Ökumenisches Aufbaulager 1961 in Hildesheim
Inhalt
Camp 1961
- Das Arbeitsprojekt
- Presseschau
- Deutscher Brief an andere ökumenische Camps
- Englischer Brief an andere ökumenische Camps
- Brief an die Camper des vorjährigen Camps
- Briefe von anderen Camps
Finnland
Frankreich 1
England
Frankreich 2 - Teilnehmerliste
- Was sind Aufbaulager?
Tagung 1961/62
Buch von Brunhilde Heinrich
Als Arbeitsprojekt ist vorgesehen, einen Kinderspielplatz in einem städtischen Obdachlosenviertel zu bauen. Es ist dazu ein ca. 40 mal 80 m grosser Platz leicht zu planieren und zur Raseneinsaat vorzubereiten. Ausserdem soll aus Bruchsteinen ein Sandkasten gemauert werden. Pemer sind einige Spielgeräte, die von der Stadt geliefert werden, aufzustellen. Ferner ist geplant, zwischen zwei Wohnbaracken einen Mittelweg aus Betonplatten zu legen, damit den bei uns wohnenden Menschen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Intimsphäre wiederherzustellen, die zu bewahren, bei der herrschenden Wohndichte, nicht einfach ist.
Das Projekt wird eingegliedert in die Arbeit der Inneren Mission, die in diesem Gebiet ein Nachbarschaftsheim unterhält, das für die Arbeit in diesem sozial schwierigen Viertel sowie für de Sinti- und Romamission zuständig ist. Die Ortskirchengemeiade hat erst seit einigen Jahren diese Hüte richtig in den Blick bekommen und noch heute muss gegen die Erstarrung in bürgerlichen Formen und Vorurteilen angegangen werden, Wir erhoffen uns von diesem Camp eine wesentliche Hilfe dadurch, dass junge Menschen vorurteilslos in den Dienst treten und Kontakte schaffen helfen zwischen Menschen, die sich sonst nicht leicht verstehen können.
Lagerorganisation
- Bauvorhaben: Plattenwege und Kinderspielplatz, 6 Std. pro Tag
Dauer und Grösse des Lagers: 4 Wochen bis zum 5. August,
25 Camper aus zehn Ländern, 8 Kirchen, im Alter zwischen 19 und 30 Jahren, 1/4 davon aus Deutschland.
Sprachen: Deutsch und Englisch - Leitung: Organisiert von der Jugendabteilung des WCC. Im Lager zwei co-leaders, Don der ausländische ich der deutsche
- Lagerprogramm: Gottesdienste Andachten morgens und abends, Bibelarbeiten zum Markusevangelium 2x die Woche
- Studienplan 4x die Woche: Hildesheim, Pferdeanger, Sintis, Deutschland Ost und West Berlin, Entwicklungshilfe, Rassenproblem, Abendmahlsfrage, Volkskirche, Jugendarbeit, Kirchen in der DDR, WCC-Tagung in New Dehli
- Exkursion: Berlinfahrt
- Freizeit: Briefeschreiben, Kennenlernen, Baden, Spielen, Gastgeber, Eisessen, Kino, Konzerte, Bunter Abend, Tanzen
- Veranstaltungen: Abend mit den Leuten vom Pferdeanger, Abend mit den Gastgebern, Gottedienste, Versper
- Entspannung
- Tagesplan:
07:15 Frühstück
07:45 Morgenandacht
08:00 – 14:00 Arbeit
14:30 Mittagessen, danach frei
17:00 Bibelarbeit
18:30 Abendessen
19:30 Abendandacht
20:00 Programm
Presseschau
Junge Christen als Nothelfer in aller Welt
Als der Weltrat der Kirchen kurz nach dem zweiten Weltkrieg zum ersten Male ökumenische Aufbaulager veranstaltete, wollte er der Jugend nicht nur Gelegenheit geben, ihren Beitrag zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Europas zu leisten, sondern die jungen Christen auf dem Wege der praktischen Zusammenarbeit zur Wiederversöhnung führen.
Die ökumenischen Aufbaulager sind schon lange über Europa hinausgewachsen. Sie finden heute in allen Teilen der Welt, in Asien und Afrika wie in Lateinamerika und den Vereinigten Staaten, statt. So wird diesen Sommer eine Gruppe Freiwilliger für den Wohlfahrtsrat von Hongkong auf der Insel Lan Tao mit dem Bau einer Rehabilitierungssiedlung für ehemalige Rauschgiftsüchtige beginnen. Eine andere Gruppe wird in Noisy-le-Grand bei Paris unter der Leitung des katholischen Ortsgeistlichen Unterkünfte für alte und unbemittelte Familien bauen. In Hildesheim, wo die Innere Mission der EKD unter den Sintis und obdachlosen Familien Missionsarbeit betreibt, wird von den Teilnehmern eines Aufbaulagers ein Kinderspielplatz bereitet. Eine weitere Gruppe wird in den Slums von Harlem in New York Häuser und Wohnungen instand setzen. Die beiden letzten Aufbaulager des Jahres finden in Ceylon und Westpakistan statt, unmittelbar vor der 3. Vollversammlung des Weltrates, die Ende November in Neu Delhi zusammentritt.
Der Dienst dieser jungen Christen ist freiwillig. Sie arbeiten ohne Bezahlung, kommen im allgemeinen nicht nur für ihre Reisekosten, sondern auch für die Unkosten des Lageraufenthaltes selbst auf. Bewerber dürfen nicht unter 19 und nicht über 30 Jahre alt sein, sie müssen fähig und bereit sein, einfache, aber oft harte Arbeit zu leisten, sich ungewohnten und manchmal schwierigen Lagerverhältnissen anzupassen und am Lagerleben voll und ganz teilnehmen.
Quelle: Hildesheimer Rundschau vom 04.07.1961
Am Pferdeanger wird jetzt viel Englisch gesprochen
Junge Gäste aus zehn Nationen – Sie werden einen Spielplatz bauen – Teilnahme am Kirchentag in Berlin – 23 jähriger Chemiestudent leitet das 2. Ökumenische Aufbaulager.
Am Pferdeanger wird augenblicklich viel Englisch gesprochen. 27 junge Menschen aus 10 verschiedenen Nationen sind als Teilnehmer des zweiten Ökumenischen Aufbaulagers in Hildesheim eingetroffen. Die „Camper“, wie sie in der englischen Verständigungssprache heissen, sind eine Gruppe junger Menschen verschiedenster Herkunft, Rasse und Konfessionen, die freiwillig und ohne Bezahlung an sozialen Aufgaben mitarbeiten wollen im christlichen Dienst am Nächsten. Sie werden in Hildesheim bis zum 5. August bleiben. Höhepunkt wird für die Lagerteilnehmer aus aller Welt der Besuch des Kirchentages in Berlin vom 19. bis 23. Juli sein. Mit einem Empfang wurde gestern Abend das Lager offiziell eröffnet.
Sie haben schon Freundschaft geschlossen. Stunden nach ihrer Ankunft in Hildesheim trafen wir eine Gruppe, die mit Kindern vor dem Nachbarschaftsheim eine Kombination von Fuss- und Handball spielten. Der grosse, tiefschwarze Jean Bidias-Amang aus Kamerun, der gegenwärtig in Frankreich Medizin studiert, spazierte – an jeder Hand ein Kind – durch die Barackenwege und durch das Sintilager.
Mit Ausnahme des Lagerleiters, des 23-jährigen Göttinger Chemiestudenten Christoph Gäbler, der schon im Vorjahr vom 12. August bis 9. September das erste Ökumenische Aufbaulager in Hildesheim leitete, sind die anderen „Camper“ zum erstenmal in Hildesheim. Sie sind wieder bei Familien unserer Stadt untergebracht. Am weitesten her kommt sicher der 19jährige Medizinstudent aus Kanada, Geoffrey Deckworth.
Nicht viel weniger weit ist der Weg des zweiten Lagerleiters, des Pastors Don Van Voorhis (27), der aus den Vereinigten Staaten kommt und seine Frau mitgebracht hat. Neben den Deutschen stellen die USA mit 6 Teilnehmern die grösste Gruppe. Es sind die Lehrerin Charlene Moss, die Sozialarbeiterin Elisabeth Meier, der Theologiestudent John William Rusell und der Wirtschaftsstudent Bob Stievers. Aus Griechenland kommt die Studentin Marianne Koybani, aus Grossbritannien die Studenten Anthea Edenbrown und Andrew Kerr. Schweden schickt die Medizinstudentin Monika Diehl und den Lehrer Åke Eklöf. Frankreich ist mit der Lehrerin Francoise Chavel, die Niederlande mit der Lehrerin Jacomijntje Roos und Studentin Maria Kijne vertreten. Drei kommen aus der Schweiz: die beiden Lehrerinnen Els Gysel und Hedi Bollinger sowie der Student Heinz Külling. Mit sieben Teilnehmern stellt Deutschland selbstverständlich die grösste Gruppe.
Wie werden sie nun ihre Hildesheimer Zeit verbringen? An der Spitze steht natürlich der Arbeitseinsatz der jungen Leute. Sie werden Plattenwege zwischen den Baracken am Pferdeanger anlegen und einen Kinderspielplatz am Nachbarschaftsheim bauen. Ausserdem soll noch an der Einrichtung eines Schulkindergartens geholfen werden, hier sind aber die Verhandlungen mit der Stadt noch nicht abgeschlossen. Sechs Stunden sind die tägliche Arbeitszeit. Ebenso soll aber das Lager dem gegenseitigen Kennenlernen dienen, der Unterrichtung und der Aussprache über aktuelle politische und religiöse Fragen. Bibelstudium, eine Stadtführung und Vorträge wie beispielsweise über den Zigeunerstamm der Sintis, zu denen die meisten Hildesheimer Zigeuner gehören, werden weiterer Inhalt des Tagesplanes sein, der um 7:45 Uhr mit einer gemeinsamen Andacht beginnt und am Abend um 21:30 Uhr endet. Selbstverständlich ist auch genügend Freizeit eingebaut.
