sagt Schnobrich, zwinge die Menschen, ihre Ansprüche grundsätzlich zu überdenken. „Das wirkt sich positiv auf mein Geschäft aus.“ Die dreitägigen Sargbaukurse, die der 45-Jährige an der North House Folk School für Handwerkskunst in Grand Marais anbietet, einem Küstenkaff am Lake Superior, kosten 700 Dollar. Holz, Schrauben, Werkzeug und Leim sind da schon mit drin. Ein durchschnittlicher Sarg vom Bestatter hingegen kostet in den USA zwischen 3000 und 5000 Dollar. Und so hat in den letzten Jahren, seit mit Lehman auch der amerikanische Traum kollabierte, die Zahl der Kursteilnehmer ständig zugenommen.

Unter ihnen sind viele alte und kranke Menschen, wie etwa Karia Stromgren. „Als sie das erste Mal in meiner Werkstatt erschien, war ihre Leber bereits so vom Krebs zerfressen, dass sie kaum ihren Schraubenzieher halten konnte“, sagt Schnobrich. Immer wieder bot er der 63-Jährigen an, ihr Arbeit abzunehmen. Immer wieder lehnte sie ab. Manchmal weinte sie. Am Ende des Kurses war sie stolz, die Arbeit trotz Krebs und Chemotherapie fast allein geschafft zu haben. Zwei Monate später setzte sich Schnobrich in seinen Wagen und fuhr zu ihr – fünf Stunden durch die Nacht, nach Minneapolis. In Stromgrens winziger Hütte lackierte er das noch unbehandelte Tannenholz ihres Sargs. Einen Tag später war sie tot.

Nicht jede Geschichte, die Schnobrich erzählen kann, ist so bewegend wie die von Karia Stromgren. Aber auf alle seine Schüler wartet der Moment, in dem ihnen aufgeht, was sie da eigentlich schreinern. Meistens ist das der Moment, in dem sie sich in den halb fertigen Sarg legen müssen, um die Scharniere für den Deckel zu montieren. Schnobrich könnte problemlos auch Scharniere verwenden, die von außen montierbar sind. Doch er hat sich dagegen entschieden: „In dem Moment, in dem sich jemand in seinen Sarg legt und quasi eine Probefahrt macht, entsteht immer Stille im Raum.“ Oft gebe es dann Tränen, manchmal ein Gespräch.

Nicht in allen US-Bundesstaaten sind ohne Weiteres Särge jeder Art auf Friedhöfen zugelassen. Deshalb weist Schnobrich seine Schüler vor Kursbeginn darauf hin, dass sie sich unbedingt bei den Gesundheitsbehörden in ihrer Heimat über die Bestattungsrichtlinien informieren sollen. Sonst kann es einem fleißigen Sargschreiner am Ende so gehen wie Martha Ross: Die 40-Jährige nahm aus reiner Neugier und Lust am Selbermachen an Schnobrichs Kurs teil. Den Sarg, den sie im letzten Herbst in Grand Marais gezimmert hat, muss sie allerdings zweckentfremden: als Couchtisch in ihrem Wohnzimmer.

Trotz solch behördlicher Hürden will Schnobrich in naher Zukunft Sargbau-Kits über das Internet vertreiben. Mit ein paar billigen Werkzeugen, zurechtgesägtem Tannenholz, etwas Leim, einer Bauanleitung und ein paar warmen Worten – und natürlich mit von innen zu montierenden Scharnieren.

Financial Times Deutschland vom 28.12.2011


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  One Response to “Sagenhafte Geschäfte”

  1. Erinnerungen an meinen Urgroßvater

    Dieser Zeitungsartikel erinnert mich an meinen Urgroßvater Simeon Fürchtegott Paul von dem berichtet wird, er soll nämlich viele Jahre, bevor er dann tatsächlich starb, seinen Sarg haben anfertigen lassen. Der Tischler und dessen Gehilfe trugen ihn eines schönen Tages zur Tür des Pfarrhauses herein – zum größten Erstaunen der Anwesenden. Denn der Auftraggeber hatte sich ihnen gegenüber bis dato bezüglich dieser Sache ausgeschwiegen gehabt. Der Sarg wurde nun auf dem Dachboden des Hauses deponiert.

    Man erzählt weiter, dass Simeon Fürchtegott Paul sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit in den für seine Person gefertigten Sarg hineingelegt habe, um jeweils an diesem besonderen Ort über die nächste von ihm zu haltende Predigt nachzusinnen. Offensichtlich wollte er sich auf solche Weise vergegenwärtigen, welch große Verantwortung er für die ihm als Pfarrer anvertrauten Gemeindeglieder trage, die Verantwortung Gott gegenüber, vor dem er dereinst werde Rechenschaft ablegen müssen.

    Man erzählt sich auch, dass ab und an in Zeiten, da viele Gäste im Lorenzkircher Pfarrhaus einkehrten, einer der Anwesenden in diesem Sarg sein Nachtlager fand. Auch ist zu hören, dass man hin und wieder einen Teil der Apfelernte an diesem Ort, und zwar wohl in der Höhlung des Sargdeckels, unterbrachte.