Feb 212012
 

Die Blutbrüder

Samwer-Brüder sind die erfolgreichsten Internetunternehmer Deutschlands. Mit ihrem aggressiven Managementstil haben sie sich viele Feinde gemacht Das allerdings ist ihnen egal – sie haben ja sich

Von Andrea Rungg

„Ich gebe Euch all mein Geld, um zu gewinnen, ich schenke Euch Vertrauen, aber ihr kommt erfolglos zurück“, wütete Oliver Samwer auf Englisch unlängst in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. „Wenn ich sehe, dass Ihr mein Geld verschleudert, dass Ihr nicht typisch deutsch detailorientiert seid, dass Ihr nicht schnell genug seid, dass Ihr nicht aggressiv seid, nicht Daten getrieben, dass Ihr die Logistik schlecht macht, dass Ihr Inventar schnell hochladet, falsch einkauft, dann werde ich wütend und so vorgehen wie in Russland, wo nun keiner mehr das Unternehmen führt und ich Tonnen von Geld verloren habe und die Gründer 50 Prozent ihrer Anteile verloren und für sechs Monate kein Gehalt haben. Jeder hat seine Mission zu erfüllen.“

Willkommen in der Welt der Samwers, willkommen in einer von Ehrgeiz und Siegeswillen getriebenen Welt.

Beherrscht wird diese Welt von den Brüdern Marc, Oliver und Alexander, 41,39 und 36 Jahre alt Sie sind die erfolgreichsten Internetunternehmer Deutschlands und Europas. Sie gelten als Klonmeister funktionierender Onlinegeschäftsmodelle, perfektionistisch bis ins Detail, manchmal besser als das Original. Sie haben Millionen verdient Sie waren an den Onlinenetzwerken Linkedin und Face-book beteiligt und am Onlinespielehersteller Zynga. Ihnen gehören 6,2 Prozent am Gutscheinvermark-ter Groupon und mit der deutschen Plattform Za-lando treiben sie gerade ihren nächsten Coup voran. Die Samwers werden international bewundert, respektiert – und gefürchtet.

„Sie gehen über Grenzen, die andere nie überschreiten würden. Es verdient sehr viel Respekt, wie sie das aufgebaut haben“, sagt einer, der die drei kennt. „Die Internetszene in Deutschland wäre ohne die Samwers heute nicht da, wo sie jetzt ist“, sagt ein anderer. Das ist die leuchtende Seite des Trios. Aber es gibt eben auch die andere, die dunkle Seite. Die Samwers gelten als machtbesessen und skrupellos. „Ihr Kommunikationsstil ist weit weg von dem, was man allgemein für akzeptabel hält“, heißt es. Oliver Samwers E-Mail belegt das besser als alles andere.

Marc Samwer
Urheber: caterinaLizenz:  CC BY 2.0Foto bearbeitet: Christoph Gäbler

 Von außen betrachtet leben die drei eine Unternehmenskultur, die sich am besten so umschreiben lässt: Gute Manager kommen in den Himmel, böse überall hin. Sie seien mit Blut gesäugt worden, nicht aber mit Muttermilch, ist eine gern zitierte Meinung über die Brüder. Wegbegleiter wollen selten offen über die Samwers reden, sie selber nicht viel Aufhebens um sich machen.

Aufgewachsen sind die drei in Köln, sie machten Abitur mit der Note Eins, studierten unter anderem in Harvard, Oxford und in Koblenz. Die Initialzündung für den weiteren Weg dürfte die Diplomarbeit von Oliver Samwer gewesen sein, dem Mittleren der drei: „Amerikas erfolgreichste Startups – Lektionen für Unternehmer“.  Gemeinsam mit einem Freund interviewte er 1998 dafür 100 Gründer, Investoren und Investmentbanker – ein Fundus, aus dem die Brüder lange schöpften. Anders als bei vielen Größen der Branche fasziniert sie nicht das Technische, das Programmieren, sondern das Geschäft.

Es folgte ihr erster großer Coup: Am 1. März 1999 gründeten die drei gemeinsam die Auktionsplattform Alando, eine Kopie des US-Vorbilds Ebay. Nicht einmal vier Monate später kauften die Amerikaner den Klon – für 45 Mio. Dollar. Es sollte das Startkäpital für den Aufstieg werden. Von nun an gründeten die Bruder Unternehmen auf Unternehmen, investierten sebst in Startups und bauten mit Rocket Internet eine Brutstätte für Gründer auf. Nun folgt die nächste Phase: Internationalisierung.

Die Entscheidungen für ihre Investments treffen die drei nur gemeinsam, erzählt einer, der sie kennt. „Sie treten geschlossen auf, es gibt keinen öffentlichen Zwist“, heißt es. Es herrsche zwischen ihnen blindes Vertrauen, wobei Oliver meist das letzte Wort habe. Alexander, das größte Brain, sei weniger ambitioniert, er sei im Schatten Olivers zufrieden. Marc, der Älteste, jsei ähnlich ehrgeizig wie Oliver, doch am Ende würde auch er Oliver meist folgen. „Sie sind extrem eng in ihre Denke“, beschreibt ein Vertrauter ihre Zusammenarbeit. Oliver sei der Antreiber, Marc der Außenminister und Alexander der scharfe Analytiker. Vor allem aber wollten sie immer alles unter Kontrolle haben. Und sie vertrauen am Ende nur sich selbst.