Höhepunkt wird wie gesagt die Teilnahme am Evangelischen Kirchentag in Berlin sein, die neben dem Vertrautwerden mit dem kirchlichen Leben in Deutschland einen lebendigen Anschauungsunterricht über die Zonengrenze, über die Zweiteilung Deutschlands und die besondere Lage Berlins darstellen wird. 50 gleichartige Lager finden gegenwärtig in der Welt statt, wie uns Lagerleiter Christoph Gäbler mitteilte, fünf davon in der Bundesrepublik, und zwar neben Hildesheim noch in Berlin-Lichterfelde, in Bayern, Schleswig-Holstein und in der Nähe von Hamburg.
Wie es den „Campern“ in Hildesheim gefällt, fragten wir. Nun der erste Eindruck nach wenigen Stunden Hierseins übereinstimmend „Wonderful“, obwohl sich die Domstadt im Regen nicht gerade von der besten Seite zeigte. Viel mehr wollten und konnten die jungen Gäste nach so kurzem Aufenthalt natürlich nicht sagen. Hoffen wir, dass es ihnen weiterhin gut gefallen wird und dass dieses kleine Lager des guten Willens einem besseren Verständnis in der grossen Welt dienen möge.
Quelle: Hildesheimer Rundschau vom 08.07.1961
Das zweite ökumenische Aufbaulager vereint 24 Jugendliche aus zehn Ländern
Am Pferdeanger beginnt heute das zweite ökumenische Aufbaulager, 24 junge Menschen aus zehn verschiedenen Ländern werden in den nächsten vier Wochen einen Kinderspielplatz und Plattenwege zwischen den Baracken anlegen. Als der ökumenische Rat der Kirchen kurz nach dem 2. Weltkrieg zum ersten Mal Aufbaulager veranstaltete, wollte er der teilnehmenden Jugend nicht nur Gelegenheit geben, ihren Beitrag zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Europas zu leisten, sondern die jungen Christen auf dem Wege der praktischen Zusammenarbeit zur Wiederversöhnung führen.
Seitdem sind 15 Jahre vergangen. Die ökumenischen Aufbaulager sind zur Tradition geworden. Von Jahr zu Jahr hat die Zahl der Teilnehmer zugenommen. Etwa 1200 junge Protestanten, Anglikaner und Orthodoxe aus über 60 Ländern, werden sich an dem diesjährigen Programm in 36 Ländern beteiligen. Auch heute geht es um den Einsatz internationaler Gruppen von jeweils 20 bis 30 jungen Menschen verschiedenster Herkunft, Rassen und Konfessionen, die als eine kleine christliche Gemeinde miteinander leben und durch ihrer Hände Arbeit, aus dem Wissen um ihre Verantwortlichkeit, einem Notstand abhelfen wollen.
Der Dienst der Lagerteilnehmer ist freiwillig. Sie arbeiten ohne Bezahlung und kommen im allgemeinen nicht nur für ihre Reisekosten, sondern auch für die Unkosten des Lageraufenthaltes selbst auf. Das Tagesprogramm der Jugendlichen umfasst neben sechsstündiger körperlicher Arbeit, tägliche Andachten und Bibelstunden, Diskussionsabende, Veranstaltungen mit der Ortsbevölkerung und Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung, sowie persönliche Freizeit.
Die ökumenischen Aufbaulager sind schon lange über Europa hinausgewachsen. Sie finden heute in allen Teilen der Welt, in Asien und Afrika, wie in Lateinamerika und den Vereinigten Staaten statt. So wird eine Gruppe für den Wohlfahrtsrat von Hongkong auf der Insel Lan Tao mit dem Bau einer Rehabilitierungssiedlung für ehemalige Rauschgiftsüchtige beginnen. Eine andere Gruppe wird in der Nähe von Paris unter Leitung des katholischen Ortsgeistlichen Unterkünfte für alte Leute und unbemittelte Familien bauen. Zum fünften Mal werden Weisse und Schwarze in Wilgespruit (Südafrika) an einer ökumenischen Begegnungsstätte für beide Rassen arbeiten. Die letzten Aufbaulager des Jahres finden unmittelbar vor der dritten Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Ceylon und Westpakistan statt. Die Teilnehmer werden anschliessend als Jugenddelegierte ihrer Kirchen an den Beratungen in Neu-Dehli teilnehmen.
Quelle: Hildesheimer Rundschau vom 08.07.1961
Ökumenisches Lager international
Empfang mit Teilnehmern aus zehn Ländern
Auf einem Empfang der Lagerleitung des zweiten ökumenischen Aufbaulagers am Pferdeanger hatten sich neben den 24 Teilnehmern aus 10 Ländern Stadtsuperintendent Dr. Heinze, Pastor Althaus (Braunschweig), der vornehmlich Sintis betreut, und als Vertreter der Stadtverwaltung Stadtkämmerer Dr. Dietrich eingefunden. Weiterhin konnte Pastor Hellinger, der als Missionar seit zehn Jahren tätig ist, begrüsst werden. Er befindet sich zu einem halbjährigen Urlaub in Deutschland. Ferner war der indische Pastor Selvarey, der sich auf der Rückreise von den Vereinigten Staaten nach Indien befindet, anwesend. Pastor Selvarey leitet in Indien eine Gemeinde der Tamil Evangelic Lutherean Church.
Zunächst wurde von allen Teilnehmern und Gästen das Arbeitsprojekt besichtigt. Es handelt sich um die Siedlung am Pferdeanger. Hier sollen zwischen zwei Blöcken die jetzt noch befindlichen Mauerüberreste entfernt werden und Plattenwege angelegt werden. Seitlich dieses Weges können dann Gärten von den Bewohnern des Lagers angelegt werden. Schon letztes Jahr hatte die richtungweisende Arbeit des ökumenischen Aufbaulagers einige Bewohner des Lagers dazu angeregt, selbst diese Arbeit fortzusetzen.
Nach dem gemeinsamen Abendessen gab der deutsche Lagerleiter Gäbler – es gibt neben ihm noch einen amerikanischen Lagerleiter – einen Bericht über dieses vier Wochen dauernde Aufbaulager.
Zunächst gab Gäbler einen geschichtlichen Überblick über die Entwicklung internationaler kirchlicher Aufbauorganisationen, zu denen auch das ökumenische Aufbaulagerwerk gehört. Die ökumenischen Aufbaulager gehen auf die Initiative des Congretional Christian Service zurück, der es sich zum Ziel gemacht hatte, die Nachkriegsnot dadurch zu lindern, dass er auf internationaler Basis Austausch und Kontaktiniativen von jungen Menschen förderte, die der Krieg jahrelang voneinander getrennt hatte.
Das erste Lager fand 1947 statt. Im Jahre 1948 konnte man bereits an das erste aussereuropäische Aufbauprojekt gehen. Ein solches Lager dient in erster Linie dem Zwecke, Fürsorgearbeit für Bevölkerungsgruppen, die unter sozialen Missständen leben, zu leisten. Kurz nach dem Kriege waren die Aufbaulager zunächst hauptsächlich mit Wiederaufbau- und Hilfsarbeiten beschäftigt. Bald erweiterte sich ihr Wirkungsfeld sehr und umfasste viele Arten geistiger und materieller Not. So leisteten sie zum Beispiel tätige Hilfe bei der Flutkatastrophe in Holland, beim Erdbeben in Griechenland und Chile und den Ereignissen in Korea.
Ein ökumenisches Aufbaulager ist die eine Technik christlicher Jugendarbeit. Seine Aufgabe ist es, christliche Jugend auf neue und andere Gedanken zu bringen, ihr neue Wege und Erfahrungen der Arbeit der Kirche in der Welt zu zeigen, ihr zu helfen, zu ihren eigenen Jugendgruppen zurückzukehren und dann auch ihre Erfahrungen in der Familie und Heimatkirche anzuwenden. Ferner bedeutet dieses gemeinsame Leben, dass die Lagerteilnehmer mit dem Bestreben Zusammenkommen, eine einfache und harte Aufbauarbeit zu leisten. Ökumenische Aufbaulager sind der Ausdruck und die direkte Folge des Glaubens an Jesus Christus. Durch diesen Gehorsam zu Christus, durch Arbeiten und Beten kommen die Teilnehmer zu einer tiefen, echten Bruderschaft.
Im weiteren Verlauf des Empfangs ergriff Pastor Althaus das Wort. Er gab den Teilnehmern einen kurzen Einblick in die Sorgen und Probleme der Sintiseelsorge. Er lud alle Teilnehmer ein, die Sintisiedlung in Braunschweig zu besichtigen.
Weiterhin sprachen Stadtkämmerer Dr. Dietrich und der Stadtsuperintendent. Sie hoben beide die Wichtigkeit und Bedeutung der Aufbauarbeit hervor.
Bald schlägt die Abschiedsstunde
Trotz Sprachschwierigkeiten verstand man sich ausgezeichnet
Jugend aus vielen Ländern half am Pferdeanger
ln wenigen Tagen schlägt für die über 20 Teilnehmer des Ökumenischen Aufbaulagers die Abschiedsstunde. Rund vier Wochen haben die Jugendlichen aus den USA, Grossbritannien, aus Schweden und aus anderen Ländern sich in Hildesheim aufgehalten und aus freien Stücken an dem Bau eines Kinderspielplatzes, von Plattenwegen und in der sozialen Betreuung geholfen. Sie sind alle zufrieden, um nicht zu sagen begeistert. Trotz mancherlei Sprachschwierigkeiten verstand man sich ausgezeichnet, Die bleibendsten Eindrücke: der Wiederaufbau Hildesheims und der Kirchentag in Berlin.
