Mrz 232002
 

Bremer Solidaritätspreis 2002

Gila Svirsky aus Israel und Sumaya Farhat-Naser aus Palästina

Ungewöhnliche Freundschaft

Von Thomas Joppig

Auch bei der Verleihung eines Solidaritätspreises bleibt die Angst vor Anschlägen nicht aus. Wer gestern Abend das Rathaus-Foyer betrat, fühlte sich wie an der Sicherheitsschleuse eines Flughafens. Taschen wurden durchsucht, Metalldetektoren stießen fiepend auf Gürtelschnallen.

Für die Israelin Gila Svirsky und die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser, beide Preisträgerinnen des 8. Bremer Solidaritätspreises, gehören solche Sicherheitskontrollen zum Alltag. „Ich frage mich ja, ob Sie damit daheim überhaupt den Flughafen verlassen dürfen“, rätselte Bürgermeister Henning Scherf nach seiner Rede und blickte halb schmunzelnd, halb skeptisch auf die beiden schweren Bronzeplastiken der Bremer Stadtmusikanten. Für Scherf ein Preis mit Symbolwert. Schließlich hätten sich die vier Märchen-Tiere allein nutzlos gefühlt, aber gemeinsam etwas erreicht, so Scherf.

Die Preisträgerinnen nahmen die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung gerührt und begleitet von stehenden Ovationen entgegen. Gila Svirsky hob die Friedensinitiativen auf beiden Seiten als Lichter der Hoffnung hervor. Trotz aller Ohnmacht sei sowohl unter Palästinensern als auch unter Israelis der Wunsch groß, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen. Sumaya Farhat-Naser berichtete von der langen Freundschaft, die sie mit Gila Svirsky verbindet. Eine Freundschaft, die anfangs auch von Tränen und gegenseitigem Ärger über unterschiedliche Standpunkte begleitet gewesen sei. Und doch hätten sie bei alledem gelernt, sich zu streiten und sich wieder zu versöhnen. Kontakt halten sie seit zwei Jahren fast nur per E-Mail. Obwohl sie nur eine halbe Stunde voneinander entfernt wohnen, verhindern die inneren Grenzen des Westjordanlands gegenseitige Besuche. „Aber ich weiß, dass der Tag kommen wird, an dem ich gemeinsam mit Gila feiern kann“, so Farhat-Naser.

Jörg Bremer, Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, würdigte in seiner Laudatio den Mut der Preisträgerinnen. Über sie werde man später vielleicht einmal sagen, es habe auch jene gegeben, die es besser wussten als die Masse.

Weser Kurier, 23.01.2003


Sie wollen keine Feindinnen sein

Von Eckhard Stengel

Viele Israelis und Palästinenser hassen oder fürchten einander. Zwei Frauen aus der Friedens- und Frauenbewegung machen da nicht mit: „Wir weigern uns, Feindinnen zu sein“, sagen die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser und die Israelin Gila Svirsky. Jetzt wurden sie mit dem „Bremer Solidaritätspreis“ geehrt.

Die beiden Frauen sind in bester Gesellschaft: Erste Preisträger der alle zwei Jahre vergebenen Auszeichnung waren 1988 Winnie und Nelson Mandela. Der SPD-CDU-Senat würdigt so „zwei Frauen, die seit Jahren engagiert und mutig für einen friedlichen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern eintreten“.

Die Biologin und Autorin Farhat-Naser (54), die in Deutschland studierte, hat 1994 die grenzüberschreitende Frauenorganisation „Jerusalem Link“ mit gegründet. Heute organisiert sie Kurse, in denen gelernt wird, Demütigungen, Ängste und Vorurteile zu überwinden. „Um zu überleben, müssen wir am Menschen arbeiten“, sagte sie in Bremen.

Die Übersetzerin Svirsky (56) ist Mitbegründerin der israelisch-palästinensischen „Coalition of Women for a Just Peace“. Sie engagiert sich zudem seit über 15 Jahren bei den „Women in Black“, die jeden Freitag in Israel gegen die Besatzung der Palästinenser-Gebiete demonstrieren.

