Jul 222012
 

Ein Tiroler im Amerikanischen Westen

(Nachwort auf den Bergführer Robert Henze in California)

Von seinem Sohn Christopher Henze, 2001

Robby und Kay (Henze) lernten sich auf den Hängen am Arlberg in Tirol (in den dreißiger Jahren) kennen. Er arbeitete dort als Röntgentechniker und musste um Knochenbrüche zu diagnostizieren mit Fellen unter seinen Skiern ein schweres tragbares Röntgengerät auf einem Schlitten die Hänge hinaufziehen. Das waren die Zeiten vor dem Skilift. Er hielt drei Jahre in Folge den Bergab-Geschwindigkeitsrekord. Als Mitglied der „Red Devils“ (der Roten Teufel) machte Robby auch in einigen der ersten Ski- und Berg-Filme mit Hannes Schneider und Leni Riefenstahl (Stürme über den Mont Blanc, Fuchsjagd auf Ski, Die Weiße Hölle vom Piz Palü) (Storms Over Mont Blanc, Foxhunt on Skis, White Hell of Piz Palü). Seine Skikollegen scherzten, dass sie sich gerne ein Bein brechen würden, so dass Leni sie im Krankenhaus besuchen würde. Nicht so Robby, denn dort war Kay, eine junge Amerikanerin im Urlaub.

Sie feierten ihren 63. Hochzeitstag im Jahr 2000.

Robby verließ Österreich im Jahr 1938, kurz vor Hitlers Anschluss. Er versuchte in die amerikanische Armee zu kommen, um gegen die Nazis als Pilot zu kämpfen, konnte aber nicht die Musterung passieren aufgrund eines Rückenbruchs, den er mit 18 Jahren durch einen gewagten Skisprung erlitten hatte (bei dem der Arzt es nicht glauben konnte, dass er nur mit Hilfe von Skistöcken nach Hause gegangen war). Frustriert ging er zum Ambassador Hotel in Los Angeles, wo die Canadian Air Force die Rekrutierung machte. Sie nahmen ihn auch nicht, da auch sie keinen Ärger mit den amerikanischen Behörden wollten. „Es fühlte sich irgendwie seltsam an“, sagte er, „einen Ausweis zu führen, der besagte, dass ich ein enemy alien (ein feindlicher Ausländer) war.“

Es traf ihn auch schwer, als eine freundliche Nachbarin ihm die gute Nachricht in einem Brief von ihrem Sohn in der Army Air Corps mitteilte, der gerade ein Bombardement der Stefansbrücke am Brenner Paß geflogen hatte. Die letzte bekannte Adresse Robbys Eltern war das Gasthaus am Ende der Brücke.

(Sie aber überlebten. Mein Großvater (Martin Henze) hatte in seinen Biochemie-Kursen an der Universität Innsbruck keine Nazi-Uniformen erlaubt und deshalb seine Rente verloren. Als sein Sohn, Robbys älterer Bruder und mein Onkel Carlo (Henze), – nach fünf Jahren ohne Nachricht – in einer Offiziers-Uniform der US-Army den Pförtner fragte, ob Professor Henze dort war, hielt er gerade seinen Mittagsschlaf. Carlo war als deutschsprachiger Militärarzt (MD) beim Vormarsch der alliierten Besatzungstruppen eingeteilt, um das deutsche Medizinalpersonal über biologische und chemische Waffenpotential abzufragen.)

Robbys erster Anlauf, die US Einbürgerungsprüfung (naturalization exam) zu bestehen,  war an der Amerikanischen Geschichte gescheitert. Er lernte fleißig und traf bei der wiederholten Prüfung auf eine äußerst angenehme Dame, die ihm praktisch die Antworten auf ein oder zwei einfache Fragen gab, indem sie sagte, „Mr. Henze, ich verstehe, Sie hatten ein wenig Mühe mit den Französischen- und den Indianer-Kriegen. Mal sehen, ob wir Ihnen dabei helfen können.“

Robert Henze

In der Nachkriegs-Epoche der Roten Gefahr (post-war Red Scare period) wurde Robby als Zensor der italienischen Radio-Programme an der Sendestation KWKW in Sierra Madre in Kalifornien beschäftigt. „Es war ein bisschen peinlich,“ sagte er „es waren nette und freundliche Leute, und sie wussten, dass ich hinter einem Fenster saß und zuhörte, was sie sendeten, bereit eine Taste zu drücken um sie abzuschneiden, wenn sie begannen US-Militärgeheimnisse zu verraten,“ welches sie nie machten.