Sie waren fleissig an der Arbeit auf dem Kinderspielplatz am Nachbarschaftsheim am Pferdeanger. Junge Mädchen schwangen die Maurerkelle, ihre männlichem Camper-Kameraden schleppten Steine herbei oder schaufelten störendes Erdreich beiseite oder rammten Pfähle für einen Zaun ein. Den Leiter des Lagers, den Göttinger Chemiestudenten Christoph Gäbler, der gerade auf dem Wege in die Stadt war, sprachen wir zwischen Tür und Angel. In seiner Aktentasche hatte er die Manuskripte für den Lagerbericht, der englische und deutsche Erlebnisschilderungen enthält und von einer Lagerteilnehmerin mit hübschen Zeichnungen versehen ist.
„Drei Plattenwege zwischen den Baracken haben wir geschafft“, berichtet er, „und zur Fertigstellung des Kinderspielplatzes am Nachbarschaftsheim haben wir viel beitragen können.“ 70 Kinder vom Pferdeanger waren Lagergäste bei einem Spielnachmittag, für die Hildesheimer Gastgeber wurde ein bunter Abend gemacht. Sie sind zufrieden, die Camper, bis auf den vielen Regen, der uns Hildesheimer ja aber nicht weniger gestört hat. Natürlich ist geplant, das Lager im nächsten Jahr wieder stattfinden zu lassen. Arbeit gibt es dann noch genug, übrigens waren überraschend vor einigen Tagen einige „Campers“ aus dem Vorjahr aufgetaucht, die Erinnerungen auffrischten und nochmals mitarbeiten wollten.
„Es war prächtig in Hildesheim“, erzählt die Medizinstudentin Monika Diehl aus Uppsala in Schweden, die zum erstenmal an solch einem Lager teilnahm. Sie würde gern noch einige Tage hier bleiben, aber sie muss sich in Schweden auf ihr Examen vorbereiten und fährt ohne jeden Aufenthalt in ihre Heimat zurück. Was ihr am besten gefallen hat, fragen wir Elizabeth Meier aus Cincinnati (Ohio). Sie hat nur ein Jahr Deutsch auf der Schule gelernt und sucht noch nach Worten. Von Hildesheim jedenfalls hat ihr am besten der Blick vom Bismarckturm über die Stadt gefallen. Für beide war die Teilnahme am Kirchentag in Berlin und das Kennenlernen der Vier-Sektoren-Stadt mit ihren Gegensätzen zwischen Ost und West wohl am eindrucksvollsten. Eine andere Gruppe bestätigt die Eindrücke der beiden. Sie sind froh, dabeigewesen zu sein. Es sind ein Junge und ein Mädchen aus USA und eine Studentin aus Grossbritannien. Wortführer ist der junge Mann, dem vor allen Dingen der Wiederaufbau unserer Stadt imponiert hat, der aber auch froh ist, den Unterschied zwischen West und Ost in der alten Reichshauptstadt erlebt zu haben. Er wird noch einige Zeit in Deutschland bleiben, während seine Landsmännin auf schnellstem Wege nach Israel fahren wird, um von dort aus in die Heimat zurückzukehren. Überhaupt bleiben die meisten noch einige Zeit in Deutschland oder sehen auf ihrer Reiseroute noch andere Länder. Sie sind jung, die Welt ist gross, warum also nicht?
Quelle: Hildesheimer Rundschau vom 04.08.1961
Deutscher Brief an andere ökumenische Aufbaulager
31. 07. 1961
Liebe Freunde!
Unser Brief erreicht Euch aus dem Osten der Bundesrepublik, aus Hildesheim. Hildesheim ist eine mittelgrosse Stadt mit vielen alten Gebäuden und Plätzen, in einer herrlichen Landschaft gelegen. Wie in jeder grösseren Stadt gibt es auch hier eine unerfreuliche Gegend: Das Barackenlager am Pferdeanger, in dem etwa 500 Menschen dicht beieinander in Unordnung und Schmutz leben. Die Innere Mission hat es sich hier zur Aufgabe gestellt, diesen Menschen in leiblicher und seelischer Not zu helfen. So entstand das „Nachbarschaftsheim“. In diesem Nachbarschaftsheim sind Kindergarten, Küche, Badeeinriehtung, Wäscherei und Telefon für diese Leute untergebracht, sie werden von hier aus betreut und es werden Gottesdienste für sie gehalten. Um die äusseren Verhältnisse zu bessern, wurden schon vom vorjährigen Camp zwischen den Blocks Wege angelegt.
Auch in diesem Jahr bildet das Nachbarschaftsheim den Mittelpunkt des Camps. Wir sind 24 Mädchen und Jungen, die aus 8 Ländern hier hergekommen sind: aus Kamerun, den Vereinigten Staaten, Grossbritannien, Schweden, den Niederlanden, Frankreich, Schweiz und natürlich Deutschland.
Zu Anfang hatten wir – was Ihr wohl versteht – Schwierigkeiten mit der Sprache, doch jetzt herrscht hier keine lähmende Stille mehr. Durch die gemeinsame Arbeit und die gemeinsame Freude sind wir uns schnell näher gekommen.
Unser erstes Arbeitsprojekt haben wir jetzt fast fertig, wir legen in diesem Jahr nämlich auch Wege zwischen den Baracken an. Wenn wir es noch schaffen, wollen wir hier auch für die Kinder einen Spielplatz anlegen; dabei müssen wir planieren, Spielgeräte aufstellen und eine Sandkiste mauern. Für die 250 Kinder, die hier im Lager leben, ist das bestimmt sehr not
wendig, denn sonst können sie nur auf der Strasse, dem nahen Eisenbahndamm oder am Ufer der Innersten spielen. Jetzt laufen sie dauernd auf unserem Arbeitsplatz herum. Wir können sie noch so oft wegschicken, sie kommen, verschmitzt lächelnd und den Namen rufend, immer wieder.
In der zweiten Lagerwoche fuhren wir alle zum Deutschen Evangelischen Kirchentag nach Berlin. Diese Fahrt war für uns nicht nur eine willkommene Unterbrechung der Arbeit, sondern wohl für alle von uns ein eindrucksvolles Erlebnis. Natürlich waren wir hier von früh bis spät auf den Beinen, morgens bei Bibelarbeit und Arbeitsgruppe, nachmittags und abends je nach Belieben in Konzert, Theater oder Museum. Manchmal promenierten wir auch auf dem „Kudamm“ oder auf anderen Strassen West- oder Ostberlins. Es war für uns zugleich interessant und unheimlich, auf einem der zur Zeit heissesten Flecken der Erde zu stehen.
Die Arbeitsgruppen hatten verschiedene Themen, wie zum Beispiel „Bibel“, „Juden und Christen“, „Ökumene“, „Politik“. Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, dass wir recht eifrig dabei waren. Gegen Ende des Kirchentages waren wir so überhäuft mit neuen Erlebnissen und Eindrücken, dass wir uns richtig nach unserer Arbeit im Camp zurücksehnten. (Das bedeutet aber nicht, dass die Arbeit hier leicht ist.)
Ein wenig wollen wir Euch auch noch von unseren Veranstaltungen hier erzählen. Einen lustigen Abend hatten wir mit den Leuten aus unserer Nachbarschaft, zu dem jeder Camper etwas beitrug, sei es durch Singen, Theaterspielen oder Tanzen Einen Nachmittag verbrachten wir mit den Kindern vom Pferdeanger. Wir gingen mit ihnen auf eine grosse Wiese, dort gab es viel Platz zum Spielen und Singen, denn es hatten sich etwa 100 Kinder eingefunden. Nur wir waren hinterher ein wenig erschöpft, denn diese Kinder sind nicht daran gewöhnt, mit anderen richtig zu spielen. Und dann machen wir natürlich auch noch etwas anderes. Zweimal in der Woche haben wir unsere Bibelarbeit, täglich die Morgen-und Abendandachten, dann noch verschiedene Diskussionsgruppen und Rundgespräche. Ausser diesem offiziellem Programm haben wir auch ein inoffizielles Vergnügungsprogramm, bei dem über Beteiligung nicht zu klagen ist.
Gestern, an unserem letzten Campsonntag, hatten wir einen ökumenischen Gottesdienst mit Abendmahl, zusammen mit unseren Gastgebern. Ihr müsst nämlich wissen, dass wir nur zusammen wohnen und essen, aber zum Schlafen bei einzelnen Familien untergebracht sind. Einerseits ist das gut, denn so haben wir schnell Kontakt mit den Gemeindegliedern gefunden, andrerseits ist das Lager dadurch ein wenig auseinandergerissen.
Trotzdem waren wir von Anfang an eine gute Gemeinschaft, dafür sind wir sehr dankbar. Wir grüssen Euch alle recht herzlich und wünschen Euch ebensoviel Freude an der Arbeit und am Camp, wie wir haben!
Englischer Brief an andere Aufbaulager
31 st July 1961
Dear Friends!
We are writing from Hildesheim, near Hannover, a provincial town with a population of about 100. 000. It is situated in a pleasant country and has many old houses and squares. Like every large town it also has its unpleasant side: the barracks at „am Pferdeanger“, where about 500 people are living in crowded and unhygienic conditions. The Home Mission of the Lutheran Church has a project here to help these people physically as well as spiritually. So we have the „Nachbarschaftsheim“ (Neighbourhood-home), where there is a Kindergarten, kitchen, bathroom, a place to wash clothes and a telephone for the use of those people. From here they are cared for by Christian Heinrich, a lutheran deacon, and his wife Brunhilde, and services are held on Sundays. In order to give the people in the barracks, more privacy a work-camp last year layed paths between the blocks.
