Jul 232014
 

Interview Krim

Frau Vollmer, zweifeln sie noch, dass die Krim ein Teil Russlands wird? 

Leider nein, da ist zu viel in der Vorphase schief gelaufen.

Welchen Sinn machen dann Drohungen mit Sanktionen oder der Ruf nach Härte gegen Putin, den man auch von den Grünen hört? 

Sanktionen sind immer eine primitive Maßnahme, die Gerechte und Ungerechte trifft und deren gewünschte Wirkung selten eintrifft.

Reisebeschränkungen und gesperrte Konten sollen doch nur jene treffen, die Verantwortung tragen. 

Viel Glück beim Trennen der Westkonten der bösen von denen der guten Oligarchen! Das enthebt uns auch nicht der Pflicht, die Ursachen dieses Konflikts genau zu analysieren. Mir scheinen in diesem Zusammenhang, und das sage ich mit großer Trauer, auch die Grünen sehr geschichtsvergessen. Sie agieren, als kennten sie kein Gestern und kein Morgen, sondern nur den euphorischen Moment der eigenen guten Gesinnung. Das ist politischer Narzissmus, Selbstverliebtheit, aber keine Lösung des realen Konflikts.

Was ist denn in Vergessenheit geraten? 

Derzeit wird viel an den ersten Weltkrieg erinnert. Der ist vom Zaun gebrochen worden ohne Kriegsziele, ohne Kriegswillen. Er ist auch deswegen ausgebrochen, weil verantwortliche Politiker sich leichtfertig in eine Fehleinschätzung der Lage und in gesteigerte Ressentiments hineingesteigert haben. Von diesem Baum sind sie dann nicht wieder heruntergekommen. Die Grünen heute ähneln da der Rolle der SPD im Jahre 1914. Im Augenblick ist es nach meiner Überzeugung die wichtigste Aufgabe, die Politiker auf beiden Seiten des gerade neuentstehenden eisernen Vorhangs von diesen Bäumen der Hysterie wieder herunterzukriegen. 

Wie erklären Sie sich ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des kalten Krieges diesen Rückfall in Konfrontation und Blockdenken? 

Noch einmal zurück, diesmal zum Ende des ersten Weltkriegs: Der Versailler Vertrag hatte ignoriert, dass die Sieger eines Krieges die Besiegten in eine friedliche Nachkriegsordnung einbinden müssen. Es folgte in ganz Europa eine Periode sich steigernder Destabilität. Nach 1989 bestand der Fehler des Westens ebenfalls darin, dass er der Sowjetunion, die den Kalten Krieg verloren hatte, keine Rolle in einer solchen Friedensordnung angeboten hat, obwohl sie darauf einen legitimen Anspruch gehabt hätte. Immerhin hat sie viele Länder des östlichen Europas gewaltfrei und ohne Blutvergiessen aus ihrem Machtbereich in die Freiheit ziehen lassen. Das hätte man honorieren müssen. Stattdessen fand Gorbatschow keinen Partner für seine Idee des „gemeinsamen Hauses Europa“ im Westen. Putin ist die Antwort auf die historische Erfahrung der vielen Peinlichkeiten und Demütigungen der Jelzin-Zeit. Das gefällt mir auch nicht, aber ich kann es begreifen.

Wie helfen historische Analysen in dieser aktuellen Situation? 

Wir müssen unsere Ziele bestimmen: Wir wollen keinen Krieg und die Ukraine soll eine weitgehend ungeteilte und selbstständige Entwicklung nehmen. Immerhin hat sogar Henry Kissinger gesagt, er kann sich keine Ukraine in der Nato vorstellen. Wir müssen anfangen, den Russen eine Perspektive auf eine wirklich vertrauensvolle Kooperation mit dem Westen zu geben. Dafür muss der Westen auf seinen Triumphalismus verzichten. 

Nimmt sich Russland auf der Krim das Vorgehen des Westens im Kosovo zum Vorbild? 

Ich habe immer gewusst, dass wir für den Bruch des Völkerrechts im Kosovo-Krieg irgendwann von Russland oder China die Rechnung vorgelegt bekommen.

In Kiew begann alles als zivilgesellschaftliche Bewegung Richtung EU. Jetzt behaupten einige, der Maidan sei von Faschisten unterwandert. 

Es ist völlig unsinnig, den Maidan zu einer rechtsradikalen Bewegung zu erklären. Aber der Protest ist durch leichtfertige Ermutigungen und Versprechungen, die der Westen nie einhalten kann, eskaliert. In diesem Moment fehlten ernsthafte Berater, echte Freunde.

Eine dieser Beraterinnen ist Ihre Parteifreundin Rebecca Harms. 

Sie hat zweifellos seit den Zeiten von Tschernobyl gute Freunde in Kiew. Die Zuspitzung der grünen Position durch sie und Marieluise Beck halte ich jedoch für verheerend. Plötzlich finden sich die Grünen in ihren Forderungen rechts von Egon Bahr, Henry Kissinger und Helmut Kohl wieder. Grüne Politik begann aber immer damit, Bomben und Feindbilder im eigenen Kopf zu entschärfen und Auswege aus Konfrontationen zu suchen, die die andere Seite auch realistisch gehen kann – mit Vernunft und Kenntnis der gesamten Lage.

Am Ende bleibt die Frage: Was tun?

Ein Ziel wäre es, die Zeit zwischen dem Sonntag und den ukrainischen Wahlen im Mai, die dann hoffentlich eine legitime Regierung aller ukrainischen Kräfte bringen werden, nicht mit weiteren Eskalationen und Boykotts zu füllen. Stattdessen müssen Pläne und Kontakte entwickelt werden, um die Ukraine politisch und kulturell zusammenzuhalten. Die EU hat sehr leichtfertig Versprechungen gemacht. Wir bringen nicht einmal das Geld für einen Marshall-Plan für Griechenland auf, wir werden nicht fertig mit der Korruption und den Oligarchen in Rumänien und Bulgarien und trauen uns mal eben zu, die Ukraine zu beglücken. Das ist nicht glaubwürdig. 

Berliner Zeitung vom 13.03.2014, das Gespräch führte Frank Herold 


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