Mai 052016
 

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Heckler & Koch unter Verdacht

Von Wolf-Dieter Vogel

Benutzten die Mörder der 43 Studenten in Mexiko deutsche Waffen? 36 Gewehre von Heckler & Koch wurden jüngst beschlagnahmt.

Haben Polizisten im mexikanischen Bundesstaat Guerrero mit Waffen, die illegal aus Deutschland in die Region gelangten, auf Studenten geschossen? Eine Liste der Strafverfolger, die der taz vorliegt, bestätigt: Nach dem blutigen Angriff von Polizeibeamten und Mafia-Killern auf die jungen Männer in der Stadt Iguala beschlagnahmten die Ermittler 36 Gewehre der Rüstungsschmiede Heckler & Koch (H & K) – Waffen, die laut Exportgenehmigung nie nach Guerrero hätten gelangen dürfen.

Bei der Attacke vom 26. September starben sechs Personen, nachdem Polizeibeamte und Mitglieder der Bande „Guerreros Unidos“ (Vereinigte Krieger) Busse ge-stoppt und mehrmals auf eine Menschenmenge geschossen hatten. Später übergaben die Polizisten 43 festgenommene Lehramtsanwärter den Kriminellen. Wahrscheinlich wurden alle hingerichtet.

Den Befehl zu dem Einsatz gab der Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca, dessen Frau selbst zu den Vereinigten Kriegern zählte. Geleitet hat die Aktion der örtliche Polizeichef Felipe Flores Velázquez. Alle drei werden für die Taten verantwortlich gemacht. Während Abarca und dessen Gattin Anfang November verhaftet wurden, befindet sich Velázquez auf der Flucht. Nach Angaben des Generalstaatsanwaltes Jesús Murillo Karam hat allein die Polizei monatlich über 50.000 Euro von den Guerreros Unidos bekommen, eine ähnliche Summe erhielt demnach Abarca.

Am Tag nach dem Angriff wurden 19 lokale Polizisten verhaftet, die Schmauchspuren aufwiesen und folglich in der Nacht geschossen hatten. Insgesamt sitzen mittlerweile 80 mutmaßliche Mittäter im Gefängnis. Zudem beschlagnahmten die Strafverfolger 228 Schusswaffen aus dem Lager des Polizeichefs Velázquez, 97 davon waren Gewehre. Darunter befanden sich neben italienischen und USamerikanischen auch 36 Waffen des Typs G36 von H & K. Das geht aus einer Liste der sichergestellten Gegenstände der Staatsanwaltschaft hervor.

Seit viereinhalb Jahren keine Anklage erhoben

„Ob und wie viele der G36 in der Nacht benutzt wurden, wissen wir nicht“, erklärte ein Menschenrechtsverteidiger der taz. Nach Angaben der Ermittler kamen insge-samt 30 Waffen zum Einsatz. Alle drei Gewehre haben jedoch dasselbe Kaliber, sodass der Nachweis anhand der Patronenhülsen schwerfällt.

Außer Zweifel aber steht: Der korrupte Bürgermeister Abarca sowie dessen Polizeichef verfügten über G36-Gewehre, die illegal in die Region geliefert wurden. H & K hatte für vier Bundesstaaten, unter ihnen Guerrero, wegen der schwierigen Menschenrechtslage explizit keine Exportgenehmigung. Warum dennoch allein 1.924 der Gewehre in Polizeibehörden dieses Bundeslandes landeten, sollte eigentlich seit viereinhalb Jahren die Stuttgarter Staatsanwaltschaft klären.

Schon im April 2010 hatte der Pazifist Jürgen Grässlin Anzeige gegen das Unternehmen gestellt, doch bis heute haben die Strafverfolger keine Anklage erhoben. Aussagen aus einem anderen Verfahren verweisen jedoch darauf, dass H & K-Mitarbeiter gezielt Exportpapiere gefälscht haben, um den widerrechtlichen Verbleib zu vertuschen.

Für Grässlins Anwalt Holger Rothbauer sind die jetzt aufgetauchten G36 ein „weiterer trauriger Beweis“ dafür, dass H & K gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen hat. „Ich erwarte, dass nun bald das Strafverfahren beim Stuttgarter Landgericht eröffnet wird“, sagte der Tübinger Jurist.