Again this year the „Nachbarschaftsheim“ is the centre of the work-camp. We are 24 men and girls from 8 different countries from the French Cameroons, the United States, Great Britain, Sweden, the Netherlands, France, Switzerland and of course Germany.
First of course we had language-difficuties, but now there are no more awkward silences. By working and having fun together we have drawn much closer to each other.
Our first job is nearly finnished. This year we too are laying paths between the barracks. If we have time, we will make a playground for the children, where we plan to put up swings and to build a sandpit. This is very necessary, for the 250 children, who live here, can only play on the street, the nearby railway embankment or on the banks all while we work. No matter how often we send them away, they of the river „Innerste“. At the moment they are all over us always come back, smiling sheepisly and calling us by name.
In the second week of camp we all travelled to Berlin to the „Deutschen Evangelischen Kirchentag“, a big festival/onference of Protestants from all over Germany, including 18. 000 from East-Germany. This trip was not only a welcome break from the work, but also a memorable experience for each one of us. Needless to say from morning till night we were always on the go. In the mornings bible study and study groups, in the noons and evenings concerts, theatres or museums. Sometimes we strolled along the Kurfüstendamm and some of the other streets in both sectors of the city. We felt at once excited and uneasy to be standing in one of the chief trouble spots in international politics.
There were study groups on various themes e.g. „The Bible“, „Jews and Christians“, „The World-Wide Church“ and „Politics“. As you can well imagine there was never a dull moment. – By the end of the Kirchentag we were so excited by new experiences and impressions that we were anxious to get back to work. (That and impressions does not mean, however, that our work is easy!)
And now something about our other activities: we had a hilarious evening when we entertained our neighbours from the barracks. Every camper took part in the singing, acting and dancing. Another afternoon we took the children of the Pferdeanger to a big meadow, where there was plenty of room for a hundred excited youngsters to play and sing. Afterwards we were quite exeausted, as these children are not use to having their fun organized.
We have other activites too. Every day we have morning and evening worship and bible study twice a week, as well as discussions in small groups or all together. Outside the camp program we indulge in various activities of a rather more frivolous nature, which, needless to say do not lack support.
Yesterday, our last Sunday in camp, we had an ecumenical service with the holy communion, together with our hosts. Although we live and eat together, we sleep with families in the town. On the one hand we have valuable contacts with local community, but on the other hand it is not so good for the community life of the camp itself.
However, from the beginning there has been a true community spirit, for which we are very thankful. We greet you from Hildesheim. And we hope that your camp and the work you are doing will draw you as close to each other as ours has drawn us.
Brief an die Camper des vorjährigen Camps
01.08.1961
Liebe Camper!
Wenn Ihr diesen Brief bekommt, ist das Camp 1961 in Hildesheim bereits wieder beendet. Die letzten Camper sind vom Bahndamm aus (mit Handtüchern und Schürzen) abgewinkt worden. Wir wollen Euch ein wenig erzählen, was das Camp in diesem Jahr gearbeitet hat. Die Teilnehmer kamen wie bei uns aus den üblichen Ländern. Auch ein Afrikaner war dabei. Es sieht so aus, als wären die Mädchen in der Mehrzahl. In vielen Dingen haben es die Camper dieses Jahr leichter als wir. Der Kindergarten hat nämlich Ferien, und so werden die Mahlzeiten im grossen Raum des Kindergartens eingenommen. Ausserdem müssen nicht jeden Abend die Stühle weggeräumt und die Fussböden gereinigt werden. Wie Ihr wohl schon wisst, ist der Kindergartenneubau fertig, und der neue Glockenturm grüsst schon von weitem. Die Campleader sind dieses Jahr Christoph und Don. Don ist amerikanischer Pastor, verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau ist auch hier. Veronika Lafferl hat vor etwa zwei Wochen das Camp für einige Tage besucht, das gleiche tun wir jetzt auch (Elisabeth und Fritz).
Die Camper haben also zwischen den Baracken Wege und Gärten angelegt und sind beinahe damit fertig. Da sie gleich am Anfang Rasen gesät haben, sind manche Gärten schon grün. Ausserdem arbeitet eine Gruppe hinter dem neuen Kindergarten. Dort wird mit grossen Steinblöcken eine Stützmauer, einige kleinere Mauern und eine Treppe gebaut. Sie machen das bestimmt sehr schön.
Aber auch unsere Arbeit hat die Stürme der Zeit überdauert. Auf dem Rasen des Sintiplatzes spielen die Sinti jetzt Federball. Auch der Sandkasten und die Mauer sind noch vorhanden. Demnächst soll mit dem Bau einer Schule für die Sintikinder begonnen werden. Aus diesem Grund arbeiten in diesem Jahr keine Camper bei den Sintis. Wenn die Zeit reicht, wird noch mit dem Planieren des Spielplatzes für die Kinder vom Pferdeanger begonnen. Wenn man jetzt zum Pferdeanger kommt, wird man vergeblich das Schild „Schlechte Wegstrecke“ suchen. Die Strasse ist nämlich jetzt bis zu den Sintis fertig. Das ist die erste freudige Überraschung.
Dann kommt man zum Pferdeanger und Nachbarschaftsheim, wird herzlich empfangen und ist gleich wie zu Hause. Um es ganz einfach zu sagen, man freut sich und denkt an die alten Camper, Ihr könnt es Euch sicher vorstellen. Von Heidemarie haben wir heute einen Gruss aus einem Camp in Frankreich bekommen. Brunhilde, die wieder vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht hinein auf den Beinen ist, wird von Lisette und Dorle kräftig unterstützt. Christian hat von der Stadt neues Werkzeug bekommen, darunter, stellt Euch vor, drei neue Schubkarren.
Das Aufbaulager in Hildesheim 1961 sendet Euch nun die freudigsten Grüsse.
Ganz besonders grüssen Euch und wünschen Euch alles Gute
Briefe von anderen Camps
Friday, 7th July
A group of young people met during the afternoon at Malminkatu 12 B in Helsinki, where the words „Work Campers“ on the door showed us, that we had found the right meeting-place. Only few of us knew, what it meant to be a work-camper, and we stood there looking upon each other, wondering how it would be, to live and work together with these persons for a month. At the dinner table, which was made for us by a youthgroup in a Lutheran parish, we shook hands and tried to start talking to each other. One of the Finish campers, Gunnar Weckström, was kind enough to take us out on a trip in the city, and we enjoyed it very much. At 20. 10 we started by train for Nurmes, where we supposed to come at noon next day. The train was not very comfortable, but all the same we had a nice time, laughing and sleeping.
Saturday, 8th July
At Nurmes we were met by one of the camp-leaders, Lauri Pihlajamaa, and the Orthodox pastor, Erkki Karppanen, to whom we were invited for coffee and sandwiches, which his nice wife had made. He also showed the church to us and told us a little about the Orthodox service and the meaning of the many symbols. In the afternoon we reached Rasimäki, and the first thing we got sight of was the chapel we are going to finnish, with its typical Orthodox cross on top of it. At school, which should be our dwelling-place for a month, we were met by the second leader, Hartmut Schultze, the cook Lisa and the cookhelp Heimo, after having unpacked slept and eaten we went to sauna, the Finish hot bath with birch switches. Almost all of us enjoyed it very much („Die SAUNA ist des Campers Lust“) and the best of all was to swim in the Rumojoki afterwards.
Sunday, 9th July
In the morning our first service together, which was held close to the river. Hartmut preached from Matth. 5: 17 about the Christians liberty to break the law to help other people. – A village walk, including a look at the chapel and our boss Yrjö Hautanon.
At 15.00 o’clock a meeting of the village people in the school corridor. It began with a short service, held by pastor Karppanen. The chanting was in the beginning a bit strange to us. But all the same we felt the Christian fellowship at once. After the service we had a sort of introduction to the people. They seemed to be grateful and glad for our coming and helping them with their chapel. In 1945 they fled here from eastern Karelia, which now belongs to Russia, and must have felt very homeless their first time here. The mayor of Valtimo welcomed us and gave us a little coat of arms of Karelia. In the evening internal introduction within the camp.
Monday, 10th July
Our first working day. We got up at 6.30, had breakfast and went to the chapel. Morning prayer there and then the work began with throwing out straw, pulling out nails and starting the outside walls and the ceiling in „the earth“ (the middle part of the chapel). After dinner we chose camp committee and „show“ committee. Intercession was led by two campers. The evening was Lauri’s and Finland’s. He introduced Finland to us in behalf of a map and colour slides. We tried to learn Finish songs and we finished by playing international games.
Karin Düring
Tuesday, 11th July
Pastor Karppanen had invited us on a trip to „Uusi Valamo“ monastery together with the congregation from Nurmes. We reached Nurmes by bus at 9. a.m. and attended on Orthodox service with the congregation. The journey to the monastery started out in bright sunshine. We got to the cloister by early evening and we prepared our sleeping-place in the barn. From 6-9 p.m. the monks held their evening-prayer which we attended for a time. In the nearly lake we bathed, properly for the first time. Besides the evening-prayer a young theological student explained the church arrangements to us.
Wednesday, 12th July
At 11 o’clock we left „Uusi Valamo“ and visited another monastery on our way back. In this one, a nunnery, the Orthodox priest held a service, and after that we began the journey back. At about 7 o’clock we reached Nurmes and then got back at 8 o’clock.
Thursday, 13th July
After this long interval from work when the camp was set up, we seriously began our work on Thursday. Three men helped the President to pik up his hay and the others began to work on the inner and outer walls of the chapel under Yrgo’s direction. …
Claus Michael Schultz
Sunday, 16th July
… In the afternoon we went to visit people in the village. We think it is very interesting to meet the people in their homes and see how they live and again we were surprised by the hospitality and kindness shown to us. It is wonderful to see how the children and the Finish songs we have learnt can bring us contact with this people in spite of the fact that we can’t say much more than; „hyvää päivää“, „kiitos“, and „näkemiin“.