Die (englische) Sprache verursachte ihm gelegentlich Probleme während Robbys ersten Jahren in Süd Kalifornien. Einmal beschimpfte ihn jemand Befehle auf Deutsch an unseren Airedale-Hund Bruno zu geben. „Du kannst doch nicht German mit deinem Hund sprechen?“ Ein anderes Mal wurde ihm gesagt: „Geh zurück in die Tschechoslowakei, wo du herkommst.“ Robby war noch nie in der Tschechoslowakei gewesen. (Man hatte ihn auch gelegentlich nach Kängurus (aus Australien) in Österreich (Austria) gefragt!)

Unter den englisch sprechenden Amerikanern fühlte Robby sich frei, mit seiner Frau Kay Deutsch zu sprechen, so dass er ein Mal, als eine sehr dicke Dame den Einstieg in die Straßenbahn behinderte, zu Kay sagte: „Wir nennen das eine Fleischlawine.“ Leider sprach der Ehemann der guten Dame aber Deutsch und bat Robby freundlich seine persönlichen Bemerkungen für sich zu behalten.

Die amerikanische Ungezwungenheit ertrug Robby nicht, der es hasste auf die Schulter geklopft und Bob genannt zu werden. Seine österreichische Höflichkeit machte es schwierig für ihn jemandem durch eine Tür voranzugehen, und ich war oft von diesem Sie-zu-erst-Spielchen (Alphonse / Gaston“ Routine) amüsiert.

Amerikanismen konnten amüsant sein, wie zum Beispiel als der Mann an der Tankstelle am Strand etwas, was  Robby gesagt hatte, als baloney  bezeichnete (wie deutsch „balla balla“; von loony – verrückte Person und balloon – Luftballon), eine neue Freude für einen Tiroler, der ihm sofort mit „selber Abalone!“ entgegnete. Wir hatten – soweit ich mich erinnere –  Abalone-Muscheln gesammelt oder Abalone-Steaks gegessen. 

Oder als ein Cämper an einem kalten Morgen in der High Sierra vom gewissen Örtchen zurückkam und ihm sagte: There’s a little frost on the pumpkin. (Es ist einwenig Frost auf dem Kürbis.) – zu deutsch: Es ist ar…-kalt draußen! Worauf Robby ihm antwortete, er hoffe, dass er jenen nicht zu lange draußen ungeschützt gelassen habe (he hadn’t kept it exposed too long).

Und (weiter zu den Amerikanismen), obwohl er sehr gut Englisch sprach, nannte Robby das Zum-Friseur-Gehen weiterhin to get his hairs cut (statt: to get a hair cut) und liebte es „Spaghettis“ zu kochen (statt: Spaghetti).

Ich erinnere seine Streiche und seinen leckeren Stachelschwein-Gulasch, den wir nicht hinunterkriegten, weil es nicht lange genug mariniert worden war. Als wir von unserer wöchentlichen Einkaufs-Expedition in Bishop Creek zurückkamen, tötete er eine Klapperschlange, indem er sie mit einer Schaufel aus dem Auto enthauptete. Meine arme Mutter fiel fast in Ohnmacht, als sie in die immer noch sich windende Klapperschlange  griff in der Papiertüte, die er mich ihr als „frischen Salat“ zum Abendessen zu reichen gebeten hatte.

Er ärgerte sich über den Zustrom an Anglern aus Los Angeles in seine geliebte Sabrina Becken. Wir genossen es, versteckt hinter Felsen auf die Reaktion dieser Leute zu warten, wenn sie die kunstvoll von Robby platzierten Schilder „Gefährliche Brücke“ und „Fischen Verboten“ lasen. Das einfallsreichste war ein Glas mit einem perforierten Deckel und beschriftet mit „UdSSR Biological Warfare“. Es enthielt eine faule Orange, und Robby stellte es auf das Ende der Bootsanlegestelle.

Er konnte das Brüllen eines Mountainlians nachahmen. Eines Abends gingen wir zum Campingplatz mit einem Megaphon und jagten den Leuten einen ziemlichen Schrecken ein. Es war lustig, bis ein Kerl begann in unsere Richtung zu schießen und wir uns auf den Boden warfen, als die Kugeln über unsere Köpfe in die Espen schlugen.

Eines Tages fuhr der Sheriff vor, begleitet von einem Mann, der meinte, wir hätten seinen Hund gestohlen. Robby sagte nur: „Wollen Sie, dass ich ihm sage, Sie anzugreifen? Ein Hund wird doch seinen Herrn nicht angreifen! “ Der Mann verzog sich schnell.