Bereits 2011 trugen Polizisten in Guerrero die G36 im Einsatz gegen Studenten derselben pädagogischen Fachschule. Damals starben zwei Lehramtsanwärter durch Polizeikugeln. Mit welcher Waffe geschossen wurde, ist bis heute nicht geklärt.

Quelle: taz vom 10.12.2014


Studentenmassaker in Mexiko

Von Wolf-Dieter Vogel

Beim gewaltsamen Vorgehen gegen die Studenten von Iguala kamen wahrscheinlich auch G36-Gewehre aus deutscher Produktion zum Einsatz.

Die Polizeibehörde der südmexikanischen Stadt Iguala verfügt über mehr deutsche Gewehre als bislang angenommen. Zudem spricht alles dafür, dass die Waffen der Rüstungsschmiede Heckler & Koch (H & K) bei einem Massaker auf Studenten im September letzten Jahres im Bundesstaat Guerrero im Einsatz waren. Das geht aus Dokumenten hervor, die der taz vorliegen.

Die Angehörigen der jungen Männer, die seit dem Angriff vermisst werden, führen die Suche nach ihren Söhnen oder Brüdern indes fort. Seit mehreren Tagen durchkämmen sie die Region rund um Iguala. Sie hoffen noch immer, die Vermissten lebend aufzufinden.

Sechs Menschen starben und 43 verschwanden am 26. September bei einem gemeinsamen Angriff lokaler Polizisten und Söldner der Mafia gegen die Studenten. Am nächsten Morgen fanden die Strafverfolger in der örtlichen Polizeibehörde über 200 Waffen – darunter auch 37 Sturmgewehre vom Typ G36 der Firma H & K, für die es keine Exportgenehmigung in diese Region gab. Die Ermittler sahen keine Notwendigkeit, die Pistolen und Gewehre mitzunehmen, und führten die Untersuchungen vor Ort durch.

Eine Liste aller bei der Polizei verfügbaren Waffen bestätigt, dass die Polizisten Zugang zu weiteren 18 H-&-K-Sturmgewehren hatten, die aber an jenem Tag nicht überprüft wurden. Sechs der Beamten, die wegen des „Mordes mit Feuerwaffen“ angeklagt sind, hatten laut Ermittlungsakten Zugang zu den G36. Die Gewehre werden ihnen sogar innerhalb der Behörde explizit zugeordnet. Bei den Verhafteten wurden Schmauchspuren festgestellt. Es spricht also vieles dafür, dass sie die Waffen in der Nacht auch trugen und einsetzten.

Ströbele will keine weiteren Rüstungsexporte nach Mexiko

Dennoch widersprach der mexikanische Außenminister José Antonio Meade dem Verdacht, die Gewehre seien zum Einsatz gekommen. Auch seien diese nicht sichergestellt worden. „Ich verfüge über keine Erkenntnisse, die mir erlauben, dies zu bestätigen“, sagte er vor seinem Deutschlandbesuch am Dienstag. Der Politiker wird sich in Berlin auch mit einem umstrittenen Polizeiabkommen zwischen den beiden Staaten beschäftigen.

Mexikanische Menschenrechtsverteidiger kritisieren die geplante Zusammenarbeit. Da viele föderale, bundesstaatliche und lokale Sicherheitskräfte mit den Kartellen zusammenarbeiten, befürchten sie, dass damit neue Söldner für die Mafia ausgebildet werden. Sowohl die Grünen als auch die Linken im Bundestag fordern, dass das Vorhaben auf Eis gelegt wird.

Letzte Woche war bekannt geworden, dass in den Exportdokumenten für die in Iguala gelandeten G36-Gewehre falsche Angaben gemacht wurden. Das geht aus einem Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums an den grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele hervor.

Das mexikanische Verteidigungsministerium gab an, dass die Sturmgewehre nur in Bundesstaaten gegangen seien, für die eine Ausfuhrgenehmigung vorlag. Also nicht nach Guerrero. Das aber hatte ein Abgleich der Nummern der Waffen mit der sogenannten Endverbleibserklärung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) ergeben. „Damit hat das mexikanische Empfängerland gegen die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern verstoßen“, kritisiert Ströbele. Er fordert, keine weiteren Rüstungsexporte nach Mexiko zu genehmigen.

Geschönte Papiere

Mit Endverbleibserklärungen bestätigen Käufer, dass importierte Rüstungsprodukte den genehmigten Weg gehen. „Der aktuelle Fall beweist, dass Endverbleibserklärungen völlig wertlose und manipulierbare Dokumente sind“, reagierte der Rechtsanwalt Holger Rothbauer auf die geschönten Papiere.