At seven o’clock we had our social evening where we sang, played games and we all made our best to get the programme as nice as possible. Anita Diehl, the secretary of the Youth Department (World Council of Churches), who had come to visit us for a few days, told us something about the „oikoumene“ and brought us greetings from Geneva. After our usual evening prayer pastor Karppanen finished the evening with an Orthodox service. Now, it was time for the daily thunderstorm and it was impossible for the people to go to their homes so we all had to remain in the corridor. There we sang one Finish song again and again, trying to lead the attention away from the lightnings and waiting for the rain to stop.
Karin Olsson
Monday, 17th July
Who can forget the Rasimäki school-bell and the terrible feeling of waking up without knowing either it is the first, second or perhaps even the third bell that goes. The breakfast atmosphere is likewise unforgetable, Lisa’s delicious steaming porridge, the sleepy kitchen service walking round with the copper-coffe-kettle, a cosy humming fire on the fireplace and the constantly passing of „leipä“ milk-jugs etc. To complete the picture– Bruder Hartmut’s appearance and his solemn and friendly: „Guten Morgen“.
The days of sawdust had come upon us. The Rasimäki heaven’s grounds was full of yellow mellow sawdust and since it was supposed to lay on top of the roof above the earth, some transport system had to be organised. While Heimo, Claus, Jo and other hard banging creatures were putting nails into the chapel from outside, Anita Diehl was doing a good job of shoveling the heaven-sawdust into a bucket which first Loes later Hartmut pulled up by rope and good strength to the dusky 3edged roofroom. The bucket was handed on into the darkness behind where a sweating slave spread out the soft stuff among beams and dangerous nails. The sunshine was terrific, and the people at work with Yrjo’s and the President had a rael good hay day. Beeing on the sawdust team I can only report that a difficult discussion went on for a long time between Anita down below and Bruder Hartmut and the Dane above, about ecumenical work camps in general and our camp in particular. The whole question of wether a work camp really gets down to face the differences among the churches in a thorough and deepgoing way or wether we tend more or less to leave problems out and just enjoy ourselves in the way that any international Christian youth camp would do. We had to shout a good deal to hear each other, and since we did not quite agree how much one should regard oneself as a representative from one’s church at home and how much one should be here as an individual Christian we got rather hoarse, having sawdust all the way down our dry throats.
When work was almost over a reporter from Valtimo came along. He was mister Hämimen, the father of Tapio. He took some fashionable pictures of show-working-campers and wrote a long undoubtedly touching report about the cunnings and conditions of the camp.
After Lisa’s delightful dinner the same reporter wanted a charming group picture, which he got – but the poor man had to take 1000 pictures with our cameras as well. Taking pictures was rather a epidemic madness.
America was an the programme in the afternoon. In the girls comfortable classroom, we settled down on the mattresses and listened to Mary Jo, Loise and Jürgens talks on the United States. By the help of a map, some fine slides and the speakers charm and intelligence, we got a good impression of yonder vast country and its people. No snoring was heard!
The city of Valtimo has a knitting club consisting of goodhearted women of the Orthodox faith. They wanted to show kindness to the camp, and arrived at supper-time with lots of coffee and cakes for the camp. So at 6 o’clock p. m. we had a coffeeparty in the kitchen. Our 4 dear Fins translated, and we all delivered our Finish phrases where upon we had a good tuck-in. The women of Valtimo all had lots of children, one of them had a national costume, and another had once been in Stockholm, hut never in Helsinki. One was a teacher in Valtimo and told us she had no difficulties in the Lutheran school.
Tuesday, 18th July
Karin singing about Swedish herrings. I do’nt remember who had morning prayers, but I know we shall never forget our worship-fellowship in the circle in front of the chapel. During the last hymn we were quietly joined by Yrjö. „Hyvää huomenta!“
At the church was done a great deal of nailing, and mooving sawdust again, and in the hay-fields we did a lot of hay, and braekfasts. We all remember the sound of a pole beeing driven into Finland’s soil, the smell of dewy hay, the look of the President going strong with hay on the fork and pockets full of pegs, while his son with long yellow hair and sunburned skin makes the horse obey, the feeling of a hard fate when you are terribly thursty and all your hay sticks to the top of the pole, the joy when the pretty daugther-in-law appears with cool read berry juice or Turkydrink, Türkentrank! And last but not least the experience of hay-conversation. After a good dip in the Rumojoki waters, one enters the stovewarm kitchen. The President crosses himself in front of the ikon, and a finish dinner is served by smiling women, who knows that a woman ought to stand while men are eating. Conversation is limited, you ask a question through brother Boston about the initiative and planning of the church building, and after a 10 minutes President-speach, Boston summs it all up in 2 sentences of translation.
We approached the 2. biblestudy. The text was Luk. 4, 14-30, where Jesus in the synagogue of Nazareth reads from the book of the prophet Esaisas.
Many of us were poor contributers to the thinking on the text. One of the questions brought into comment wondering was why people in Nazareth then and we to day fail to realize Christ as Messia, who was sent to heal the brokenhearted, to preach deliverance to the Captives and recovering of sight to the blind, to set at liberty them that are bruised, to preach the acceptable year of the Lord.
Anita gave a talk on ecumenical doings and difficulties. She encouraged us to face differences of churches, to discover each other and enjoy camplife most possible. She also underlined strongly that ecumenical hopes and activities should first of all find expression in our home church, and she asked us never to leave our home minister in peace on that subjekt. Many different things were mentioned and discussed, the workcamps in East-Germany, the New Delhi assembly and the intention of joining the World Council of Churches with the International Missionary Council.
Ruth Lissner
Monday, 31st July
Our sad little band-it felt like this without Lisa and Gunnar began with prayers in the chapel, which still looked nice and clean after its first Sunday service. It felt rather anti-climacteric to begin hammering nails again, since we felt that the chapel was now a place of worship. But indeed there is still a great deal to be done corners inside and outside to be finished, the porch to be done, stairs up to the tower, and much other small but skilled work. Halfway through the morning Lauri turned up with his two guests Pfarrer Willibald Jacob and his wife Elfriede from Treuenbrietzen in D. D. R.
All three of them are very tired, having been doing a lot of travelling without much rest.
The afternoon passed as all afternoons have passed in the second fornight of our camp, with almost everyone unconscious on their beds, only prolonged ringing on the school bell can arouse them. Most of the camp went off for a sauna to Mr. Mahons. Here one of our camp-leaders, who wears glasses, thought he would dispense with his bathing shorts for his swim – the river being only a few metres from the sauna. As he was not wearing his glasses, he did not notice three feminine work-campers standing on the bridge, till he was quite close. He turned and leapt back to the sauna.
In the evening we heard one of the most interesting talks of the camp – from Willibald, on Christian life in D. D. R. There are two ways in which a church can exist in a non-Christian and restless world. It can live in an apologetic, defending way; or it can live serving the world in which and for which it lives. This is the way of truth for a church. The first way goes with confessional orthodoxy the confession must be defended of all costs etc. etc. The second way, the way of service to the world, is the way to overcome this orthodoxy of the self-centredness of a static church.
Willibald next spoke about the particular work of Christian in D. D. R. They have ecumenical work camps, run by the Gossner Mission Society of Berlin. What do they do? They can either work for the organisational church, or they could work with and for the communist government of D. D. R. In fact they have done both, working the framework of the National Rebuilding Programme. Initially they were a attacked both by the government and by their own church people. Now they are more understood. The Gossner Mission Society also has many young men working in industry, men who have completed their theological studies and who may or may not ordained.
The communists have now reached the stage of having „Youth Consecration“ which are sort of Marxist conformations, held such days as easter. This is very much a challenge to Christian confirmation and can he accepted in a defensive or in a positive way. To begin with children attended both, the Christian and the Marxist confirmation. How more and more are a) not attending the Marxist one, b) looking forward for Christian confirmation at a later age, when they understand in a more nature way their faith. Every congregation now makes its own rules in this matter.
Kirchentag
Church-leaders have said many this since 1945 that the church must be a meeting place and a talking ground between East- and West-Germany. But even so, the church has allowed itself to be more bound to the West than to the East. For instance, the Bundeswehr now has chaplains who are paid by the state. There is a danger of the church becoming a special kind of anti-communism.
This year the Kirchentag has been banned by the D.D.R., so the question arises – what are D.D.R. Christians confessing if they attend it? Is it something about Christ, or just rebelliousness against the regime or a desire for the unity of Germany? Willibald indicated that he had a good deal to say on the subject of pacifism, but the hour was late and they contented himself with saying that since the arrival of the cobalt bomb, he sympathises very much with Christians who are pacifists. Altogether it was a profound and moving talk, and it is impossible to describe it and its effect on us adequately. But we felt that here was a man Christian and unafraid, upon whom the fact of living under a communist regime has had a liserating effect. His honesty in answering or trying to answer the questions which continually harras a Christian made us Westerners realise how very much tend to think of our way of life as Christianity.