„Bei uns sind Demonstrationen verboten,“ wirft Farhat-Naser den Besatzern vor. Politische Aktivitäten würden gleich als „terroristisch“ bekämpft. Dörfer würden von der Umwelt abgeschnitten oder seien nur per Maulesel durch den Matsch zu erreichen. Kinder könnten nicht zur Schule, Männer nicht zur Arbeit, Kranke nicht in die Klinik. „Wir sind total wie Geiseln“, sagt die Palästinenserin. Eine der Folgen: „Vor allem die Männer zerbrechen psychisch.“ Farhat-Naser rügt aber auch Yassir Arafat: „Wir brauchen Demokratie, Liberalismus und Freiheit!“ Ein Ende der Besatzung würde nach Svirskys Ansicht auch Israel befreien: vom Terror und vom Verlust der eigenen Humanität beim Umgang mit den Palästinensern. „Die Okkupation tötet uns alle“, glaubt sie.

Ihre Grundsätze: Beide Völker müssten sich als gleichwertig anerkennen, in jeweils eigenen Staaten sicher leben können, sich Jerusalem als Hauptstadt teilen und das Flüchtlingsproblem lösen. „Wir müssen dem anderen das zubilligen, was wir selber wollen“, sagt Farhat-Naser.

An eine Niederlage von Regierungschef Ariel Scharon bei den Wahlen Ende Januar glauben beide nicht – und bedauern das. Svirsky hofft aber, dass sich ein Teil der Arbeitspartei abspaltet und mit anderen linken Gruppen eine neue Partei bildet, die später Chancen hätte.

Beide waren bereits vom PEN-Zentrum Deutschland und dem Hessischen Wissenschaftsministerium mit der Hermann-Kesten-Medaille ausgezeichnet worden. Sie können sich wegen der Absperrungen in den besetzten Gebieten nur im Internet oder im Ausland treffen.

Frankfurter Rundschau, 23.01.2003


Ganz in Schwarz gegen die Panzer

Von Rainer Kabbert

Bremer Solidaritätspreis für Israelin Svirsky und Palästinenserin Naser

Nicht wenige Palästinenser glauben an den Sinn von Sprengstoffgürteln. So wie viele Israelis auf die Macht ihrer Armee vertrauen. Nicht so Gila Svirsky und Sumaya Farhat-Naser. Die Israelin und die Palästinenserin widersetzen sich dem täglichen Wahnsinn in Nahost. Ihr Engagement für einen friedlichen Ausgleich zwischen beiden Völkern ist gestern ausgezeichnet worden. Mit dem achten Bremer Solidaritätspreis.

Für beide hat das Drama in ihrem Land einen Namen: die israelische Besetzung des Gaza-Streifens und des Westjordanlands. „Wissen Sie, wie Hass entsteht“?, fragt Sumaya Farhat-Naser, und gibt selbst die Antwort. Sie beschreibt die Zerstörung der Infrastruktur auf palästinensischem Boden durch die israelische Armee, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, das Verbot politischer Betätigung. „Wir verlieren unsere Menschlichkeit und den Sinn des Lebens“, klagt sie, „und viele meinen, sie hätten nichts mehr zu verlieren. „

So sind zwei Drittel der Menschen auch deshalb ohne Arbeit, weil sie nicht durch das enge Netz israelischer Checkpoints zu ihrem Arbeitsplatz kommen. Auch die promovierte Biologin ist von Ausgangssperren und Ausreiseverboten betroffen. Den Bremer Solidaritätspreis konnte sie gestern nur deshalb persönlich entgegennehmen, weil sich neben Bürgermeister Henning Scherf auch das Auswärtige Amt in Israel für eine Ausreisegenehmigung engagierte.

Wie reagieren? Farhat-Naser wählte weder Terror noch Resignation, sondern den Dialog. Vor acht Jahren hat sie zusammen mit anderen die Frauenorganisation „Jerusalern Link“ gegründet, einen Dachverband zweier israelischer und palästinensischer Zentren für Friedensaktivitäten. In Gesprächsforen lernen Frauen beider Länder, ihre Gefühle auszudrücken, Demütigungen und Ängste zu überwinden. Farhat-Naser (Jahrgang 1948), von 1977 bis 2001 Leiterin des „Jerusalern Centre for Woman“, studierte in Deutschland und ist Buchautorin. „Wir brauchen Freiheit, Demokratie und normale Entwicklung“, fordert sie.
Und einen normalen Alltag. Mit der Israelin Gila Svirsky hat sie sich seit zwei Jahren weder in Jerusalem (Israel) noch Ramallah (Westjordanland) treffen können. Ihr Kontakt, die notwendige Absprache gemeinsamer Aktionen, sind nur noch über das Internet möglich.