Die E-Mail von Oliver Samwer, dem Antreiber, dokumentiere am Besten, wie die drei ticken, heißt es in der Branche. Es ist eine Nachricht an die Teams in Indien, Australien, Südafrika und Südostasien, wo die Samwers gerade die Expansion ihres Lieblingsprojekts Zalando vorantreiben, einer Kopie des US-Online-Schuhhändlers Zappos. Sie wittern ein Milliardengeschäft und wollen die Schwellenländer erobern, mit aller Macht.

Nur 20 Prozent hätten die Teams bislang von seiner Strategie umgesetzt, wütet Oliver Samwer in der Mail. „Und erzählt mir nicht, dass Ihr bereits der Strategie folgt.“ Er fordert „Aggressivität“, „eine Blitzkrieg-Invasion“, Geschäftspläne, die „mit Eurem Blut unterschrieben sind“. Sie sollen Talente von McKinsey und Goldman Sachs abwerben, sich nur mit den Besten der Besten abgeben. Als die Mail beim Technologieblog Techcrunch landete, entschuldigte Samwer sich öffentlich für die Wortwahl.

Dabei ist es längst nicht das erste Mal, dass die martialische Kriegsrhetorik und der rüde Managementstil der Brüder in die Kritik gerieten. Weil die Samwers mit Geschäftspartnern und Mitarbeitern nie zimperlich umgegangen seien, heißt es in der Branche, sei man es auch nicht mit ihnen.

Es gibt viele Geschichten, die für die Samwers wenig schmeichelhaft sind. Da wäre etwa jene, als sie die Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüng-mann ausgetrickst haben sollen. 2006 wollten sie gemeinsam einen Venture-Fonds in Höhe von 80 bis 100 Mio. Euro auflegen. Die Strüngmanns sollten 80 Pozent der Summe tragen, die Samwers den Rest. Vor allem aber sollten sie entscheiden, wie das  Geld am besten eingesetzt werden könnte. Es muss-ten noch Vertragsdetails geklärt werden, die Strüngmanns überwiesen schon mal 10 Mio. Euro. Ein Teil des Geldes sollte in das Onlinenetzwerk StudiVZ fließen, eine Kopie von Facebook.

Die Samwers überwiesen das Geld irgendwann jedoch wieder zurück. Man brauche es nicht mehr. Wenig später kassierten sie an der Übernahme von  StudiVZ durch die Holtzbrinck-Gruppe für angeblich 85 Mio. Euro mit. Bis heute dürften nur die Samwers mit dem Deal glücklich geworden sein. StudiVZ spielt keine Rolle mehr.

So ist es fast immer: Die Samwers gewinnen, und der Rest hat das Nachsehen. „Das eigene Geld lässt ihnen freie Hand. Sie haben die Mittel und sie setzen sie da ein, wo sie vorher die Spielregeln selbst festgezurrt haben“, erklärt ein Vertrauter.

An Geld dürfte es den Blutsbrüdern tatsächlich nicht mangeln. 43 Mio. Dollar aus dem Verkauf von Alando, 273 Mio. Dollar aus dem Verkauf des Klingeltonanbieters Jamba an den US-Konzern Verisign, 45 Mio. Dollar aus der Veräußerung der Facebook-Anteile und, und, und. Nebenbei hat das Aktienpaket an Groupon einen Wert von knapp 950 Mio. Dollar. Und bei Zalando halten sie mehr als 50 Prozent der Anteile. Geschätzter Gesamtwert des Unternehmens: mehr als 1 Mrd. Euro.

Doch es ist nicht so, als ob die Samwers nur mit Geld herumjonglieren. Sie reisen um die Welt, schreiben Hunderte Mails am Tag, telefonieren nächtelang. Sie sind die Mikromanager. „Sie selber verlangen von sich das Gleiche wie von anderen“, sagt ein Geschäftspartner.

Marc baut für Groupon das internationale Geschäft auf, in dem immerhin 7000 der 10.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Oliver managt Zalando und Groupon, und Alexander soll sich auf Zalando fokus-sieren. So hat jeder seine Sphären.
Als im Januar Hubert Burda die Konferenz Digital Life Design veranstaltete, schauten auch Marc Samwer, der Außenminister, und Oliver Samwer, der Antreiber, vorbei. Alexander blieb wie meist im Hintergrund. Marc, der Menschen schnell für sich einnehmen kann, begleitete Groupon-Chef Andrew Mason, kündigte ihn auf der Bühne an und zeigte ein paar Folien, Tenor: Es läuft bombig.
Dennoch provozierte der Moderator Mason später, zweifelte an Groupons Geschäftsmodell. Mason wehrte die Angriffe ab. An der Seitenwand stand Marc Samwer und applaudierte. „Marc, darf ich dich mal kurz in Verlegenheit bringen?“, fragte Mason vom Podium herab und schob ein „Sony“ nach.
Manchmal würde er über ihren Ruf als Kloner lesen, so Mason. Er habe auch mal negativ darüber gedacht „Aber was die Menschen verstehen müssen: Die Idee ist der einfache Part einer Unternehmensgründung, die Umsetzung ist das Schwere. Marc und Olli sind die besten Unternehmer, die ich jemals gesehen habe. They are inhuman.“ Mason meinte wohl, sie seien „„übermenschlich“, wörtlich könnte es auch „unmenschlich“ heißen.

„Am Ende zählt nur eins: ob man am Markt die beste Firma aufbaut hat“, sagte Oliver Samwer einmal. Seine Mail endete so: „Ich bin auf diesem Planeten der aggressivste Typ im Internet. Ich werde sterben, um zu gewinnen, und ich erwarte dasselbe von Euch!“

Financial Times Deutschland vom 09.02.2012

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