Robby – ein Umweltschützer, lange bevor dies überhaupt in Mode kam – sammelte einen Berg an weggeworfenen Bier- und Soft-Drink-Dosen vom Bishop-Creek und pflanzte ein Schild darauf mit der Verkündung, „American Sportsman: Dies ist dein Denkmal.“ Die verärgerten Angler zerstörten das Schild innerhalb der nächsten Stunden.

Ich durfte nie ein Pfadfinder werden. Ich denke, dass es mit Erinnerungen an der reglementierten braunhemdigen Hitler-Jugend mit ihren Dolchen, auf denen Kraft durch Freude prangte, und Robbys starke Abneigung gegen Uniformen für Kinder zu tun hatte. Er hasste auch, dass die Pfadfinder ihre Pfadfinder-Beile und Taschenmesser (der BSA, Boy Scouts of America) nutzten, um Bäume rund um das Camp zu verstümmeln.

Er hatte ein bisschen das gleiche Problem mit dem Sierra Club, obwohl er ein Mitglied war. Er spürte, dass ihre großen Familien-Lager, die komplett mit aufwändigen Koch- und Sanitäreinrichtungen auf Maultieren ins Hochgebirge gepackt wurden, tendenziell die Natur eher zerstörten als bewahrten, wenn auch nur durch die Konzentration zu vieler Menschen an einem Ort.

Trotz seiner gemischten Gefühlen über Pferde im Hochland respektierte Robby, der immer bevorzugt zu Fuß statt zu Pferd wanderte, zutiefst Art Schober, den örtlichen Bergführer (packer), der eigenhändig und mit seinem Vater zusammen viele der Bergrouten angelegt und den Seen, die wir so genossen, Namen gegeben hatte. Mehr als einmal brauchten Art Schober, der Sheriff und/oder der Untersuchungsrichter Robby, um einen toten oder verletzten Bergsteiger zu finden und zu bergen, was nur jemand mit bergsteigerischen Fähigkeiten leisten konnte. Auch dies war bevor das Klettern in den USA beliebt wurde.

Ich erinnere, dass er nicht viel sagte, nachdem er von Art mitten in der Nacht geweckt und erst am nächsten Nachmittag von einer solchen Rettungsaktion zurückgekehrt war. Das Mädchen war vom Emerald Peak abgestürzt. Anscheint hatte sie ihre Schuhe ausgezogen und versucht, eine Abkürzung zurück zum Sierra Club Basislager zu nehmen. Er trug sie den Berg hinunter, wo Hearsie das Maultier wartete mit einem Leichensack. Hearsie (ebenso hearse oder Leichenwagen) wurde so genannt, weil er der einzige Maulesel war, der nichts dagegen hatte „totes Gewicht“ zu tragen.

Ein übergewichtiger Kletterer wurde bei einem Sturz vom Mount Humphrey im Evolution-Becken verletzt. Robby und Art schleppten ihn viele Meilen in einer Trage zum Aufstiegspunkt am North Lake hinunter, mit dauernden Stopps um regelmäßig Bluttransfusionen zu verabreichen. Der Gerettete erholte sich und mit keinem Wort des Dankes ließ er nur eine Nachricht zurück, dass er im nächsten Jahr das Matterhorn angehen würde!

Art ist nun von uns gegangen, und ein neuer Bergführer hat seinen Platz eingenommen. Der neue Mann hat angefangen seine Kunden über eine neue Route in der Nähe unserer Hütte zu führen, furchtbar nahe der Stelle, wo meine Schwester Claires Asche begraben ist.

In seinen späteren Jahren hat Robby oft gedacht wieder nach Österreich oder in die Schweiz zurückzukehren, aber er tat es nie. Ein Grund war, dass er die Schroffheit der kalifornischen Sierra Nevada gegen seine relativ zivilisierten heimischen Alpen bevorzugte. „Hier kann man tagelang wandern ohne jemand zu begegnen „, stellte er fest, „In Europa haben sie Berghütten, wo man eine Mahlzeit kaufen oder die Nacht verbringen kann.“

Robby hat uns am 6. März 2001 verlassen und Kay hielt seine Hand. Ein paar Tage zuvor kam Carlo rüber und die beiden Brüder hatten die Gelegenheit, sich zu verabschieden, Carlo in seinem Rollstuhl, Robby in seinem Krankenhausbett. Ich war froh, dass ich von Paris rechtzeitig genug in San Luis Obispo ankam, dass er mich noch erkennen, mir zulächeln und mir die Hand drücken konnte. Ich wusste nicht, wie wichtig das für mich sein würde.

Übersetzung: Erik Speck-Rosenbaum


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