Bereits im April 2010 hat der Jurist für den Friedensaktivisten Jürgen Grässlin bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anzeige gegen H & K gestellt. Grässlin wirft H & K vor, dass etwa die Hälfte von knapp 10.000 der zwischen 2006 und 2009 ausgeführten Gewehre in die „verbotenen“ Regionen geliefert wurden. Nach Angaben des BMWi ist seit Einleitung des Ermittlungsverfahrens die Bearbeitung von Exportanträgen von H & K nach Mexiko ausgesetzt.

Quelle: taz vom 20.01.2015


Spielfilm „Meister des Todes“

Von Wolf-Dieter Vogel

Dieser Film könnte Ermittlungen beeinflussen: Regisseur Daniel Harrich verfügt über exklusive Erkenntnisse über die G36-Sturmgewehre.

Der Meister des Todes kommt aus Deutschland. Aus einer wohlhabenden Kleinstadt in Baden-Württemberg. Dort stellt der mittelständische Betrieb HSW das Sturmgewehr SG38 her. Alle gehören zur HSW-„Familie“, der Geschäftsführer und der Verkaufsleiter ebenso wie die Arbeiterin und die Nachbarn. Es lebt sich gut vom Bau von Schusswaffen aller Art.

Wer aber ausschert, wird kalt gestellt. So wie Peter Zierler, der das alles nicht mehr erträgt: die fragwürdigen, wenn nicht rechtswidrigen Methoden der Firmenleitung, die Gleichgültigkeit seiner Freunde und vor allem die Tatsache, dass er für ein Produkt wirbt, mit dem weit entfernt Oppositionelle getötet werden.

Der exzellente Schütze hat es mit eigenen Augen gesehen: Kaum hat er Polizisten im mexikanischen Bundesstaat Guerrero an dem Gewehr eingelernt, setzen die Beamten die Waffe gegen Studenten ein. Zwei Menschen sterben. Der „Meister des Todes“, wie ein Friedensaktivist das SG38 gegenüber Zierler nennt, hat wieder einmal seine Aufgabe erfüllt.

Ein Sturmgewehr SG38 gibt es im wirklichen Leben nicht, ebenso wenig ein Rüstungsunternehmen namens HSW. Auch Peter Zierler, dargestellt von Hanno Koffler, hat eigentlich einen anderen Namen. Dennoch erinnert der Spielfilm „Meister des Todes“ von Regisseur Daniel Harrich an einen tatsächlichen Fall: an den illegalen Export von G36-Sturmgewehren der Waffenschmiede Heckler&Koch (H&K) in mexikanische Bundesstaaten, für die keine Exportgenehmigung vorlag.

Geschönte Dokumente

Der Politkrimi zeigt, wie in Rüstungsgeschäften Dokumente geschönt, fragwürdige Absprachen mit Politikern getroffen und Waffen in „verbotene“ Regionen geliefert werden. Zudem stellt er dar, was deutsche Gewehre in Bürgerkriegsregionen wie Guerrero anrichten. Heute wird der „Meister des Todes“ auf dem Münchner Filmfest erstmals aufgeführt, im September läuft die Gemeinschaftsproduktion von SWR, BR und ARD-Degeto im ARD-Abendprogramm.

Der Politkrimi dürfte für allerlei Aufregung sorgen, denn Harrich arbeitet wie schon bei seinem letzten Spielfilm „Der blinde Fleck“ über das Oktoberfestattentat von 1980 mit Informationen, die zuvor noch nicht bekannt waren. Im Fall des Münchner Terroranschlag führten die neuen Erkenntnisse dazu, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen nach 35 Jahren wieder aufgenommen hat.

Der „Meister des Todes“ greift in aktuell laufende Verfahren ein: Unter anderem ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft seit fünf Jahren wegen des Mexiko-Deals gegen Heckler&Koch. Damals hat der Friedensbewegte Jürgen Grässlin die Firma angezeigt. Sein Vorwurf: H&K hat gegen das Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen.

Harrichs Recherchen, die auf die Arbeit des Aktivisten sowie die journalistischer Kollegen aufbaut, könnten nun in das Stuttgarter Verfahren einfließen. Zumal die Strafverfolger im Sommer endlich entscheiden wollen, ob sie wegen des Mexiko-Geschäfts Anklage gegen die Waffenbauer erheben.