David Reid Thomas
Lyon
Camperliste
Deutschland
Brunhilde Heinrich, Krankenschwester
Christian Heinrich †, Diakon
Lisette Heinrich, Sozialarbeiterin
Ingeburg Böger, Schülerin
Lucie Rohmeyer, Kinderpflegerin
Christa Konukiewitz, Schülerin
Klaus Ernst Frank, Schüler
Christoph Gäbler, Chemiestudent, leader
Frankreich
Francoise Chavel, Lehrerin
Griechenland
Marina Roybani, Studentin
Grossbritannien
Anthea Edenbrown, Anglistikstudentin
Andrew Kerr, Geschichtsstudent
Kanada
Geoffrey Deckworth, Medizinstudent
Kamerun
Jean Bidias-Amang, Medizinstudent
Niederlande
Jacomijntje (Mini) Roos, Lehrerin
Miekee (Maria) Kijne, Studentin der Bildenen Künste
Fulco de Jong, Schüler
Schweden
Monika Diehl, Medizinstudentin
Åke Eklöf, Lehrer
Schweiz
Hedi Bollinger, Lehrerin
Els Gysel, Lehrerin
Heinz Külling, Theologiestudent
Veronika Lafferl, WCC
USA
Elisabeth Meier, Sozialarbeiterin
Charlene Moss, Lehrerin
John William Rusell, Theologiestudent
Bob Stievers, Ökonomiestudent
Don Van Voorhis, Pastor, co-leader
Jean Van Voorhis, Ehefrau
Was ist ein Aufbaulager?
Von Christoph Gäbler
Jahrhundertelang haben die Menschen schon einander in Notzeiten beigestanden, indem sie denen, die von einer durch Natur oder Menschenhand verursachten Katostrophe betroffen waren, freiwillig zu Hilfe kamen. Das verhältnismässig Neue daran ist, dass dies jetzt durch internationale Vereinigungen geschieht, welche in ihrer Arbeit die Möglichkeit sehen, nicht nur materielle Wunden zu heilen, sondern auch gleichzeitig einen Geist der Versöhnung und des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen. Dazu dienen die Aufbaulager in aller Welt. Jedes Jahr nehmen rund 125 000 junge Leute aus 85 Ländern an solchen internationalen Aufbaulagern teil. In 43 Ländern bestehen insgesamt 95 Aufbaulager-Organisationen, von denen jede jährlich zwischen zehn und hundert Aufbaudienste veranstaltet.
Bei uns in der Bundesrepublik gibt es vier grosse Aufbaulagerorganisationen. Der Bauorden verdankt seine Entstehung der Initiative des belgischen Paters Werenfried van Straaten, der 1952 die Jugend, vor allem die jungen Menschen seiner flämischen Heimat, dazu aufrief, den durch Krieg obdachlos gewordenen Menschen freiwillig und unentgeldlich beim Wiederaufbau ihrer Wohnungen zu helfen. Inzwischen ist der Bauorden weit über Belgien hinausgewachsen. Die zweite grosse Aufbaulagerorganisation sind die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste. Sie haben ihre Wurzeln in der Schülermitverwaltung. Im Raume von Hannover wurden sie 1948 gegründet. Sie ist die Aufbauorganisation der Schüler. 1958 kamen rund 2000 Teilnehmer in 100 deutschen Lagern zusammen. Eine weitere Aufbaulagerorganisation bei uns in der Bundesrepublik ist der Internationale Zivildienst.
In den Jahren unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg erkannte der Internationale Versöhnungsbund wie wertvoll es sein würde, Angehörige verschiedener Nationalitäten vor allem solcher Länder, die vor kurzem noch im Kriege gegeneinander standen, zur gemeinsamen Arbeit im Dienste der internationalen Verständigung und des Friedens zusammenzubringen. Als Ergebnis eines ersten Versuchslagers für Franzosen und Deutsche entstand in Verdun im Jahre 1920 der Service International.
Die vierte Aufbaulagerorganisation ist die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Christlicher Aufbaulager. Zu Ihr gehören die Lager des Christlichen Friedensdienstes, des Bretheren Service, den Mennoniten und die ökumenischen Aufbaulager.
In Amerika wurde der Aufbaulagergedanke zuerst vom American Friends Service Committee, einer Quakervereinigung, die sich vor allem zur Aufgabe setzte, in Gebieten mit religiösen, sozialen und politischen Spannungen Lager zu organisieren. Auch viele Jugend- und Studentenorganisationen haben Aufbaulagerprogramme aufgestellt. Im Zweiten Weltkrieg traten die amerikanischen Kirchen in die Aufbaulagerarbeit ein und beganen solche Lager zu fördern, dm ihren jungen Leuten und Studenten Gelegenheit zu praktischem christlichem Dienst zu schaffen.
In den Jahren nach 1945 erfuhr die Aufbaulagerbewegung eine rasche Verbreitung in allen Teilen der Welt. Mit Unterstützung der UNESCO kam es zur Bildung eines Vermittlungsausschusses für internationale freiwillige Aufbaulager, der seinen Sitz in Paris hat.
Oekumenische Aufbaulager gehen auf die Initiative des Congregational Christian Service zurück, der es sich zum Ziel gemacht hatte, die Nachkriegsnot dadurch zu lindern, dass er auf internationaler Basis Austausch und Kontaktaufnahme von jungen Menschen förderte, die der Krieg voneinander getrennt hatte, und ausserdem die Jugend aufrief, an den Wiederaufbauarbeiten in Europa teilzunehmen. 1947 fand das erste Lager statt. 1949 wurden als erste aussereuropäische Projekte drei Aufbaulager in Japan abgehalten. Ein Lager leistete Fürsorgearbeit bei der Repatriierung von Leuten aus nach dem Kriege russisch besetzten Gebieten, Ein anderes half beim Wiederaufbau einer durch die Atombombe zerstörten Schule in Nagasaki. Im letzten Jahr nahmen über 1000 Jugendliche aus über 60 Nationen an 45 vom Oekumenischen Rat der Kirchen organisierten Aufbaulagern in aller Welt teil. Das sind noch nicht alle ökumenische Aufbaulager. Daneben gibt es Lager, die unabhängig vom Oekumenischen Rat der Kirchen von lokalen oder nationalen Jugendbewegungen durchgeführt werden, und an denen ebenfalls Hunderte von jungen Menschen teilnehmen.
Unmittelbar nach dem Kriege waren die Aufbaulager zunächst hauptsächlich mit Wiederaufbau- und Hilfsarbeiten beschäftigt. Bald erweiterte sich ihr Wirkungsfeld sehr und umfasste viele Arten geistiger und materieller Not. Ähnlich wie in der Nachkriegszeit in Europa ging es auch nach der Flutkatastrophe in Holland (53), den Erdbeben in Griechenland (54) und Chile und den Ereignissen in Korea um Notstandsarbeiten. Überall waren die Lagerteilnehmer bereit zu helfen und die Not zu lindern. Ausserdem konnte auch untern schwierigen Verhältnissen lebenden Minderheitskirchen und -gemeinden geholfen und der Dienst der Kirche in entkirchlichten Gemeinden neu belebt und gestärkt werden. Die Aufbaulager haben Schulen und Tagungsheime für die kirchliche Jugend gebaut und den Kirchen in der Missions- und Sozialarbeit geholfen. In einigen Ländern entdeckten die Lagerteilnehmer noch heute die gleiche Notwendigkeit und Möglichkeit, Menschen verschiedener Nationalitäten miteinander zu versöhnen, wie unmittelbar nach den beiden Weltkriegen.
Während der ersten zehn Jahre ihres Bestehens haben die ökumenischen Aufbaulager einen bedeutenden Platz in der Jugendarbeit, im Leben der Kirchen und in der Ökumene errungen. Es gibt noch viele Länder, die diese Art des ökumenischen Dienstes und der ökumenischen Begegnung brauchen. In Ländern, in denen soziale Not und Spannungen verschiedener Art herrschen, und in den vielen Arbeitsbereichen der Kirchen könnten Ökumenische Arbeitslager noch mancher Not abhelfen.
Die Begeisterung der christlichen Jugend für diese praktische ökumenische Arbeit und ihr Wille, anderen Menschen freiwillig im Namen Jesu Christi zu helfen, wird in der ganzen Welt immer stärker.
Nun möchte ich etwas näher auf die ökumenischen Aufbanlager eingehen.
Ein ökumenisches Aufbaulager ist eine Gemeinschaft junger Manschen verschiedener Rassen, Völker und Kirchen, die sich freiwillig dazu entschlossen haben, in einer christlichen Atmosphäre zusammenzuleben, um sich dort als einfache, ungelernte Arbeiter an einem Bauvorhaben zu betätigen, das von christlichem Interesse ist. Manche Lagerteilnehmer sehen in dieser Arbeit die Möglichkeit, von ihrem christlichen Glauben Zeugnis abzulegen. Andere dagegen kommen, weil sie noch ernsthaft nach einem Glauben suchen, auf dem sie ihr Leben bauen können. Es geht im Lager nicht darum, die sogenannte kirchliche Jugend von der nichtkirchlichen zu trennen, sondern man will die jungen Menschen in die Anforderungen eines lebendigen Glaubens an die Herrschaft Jesu Christi und die Folgen, die ein solcher Glaube mit sich bringt, hineinstellen. Das ökumenische Aufbaulager ist eine kleine christliche Gemeinschaft, die durch ihr Leben und ihre Arbeit das Tun und Wirken der Christen in der Welt zeigen will.
Man könnte sagen, dass ökumenische Aufbaulager eine Technik christlicher Jugendarbeit ist. Seine Aufgabe ist es, christliche Jugend auf neue and andere Gedanken zu bringen, ihnen neue Wege und die Erfahrungen der Arbeit der Kirchen in der Welt zu zeigen, ihnen zu helfen, zu ihrer eigenen Jugendgruppen zurückzukehren und dann auch ihre Erfahrungen in der eignen Familie und Heimatkirche anzuwenden. Aufbaulager sollen nicht die Aufmerksamkeit der Jugend auf Dinge ausserhalb der Kirche lenken, sondern sollen ihr Interesse zu neuer Teilnahme am Leben der Kirche wecken.