Gila Svirsky kann reisen, seit 56 Jahren, wohin sie will. Unter der Situation der Palästinenser leidet sie dennoch. Die Besetzung des Westjordanlands und des Gaza-Streifens durch das Militär ihres Landes empfindet sie als Unrecht, das beendet werden müsse. Dafür geht sie jeden Freitag auf die Straße, seit 15 Jahren. Solange gehört sie zur Gruppe „Woman in Black“, die – ganz in Schwarz gekleidet – an verschiedenen Orten in Israel das Ende der Okkupation fordert. Mal machen Hunderte mit, mal Tausende.

Eine Sisyphus-Arbeit, scheinbar, wenn die aktuelle Krise in ihrem Land betrachtet wird. Doch sie fühlt sich auch bestätigt durch Meinungsumfragen, in denen zwei Drittel der Israelis ein Ende der Besetzung fordern. So widmet sie einen großen Teil ihres Lebens der israelisch-palästinensischen Verständigung und widerspricht der blutigen Logik von Terror und Militäraktion: für die Menschenechte. als (ehemalige) Vorstandsvorsitzende von „Israeli Information Centre for Human Rights in the Occupied Territories“, oder als Direktorin von Bat Shalom, einer Frauenorganisation in „Jerusalern Link“.

Gila Svirsky und Sumaya Farhat-Naser wollen auch nicht akzeptieren, palästinensischen Terror als Rechtfertigung für israelische Militäraktionen zunehmen. „Je brutaler die Armee vorgeht“, meint Svirsky, „umso mehr schlagen die Palästinenser zurück“. Die Alternative könne nur Verhandeln sein, verhandeln für den Frieden.

Und Farhat-Naser will auch das Argument nicht gelten lassen, terroristische Organisationen wie Hamas und Dschihad seien nicht an Gesprächen interessiert, sondern nur an der Vernichtung Israels. Ein Hamas-Aktivist antwortete ihr einmal, als sie das Ende des Terrors forderte: „Wir hassen es, aber kannst du uns eine politische Perspektive geben?“ Solange die Palästinenser ihren Staat nicht bekommen, davon ist Farhat-Naser überzeugt, werden Hamas und Dschihad immer stärker. Dem wollen sie ein starkes Motto entgegensetzen: „Wir weigern uns, Feindinnen zu sein.“

Weser Kurier, 23.01.2003


Solidaritätspreis setzt ein Friedenszeichen

Die erste Bremer Auszeichnung ging vor 14 Jahren an Winnie und Nelson Mandela.

Bremen. Bremen will mit der Verleihung des 8. Solidaritätspreises an eine Israelin und eine Palästinenserin ein Zeichen setzen, das über die Stadt hinausreicht. Das jedenfalls wünschte sich Bürgermeister Henning Scherf bei der Preisverleihung am Mittwoch im Rathaus.

Die Auszeichnung ist eine konsequente Fortsetzung bremischer Bemühungen um das friedliche Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlicher Religionen. Scherf betonte, die freundschaftliche Zusammenarbeit der beiden Preisträgerinnen dokumentiere symbolisch das ebenfalls freundschaftliche Zusammenleben von Palästinensern und Israelis, von Muslimen und Juden in der Hansestadt.

Gila Svirsky aus Israel und Dr. Sumaya Farhat-Naser aus Palästina setzen sich seit vielen Jahren für Dialog und Frieden im Nahost-Konflikt ein. Beide berichteten gestern bei einer Vortragsveranstaltung über ihre Erfahrungen.

Sumaya Farhat Naser ist Mitbegründerin und Leiterin des „Jerusalem Link“, einer Institution, in der palästinensische Frauen des „Jerusalem Centre for Women“ und israelische Frauen des „Bat Shalom“ zusammenkommen und in Gesprächsforen lernen, Vorurteile abzubauen.

Gila Svirsky ist unter anderem Direktorin des „Bat Shalom“ und Gründungsmitglied der „Coalition of Women for a Just Peace“. Seit 15 Jahren demonstriert sie regelmäßig mit ihrer Gruppe „Women in Black“ gegen die Besatzung der palästinensischen Gebiete.

Der Bremer Solidaritätspreis wird seit 1988 in zweijährigem Abstand verliehen. Erste Preisträger waren Winnie und Nelson Mandela. In jedem Fall werden Menschen ausgezeichnet, die sich in ihrem Land gegen Unterdrückung und Gewalt wehren.

Der Bremer Preis ist mit 5000 Euro dotiert. Außerdem wird eine Skulptur des bekannten Bildhauers Bernd Altenstein überreicht, die eine Menschengruppe zeigt, die aus getretenen, stürzenden, am Ende sich aufrichtenden Menschen besteht.

hpb, Nordwest Zeitung, 24.01.2003


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