Publizistische Interventionen

Ein Spielfilm, der Ermittlungen beeinflusst? Das klingt ungewöhnlich, doch Harrich verfügt über Dokumente, die im Film inszenierte Gespräche faktisch untermauern. Publizistische Interventionen spielen in diesem Verfahren schon immer eine zentrale Rolle. Bislang haben Journalisten und Friedensaktivisten dafür gesorgt, dass die Ermittlungen nicht im Sande verlaufen. Nach einer SWR-Reportage durchsuchten die Staatsanwälte 2011 den Sitz von H&K in Oberndorf am Neckar.

Danach veröffentlichte die taz eine Liste des mexikanischen Verteidigungsministeriums, die bewies, dass etwa die Hälfte der ca. 10.000 gelieferten G36-Gewehre in die „verbotenen“ Bundesstaaten gelangt war. Zudem bestätigten taz-Recherchen, dass die Waffen in Guerrero bei tödlichen Angriffen eingesetzt wurden. Zuletzt am 26. September letzten Jahres, als Polizisten und Kriminelle in der Stadt Iguala sechs Menschen töteten und 43 Studenten verschleppten, die wahrscheinlich ermordet wurden.

Ein Abgleich der Waffennummern bestätigte: Laut Endverbleibserklärung wurde keines der G36-Gewehre, das in Iguala zum Einsatz kam, nach Guerrero geliefert. Die Dokumente, mit denen das mexikanische Verteidigungsministerium den vereinbarten Verbleib der exportierten Güter nachweisen musste, waren gezielt „angepasst“ worden.

Hier knüpft Harrich an: Was wussten die deutschen Behörden über den widerrechtlichen Verbleib der Waffen? Oder besser: Was wollten sie wissen? „Wir würden dahingehend auf Sie einwirken wollen, dass sie die Krisenstaaten in ihrer Endverbleibserklärung streichen“, empfiehlt im Film ein Beamter des Bundesausfuhramtes den Waffenbauern. Deutlicher wird deren Kollege aus dem Bundeswirtschaftsministerium: „Wer weiß schon, was der Mexikaner denkt oder tut.“ Der HSW-Verkaufsleiter, der von Heiner Lauterbach gespielt wird, weiß das richtig zu interpretieren: „Was die in Mexiko damit machen, interessiert in Berlin niemand.“ Er schlägt vor, die Dokumente entsprechend anzupassen.

Die Treffen im Bundesausfuhramt, die Gespräche in Berliner Ministerien und die Smalltalks mit hohen Militärs beim Empfang in der Deutschen Botschaft in Mexiko-Stadt – es sind diese fiktionalisierten Szenen, die einen Eindruck von den Absprachen zwischen Rüstungsmanagern, Exportbürokraten und Politik vermitteln. Viele der Konversationen basieren offenbar auf Originalzitaten. Sie könnten dazu führen, dass neben H&K-Verantwortlichen auch Exportbeamten und politische Vertreter auf der Anklagebank des Stuttgarter Landgerichts sitzen.

Überwachung von Journalisten

Dass die Firma über beste Kontakte in die Regierung verfügt, bestätigten auch jüngst bekannt gewordene Versuche des Unternehmens, über das Verteidigungsministeriums den Militärischen Abschirmdienst zur Überwachung von JournalistInnen einzuspannen, die kritisch über H&K berichten. Interne Dokumente des Ministeriums, die der taz vorliegen, legen darüber hinaus nahe, dass politische Beamte die Waffenbauer protegieren. So wiesen Berichte aus Afghanistan und interne Untersuchungen immer wieder auf Qualitätsmängel beim G36 hin, die von hochrangigen Mitarbeitern jahrelang heruntergespielt wurden.

Hier korrupte Absprachen in Berliner Ministerien, auf Schwarzwälder Bierfesten oder in mexikanischen Kasernen, da tote Studenten und eine an der Gewalt verzweifelnde Bevölkerung – Harrich vereint die widerlichsten Aspekte des deutschen Waffenexports in einem Film, der wegen seiner relativen Nähe zur Realität durchweg spannend bleibt. Zwei seiner Protagonisten entwickeln sich zu tragischen Figuren, die von der „Familie“ verstoßen werden. Schütze Zierler wird in seiner Heimatstadt terrorisiert, weil er für die Veröffentlichung der kriminellen Machenschaften von HSW sorgt, Verkaufsleiter Stengele wird von seinen Vorgesetzten ausgetrickst.