Das Wort Lager bedeutet für eine gewisse Zeit gemeinsames Leben, Lernen and Frohsinn. Die Hinzufügung des Wortes Aufbau will sagen,, dass die Lagerteilnehmer mit einem bestimmten Ziel kommen, nämlich um eine einfache, harte, ermüdene Aufbauarbeit zu tun. Diese Arbeit tun sie ohne Bezahlung, im Gegenteil sie kommen auch im allgemeinen für die Kosten der Reise und des Aufenthaltes auf. Das gemeinsame Ziel fördert sowohl das Verständnis für den anderen, als auch für die Umgebung, in der man arbeitet. Das dritte Wort schliesslich wird die Beschreibung vervollständigen. Ökumenisch, das heisst, die ganze Kirche der ganzen Welt steht in Beziehung zum ganzen Leben. Die Lageratmosphäre soll so sein, da: die Herrschaft Jesu Christi in jeder Einzelheit des Lagerlebens sichtbar wird. Ökumenische Aufbaulager unterscheiden sich von anderen Lagern dadurch, dass sich die Anliegen der ökumenischen Bewegung im Lagerleben wiederspiegeln. Die Teilnahme an einem solchen Lager ist eine Art ökumenischen Erlebens und ökumenischer Schulung.
Wir glauben, dass ein ökumenisches Aufbaulager Ausdruck und direkte Folge unseres Glaubens an Jesus Christus ist. Unser Gehorsam zu Jesus Christus zeigt sich in unserer gemeinsamen Arbeiten un Beten, das uns zu einer tiefen, echten Bruderschaft führt.
Berlintagung 1961/62
Programm
Mittwoch, den 27.12.1961
bis 19 Uhr Anreise ins Nachbarschaftsheim Hildesheim,
Übernachtung im „Haus der Jugend“, Steingrube
20 Uhr : Kennenlerneh-Einzelberichte über Neu Delhi (Anita), Israel (Enno)
Andacht (Horst)
Donnerstag, den 28.12.1961
Andacht (Peter)
Vorm.: „Weltbild des Marxismus-Leninismus“ (Herr Panthen) mit Aussprache
Nachm.: Bibelarbeit
Abends frei für Besuche und Gespräche Andacht (Walter)
Freitag, den 29.12.1961
Andacht (Heide-Marie)
Vorm.: „Praxis des Kommunismus“ (Herr Panthen) mit Film
Mittags: Abfahrt mit Bus nach Berlin
Abends: Gespräche in Interessengruppen z.B. „Pazifismus“,“Gehorsam und Widerstand“, „Christ und Staat“, „Christsein in der Gesellschaft“
Andacht (Olive)
Sonnabend, den 30.12.1961
Andacht (Mikee)
Vormittags: Stadtrundfahrt
Nachm.: „Berlinpolitik seit 1944“ (Viermächteabkommen usw.)
Abends: Besuch des Films „Frage 7“ oder Besuch der Oper
Sonntag, den 31.12.1961
Vorm.: Gottesdienst i.Westen mit anschl. Gespräch mit Junger Gemeinde.
Nachm.: „Kirche in der D.D.R., S.U. und in den Volksdemokratien“ (Bob Starbuck)
Abends: Bibelarbeit und Fürbittenandacht (Enno, Hans u. Árpád)
Montag, den 01.01.1962 (Neujahr)
Vorm.: Gottesdienst in Ost-Berlin,
Nachm.: frei für Stadtbesichtigung
Dienstag, den 02.01.1962
Vorm.: Empfang beim Senat in Westberlin
Nachm.: Abfahrt nach Hildesheim
Abends: Ankunft und Abschiedsabend (mit Lichtbildern von den beiden Camps)
Mittwoch, den 03.01.1962
Andacht (Anthea)
Heimreise
Miekee Kijne, Holland
Jean Bidias Amang, Frankreich
Horst Germer, Deutschland
Peter Graham, England
Anita Diehl, † 18.06.2017 , Schweden
Monika Diehl, Schweden
Anne van Veeren, Holland
Hans Berger, Deutschland
Walter Eidenbenz , Schweiz
Veronika Thurneysen, Schweiz
Heide-Marie Reuter, Deutschland
Enno Smidt, Deutschland
Olive Lowett, England
Árpád Gridi-Papp, zur Zeit Deutschland
Günter Weise, Deutschland
Erna Hillbrink, Deutschland
Anthea Edenbrow, England
Herr Panthen, Deutschland
Eva Gossel, Deutschland
Lisette Heinrich, Deutschland
Brunhilde Heinrich, Deutschland
Christian Heinrich †, Deutschland
Christoph Gäbler, Deutschland
Michael Gäbler, Deutschland
Elka Laferl, Österreich
Annegret Reuter, Deutschland
Elisabeth Rebstein, Frankreich
Nachbarschaftsheim „Am Pferdeanger“ in Hildesheim
Besonderer Dank gebührt Christian und Brunhilde Heinrich, die für das Nachbarschaftsheim am Pferdeanger verantwortlich waren. Der Diakon Christian Heinrich (†1997) und seine Ehefrau, die Krankenschwester Brunhilde Heinrich, übernahmen 1958 das Nachbarschaftsheim in Hildesheim. Das hört sich harmlos an, doch wenn man erfährt, dass dieses Haus mitten in der Obdachlosensiedlung „Am Pferdeanger“ und dem daneben liegenden Lagerplatz für Sinti gebaut werden sollte, dann kann man sich vielleicht vorstellen, was alles auf die beiden zukam. Beide waren damals 33 und 27 Jahre alt, waren arglos und ahnten nicht, welch haarsträubende Geschichten sie erleben würden. Brunhilde Heinrich erinnert sich an diese Jahre von 1958 bis 1966, in denen sie wahrlich eine Menge Not und Elend erlebten und an der Aufgabe manchmal zu verzeifeln drohten. Doch der unerschütterliche Glaube an die Kraft Gottes gab ihnen immer wieder die Stärke, nicht selbst daran zu verzweifeln. Aber die Zeit lässt bekanntlich alle traurigen Erlebnisse verblassen, und so steht in dem Buch von Brunhilde der Humor im Vordergrund.
Es folgen ein kurzer Bericht über die Arbeit sowie vier Buchauszüge. Die beiden Illustrationen stammen von Horst Meyer.
Am Pferdeanger in Hildesheim
Von Brunhilde und Christian Heinrich, November 1983
„Rückblick nach 15 Jahren“ Das ist für uns fast wie ein Klang aus längst vergangenen Zeiten. Ein Viertel Jahrhundert, als wir zum erstenmal da standen am Tage der Einweihung. Ein Gebäude war vorhanden als „Nachbarschaftsheim“. Und das ist ja auch das Programm. Nachbar sein den Menschen im Obdachlosenviertel der Stadt Hildesheim. Gute Nachbarn erwähnt Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus bei der Vaterunser-Bitte: Unser Tägliches Brot gib uns heute. Klang aus vergangenen Tagen. Eine Glocke bekamen wir geschenkt aus dem Mühlenberglager in Hannover, wo sie nicht mehr gebraucht wurde. Das Lager war aufgelöst und nur gelgentlieh läutete aus Spaß jemand und ohne Sinn. Bei uns konnte damals ein Glockenturm errichtet werden aus Stahlbeton. Gelegentlich schlug auch hier jemand – zumeist nach mitternächtlicher Stunde an, wenn er angeheitert nach Hause ging. Das Zuhause der Menschen am Pferdeanger waren ja die Baracken, leider nicht durch die Bomben zerstört wie der schönere Teil der Stadt Hildesheim. Die Vergangenheit als Quartiere für Zwangsarbeiter hatten sie überstanden, nun dienten sie Bürgern als Notunterkünfte. Allerdings fühlten sich die dort lebenden Menschen zumeist als Bürger zweiter oder dritter Klasse. Etliche hatten überhaupt kein sehr festes Dach über dem Kopf. Noch waren Wohnwagen, alte Lastkraftwagonaufbauten oder schlichte Bretterbuden die einzige Bleibe, so einfach auf dem freien Feld hinter den Baracken. Die sanitären Verhältnisse waren entsprechend primitiv. Und das sollte nach Jahre so währen. Für je zwei Baracken mit etwa 30 Familien waren nur zwei oder drei Wasserzapfstellen da, im Winter oft zugefroren und vereist.
Es wurde nur etwas getan, wenn die Seuchengefahr zu groß wurde.
Was lag da näher, als zunächst eine Möglichkeit im Nachbarschaftsheim zu schaffen, damit die Menschen Duschen oder Baden konnten. Das war ja für den Normalbürger Ende der Fünfziger Jahre auch bereits eine Selbstverständlichkeit. So wurde eine Badeeinrichtung im Nachbarschaftsheim installiert und jedes Wochenende war voller Betrieb. Die Einrichtung wurde von den Menschen angenommen, ebenfalls die bald darauf eingerichtete Wäscherei. Da konnte man gegen Entgelt seine Wäsche waschen lassen und später sogar bügeln, wenn man sonst keine Gelegenheit hatte. Natürlich wurden dabei auch hüpfende Flöhe entdeckt oder Läusekappen mußten verabreicht werden, wenn wieder einmal Kinder davon befallen waren.
Es waren ja die Kinder, denen zuerst die Zuwendung gut tat. In Kindergarten und Hort lernten sie kennen, wozu in den eigenen beengten Verhältnissen keine Möglichkeit war, sie durften in Rühe spielen, sie erhielten regelmäßig ihr Essen, für Sie war jemand da, der Zeit hatte. – So war auch gleich eine zwar schrecklich kleine, aber eine Küche vorgesehen. – Ja, die Glocke sehe ich als Symbol für die ganze Konzeption da unten, – wie es tatsächlich nach der abschüssigen Straße gesehen werden konnte – für den Einsatz für Menschen in Not an. Es war die Sorge für das leibliche und für das seelische Wohl von jungen und alten Menschen. Für die Erwachsenen wurden Gemeindeveranstaltungen in den Räumen des Nachbarschaftsheims gehalten, die sie auch zum Teil selbst gestalteten. Überhaupt wurde es ein wesentlicher Punkt für alle, mehr und mehr Selbsthilfe und Selbstverwaltung zu erlernen und zu übernehmen. Später waren für jedes Haus verantwortliche Personen da, die mit dem von der Stadtverwaltung bestellten Hausmeister viele Dinge regelten.