Eben fast wie im richtigen Leben: Da gilt ein ausgestiegener Waffenexperte, der einst Kunden in aller Welt die Vorzüge des G36 nahebrachte, als Kronzeuge im Stuttgarter Verfahren. Und ein Handelsbeauftragter wird gekündigt, weil die Firmenleitung ihn für den Mexiko-Deal verantwortlich machen wollen, um sich selbst zu schützen.

Bleibt die Frage, warum nur illegale Rüstungsgeschäfte den Stoff für solche Politkrimis liefern. Auch mit den legal nach Mexiko gelieferten Waffen gehen Polizisten und Killer der Mafia gegen Studenten, Kleinbauern oder Indigene vor. Genau heute vor einem Jahr verübten Soldaten unweit von Mexiko-Stadt ein Massaker, bei dem mindestens elf unbewaffnete Menschen hingerichtet wurden. Mit im Einsatz waren Sturmgewehre vom Typ G3, dem Vorgänger des G36. Die Waffe wurde lange in Mexiko produziert. H&K verdiente mit.

Quelle: taz vom 30.06.2015


Mexiko-Deal kommt vor Gericht

Von Wolf-Dieter Vogel

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen frühere Mitarbeiter von Heckler & Koch. Der Grund sind G36-Lieferungen nach Mexiko.

Der Mexiko-Deal des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch (H & K) kommt vor Gericht. Fünfeinhalb Jahre nachdem gegen die Firma Anzeige gestellt wurde, hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen sechs ehemals für H & K tätige Personen Anklage erhoben, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Die Beschuldigten sollen mit dafür verantwortlich sein, dass Sturmgewehre vom Typ G36 zwischen 2006 und 2009 illegal in mexikanische Bundesstaaten geliefert wurden.

Der taz liegen Unterlagen vor, die zeigen, dass Polizisten beim tödlichen Einsatz in einem dieser Staaten nicht nur G36-Gewehre trugen, sondern damit auch auf Studenten schossen.

Zu den Angeklagten zählen der ehemals für H & K in Mexiko tätige Verkaufsrepräsentant, eine Vertriebsmitarbeiterin, zwei Vertriebsleiter sowie zwei damalige Geschäftsführer. Den Angeklagten wird vorgeworfen, gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Gegen 13 weitere Personen sei das Verfahren eingestellt worden, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Der Sprecher der Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel, Jürgen Grässlin, sprach von einem großen Erfolg der Friedens- und Menschenrechtsbewegung. Er hatte im April 2010 Anzeige gegen H & K gestellt. Ein Mitarbeiter des Betriebs hatte ihm von den illegalen Lieferungen berichtet. Später bestätigten Recherchen der taz und des SWR, dass mindestens 4.795 der rund 10.000 gelieferten Gewehre in vier Bundesstaaten geliefert wurden, für die das Bundesausfuhramt (Bafa) wegen der schlechten Menschenrechtslage keine Exporte genehmigte: in Guerrero, Chiapas, Chihuahua und Jalisco.

Gezielt Dokumente geschönt

Aussagen in einem anderen Verfahren brachten zutage, dass H-&-K-Mitarbeiter gezielt Dokumente „geschönt“ hatten, um den tatsächlichen Verbleib der Gewehre zu vertuschen. Während in einer Endverbleibserklärung genehmigte Bundesstaaten genannt wurden, landeten die Waffen tatsächlich etwa in Guerrero.

H & K hatte schon im Frühjahr alle Schuld an den Vorgängen von sich gewiesen. Nun teilte er mit, man erwarte bei der Beurteilung des Sachverhalts, dass die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt werde.

Recherchen der taz ergaben, dass Polizisten die Gewehre bei einem Angriff auf Studenten am 26. September 2014 trugen. Gemeinsam mit Kriminellen töteten die Beamten damals sechs Menschen, 43 Lehramtsanwärter wurden entführt und sind bis heute verschwunden. Neue Dokumente, die der taz vorliegen, bestätigen jetzt, dass die Beamten auch mit den Gewehren schossen. Am Tatort wurden Patronenhülsen sichergestellt, die den G36 zuzuordnen sind.

Recherchen der taz ergaben, dass Polizisten die Gewehre bei einem Angriff auf Studenten mit 6 Toten und 43 Vermissten im September 2014 trugen.

Im November 2012 erweiterte Grässlins Anwalt Holger Rothbauer seine Anzeige auf Mitarbeiter der Rüstungsexportbehörden. Diese sollen nicht nur von den geschönten Erklärungen gewusst haben, sondern sich trotz der skeptischen Haltung des Auswärtigen Amtes aktiv für H & K starkgemacht haben. Interne Schreiben der Ministerien bestätigen das. Demnach war man sogar bereit, rechtliche Risiken einzugehen.

So zweifelte der Ministerialrat Claus W., der heute unter Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel tätig ist, ob die Unterteilung in vier Bundesstaaten überhaupt legal sei. Aber man habe, so W., eine „politische Lösung angestrebt“. Dann wurde genehmigt. Die Staatsanwaltschaft hat sich bislang nicht entschieden, gegen Mitarbeiter des Bafa und des Wirtschaftsministeriums zu ermitteln.

Quelle: taz vom 05.11.2015


Erst Grimme-Preis, jetzt Staatsanwalt

Von Wolf-Dieter Vogel

Überraschung in Stuttgart: Behörden in Süddeutschland ermitteln gegen Journalisten, die fragwürdige Waffengeschäfte aufgedeckt haben.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet, die an der Aufdeckung illegaler Waffenexporte deutscher Rüstungsfirmen nach Mexiko beteiligt waren. Das bestätigte Behördensprecher Jan Holzner der taz. Die Strafverfolger werfen den Journalisten vor, Geheimnisse verraten und gegen das Pressegesetz verstoßen zu haben.

Betroffen sind Autoren der ARD-Dokumentation „Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“ sowie des Buchs „Netzwerk des Todes“. Das Gesamtprojekt, zu dem taz-Recherchen beigetragen haben, wurde mit dem Grimme-Preis für besondere journalistische Leistungen ausgezeichnet.

Die Beiträge beschäftigen sich mit der Lieferung von Gewehren der Waffenschmiede Heckler & Koch (H & K) in mexikanische Bundesstaaten, für die keine Genehmigungen vorlagen. Sie dokumentierten auch interne Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und des Bundesausfuhramts (Bafa), die auf eine strafrechtlich fragwürdige Kooperation der beiden Behörden mit den Waffenbauern hinweisen.

Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob die Publikation der Dokumente widerrechtlich ist, weil diese zu den Ermittlungsakten im Strafverfahren gegen H & K zählten.

Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller in der Kritik

„Es ist unsere Pflicht und Aufgabe, die Informationen zu veröffentlichen“, sagt Filmemacher Daniel Harrich als Reaktion auf die Ermittlungen gegen ihn und mindestens vier weitere Personen. Der Friedensaktivist Jürgen Grässlin kritisiert den Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller.

Dieser hat das Verfahren eingeleitet, das inzwischen von der Münchner Staatsanwaltschaft übernommen wurde. „Vobiller weigert sich, Schritte gegen BMWi und Bafa einzuleiten, und verfolgt jene, die den Rechtsstaat verteidigen, indem sie illegale Waffenexporte aufdecken“, kritisiert der Pazifist, durch dessen Anzeige im Jahr 2010 der Mexiko-Deal von H & K strafrechtlich verfolgt wurde.

Ein Anwalt vermutet, dass die Ermittler von Fehlern ablenken wollen.

Erst fünf Jahre nach der Anzeige erhoben die Strafverfolger Anklage gegen sechs ehemalige Mitarbeiter der Firma. Sie sollen „gewerbsmäßig und als Bande“ vorsätzlich illegal Kriegswaffen ausgeführt haben. Für mutmaßliche Mittäter in den Behörden hatte der Fall aber bisher keine juristischen Konsequenzen. Dabei deutet vieles darauf hin, dass sich Beamte widerrechtlich für Interessen von Heckler & Koch starkgemacht haben.

„Warum braucht ein Staatsanwalt einerseits fünfeinhalb Jahre, um Anklage gegen ein Rüstungsunternehmen zu erheben, und versucht andererseits, innerhalb kürzester Zeit mit enormem Aufwand ein Strafverfahren wegen eines Films herbeizuziehen?,“ fragt Grässlins Anwalt Holger Rothbauer. Der Jurist vermutet, dass die Staatsanwaltschaft von eigenen Fehlern im Verfahren ablenken will.

Quelle: taz vom 26.04.2016


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