Zu den herausragenden Zeiten gehörten immer die internationalen Lager mit jungen freiwilligen Helfern aus verschiedenen Nationen. – Noch bevor das Nachbarschaftsheim stand, sind von den jungen Leuten die Behelfsheime mit freundlichen Farben angestrichen worden. Später kamen Vorgärten und Jägerzeune dazu sowie ein Spielplatz. Eine Gruppe baute besonders am 2. Kindergartengebäude mit, dem später noch das Holzhaus aus Finnland folgte. So war die Anlage komplett.
Manch junger Mensch aus USA oder Frankreich mag zum Beispiel bleibende Eindrücke aus Deutschland und besonders Hildesheim mitgenommen haben, weil er Am Pferdeanger mitgearbeitet hat und etwas erlebte, wozu er daheim nicht gekommen wäre. – Weil nun in diesem Gebiet sich eine Arbeit entwicklt hatte, die zuversichtlich stimmte, hat die Stadt dann noch zweimal eine Erweiterung vorgenommen durch Bauen von weiteren sogenannte Schlichtwohnungen. Diese waren dann jedoch bereits mit sanitären Anlagen ausgestattet. Dennoch war es für die dort einziehenden Menschen nicht leicht, ihre neue Anschrift mit „Am Pferdeanger“ anzugeben. Es bedeutete ein sozialer Abstieg, der Lebenshilfe brauchte, um bewältigt zu werden. Nicht nur deshalb wurden auch im Nachbarschaftsheim gottesdienstliche Veranstaltungen angeboten wie in einer „richtigen“ Gemeinde. Da war ökumenisches Zusammenleben und Zusammenarbeiten schon sehr gründlich. Gottesdienste und Kindergottesdienste wurden regelmäßig gehalten, Taufen, Trauungen und gemeinsame Feiern waren im Nachbarschaftsheim üblich. So war vielfältiges Leben da in dem Viertel, das auch oft genug Notärzte, Feuerwehr und Überfallkommando nötig hatte. – Es ging fast alles über das einzige Telefon im Nachbarschaftsheim. – Doch war es zu Zeiten auch relativ ruhig im ganzen Viertel, wenn nämlich die Kinder zur Kur waren. Busse oder Sonderzugwagen brachten Kinder und Betreuer, einmal nach Ahlhorn, in die südolderburgische Heide oder auch diverse Male nach Buntenbock in den Oberharz. Das waren Höhepunkte der Erholung für Eltern und Kinder, die Betreuer, Mitarbeiter des Nachbarschaftsheims, hatten allerdings anschließend ihren Urlaub verdient.
Es war eine Zeit beispielhafter Sozialarbeit an Menschen, die nicht auf dar Sonnenseite des Lebens waren – von solchen gab es über eine halbe Million in Deutschland allein – zu einer Zeit, als bereits vom Wohlstand geredet wurde. Tagungen und Konferenzen, auch international besucht, waren mit im Programm dieser Einrichtung, die vor 25 Jahren vornehmlich auf Initiative von Einzelpersonen entstand: Frau Ilse Rothe ist wohl vor allen zu nennen, danach Pastor Wagner, Journalisten wie Vertrauensfrauen von St. Michael, Freunde aus allen Parteien und den Kirchen halfen wie auch von Seiten der Hildesheim Stadtverwaltung und der engagierten Männer wie der Stadtkämmerer Senne, um nur einen zu nennen, die Ideen und auch das benötigte Geld kam.
Wir konnten die Arbeit dort 1959 aufnehmen und bis 1966 mit viel Unterstützung aber auch gegen mancherlei Widerstände tun.
Gäste aus aller Welt
Der Anger war ein reiches Betätigungsfeld für junge Leute, die motiviert jede Arbeit angingen. In den sechziger Jahren war es möglich, internationale Jugendaufbaulager dazu heranzuholen, wenn man eine interessante Arbeit bieten konnte. Das war bei uns alles gegeben: jede Menge Arbeit, Aufbau und ein interessantes Umfeld ebenfalls.
Christian stellte also bei der entsprechenden Organisation unser Projekt vor und binnen kurzem hatten sich 18 Interessenten gemeldet. Sie kamen aus Frankreich, Holland, England, Deutschland, der Schweiz, Amerika, Griechenland und Mosambik. Es war eine recht gemischte Gruppe aus Studenten, die einen Teil ihrer Semesterferien für eine soziale Sache einsetzten. Niemand kannte sich vorher und wir wussten auch nicht, wer da wohl kommen würde.
Erster Schritt in der Vorbereitung war die Quartierbeschaffung. Zum Glück hatten wir mit unserer Angerarbeit bereits eine gute Lobby in der Stadt, besonders in den Kirchengemeinden, so, dass ziemlich bald genügend Unterkünfte zur Verfügung standen. Als dann am Ankunftstag alle etabliert waren, trafen wir uns zu einem ersten Abend des Kennenlernens. Als Umgangssprache wählten wir Englisch, das jeder mehr oder weniger gut konnte.
Plötzlich entdeckten wir in der international gemischten Runde Eneas aus Mosambik mit seinem Reisebündel zwischen den Knien, obwohl wir ihn doch eben erst bei seiner Gastfamilie abgesetzt hatten.
„Ich bin ihnen zu schwarz! Die kleine Tochter war sehr erschrocken. Als sie mich sah und ich sie freundlich anlachte, schrie sie, als ob ich sie fressen wollte“, berichtete er. Wir grinsten, denn jeder versuchte sich vorzustellen, was da abgelaufen sein konnte. Wahrscheinlich stand ein kleines Persönchen vor dem baumlangen schwarzen Mann, der eine Riesenhand, außen schwarz und innen hell, zur Begrüßung ausstreckte und dazu mit schneeweißen Zähnen hinter hellen roten Lippen in einem schwarzen Gesicht freundlich lächelte!
Ich war überzeugt, dass er auch noch mit den Augen gerollt hatte, denn das tat er jetzt auch, während er erzählte.
Übrigens war das für die nächsten Wochen sein Markenzeichen: Augenrollen und freundlich die Zähne zeigen!
Aber wohin nun mit Eneas? In unserem Haus war wirklich kein Platz mehr, wenngleich unsere kleine Rasselbande sofort mit ihm schäkerte und ihn sicher gern da behalten hätte.
Ein Anruf beim Superintendenten, der unseren Plänen und der Arbeit am Anger immer sehr aufgeschlossen gegenüberstand, und wir hatten seine Zusage, den jungen Mann am späten Abend abzuholen und ihn für die nächsten Wochen als Schlafgast in seiner Familie zu behalten. Damals war die Akzeptanz farbiger Ausländer noch nicht sehr groß und wir waren allein schon deshalb sehr dankbar, dass uns der Superintendent so spontan unterstützte. Die ganze Familie fand Eneas sehr sympathisch. Er selbst und auch seine Kleidung seien sehr sauber und akkurat. Nur eine Sache sei unverständlich. In seinem Bett seien so verdächtige kleinere und größere Blutspuren. Ob er wohl eine Hautkrankheit habe? „Oh, ja!“, prusteten da Christian und ich gleichzeitig los. „Hautprobleme hat er mit Sicherheit, wenn er ungewollt einen, zwei oder gar drei Flöhe mit in sein Zimmer gebracht hat.“
Fortan verabschiedeten wir uns abends von unseren Helfern mit dem eindringlichen Rat: „Und lasst die Flöhe lieber hier!“
Über die Superintendenten-Flöhe gingen bald die köstlichsten Geschichten in der Gemeinde um. Wir wunderten uns eigentlich, dass die kleinen Blutsauger bei keinem anderen Gastgeber aufgetaucht waren. Aber vermutlich hatten die sich bloß ausgeschwiegen und es beim Spott über ihren Superintendenten belassen.
Mit den Flöhen waren wir ständig konfrontiert. Unsere Freunde flachsten gutmütig aus sicherer Entfernung über unsere Heimsuchung. Wir trugen es mit Fassung, bis einmal ein ganz vorwitziger Floh unseren Kleidern entwischte. Als wir uns an den Frühstückstisch setzten, landete er geradewegs auf der Butter und zappelte hilflos. Butter samt Floh wurden entsorgt, und als sich ein Geschrei mit „Iiii“ und „Igittegitt“ erheben wollte, erklang Christians Stimme autoritär: „In Zukunft essen wir nur noch Margarine! Die mag kein Floh!“
Damit war die Tischordnung wieder hergestellt.
Viel später, allerdings mit Sicherheit in unpassender Runde, dafür aber um so wirkungsvoller, verkündete eines unserer Kinder: „Bei uns kommt nur Margarine auf den Tisch. Die Butter fressen die Flöhe!“ Das war natürlich erklärungsbedürftig, aber dann gab es amüsiertes Gelächter.
In der jungen Truppe waren gute Arbeiter. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, zwischen den Wohnblocks Vorgärten anzulegen. Wagenladungen voll Mutterboden wurden angefahren und verteilt, kleine Anpflanzungen gemacht und Zäune gesetzt. Am Abend zündeten sie mitten drin ein Lagerfeuer an, führten Gespräche mit den Bewohnern, sangen, lachten und redeten. Die arbeitslosen Männer aus den Häusern beteiligten sich tagsüber an der Wühlerei, und ihre Kinder spielten in der Freizeit mit den internationalen Jugendlichen Fußball.
Es herrschte rundherum ein erbauliches Klima. Weitere Besprechungen und Begegnungen spielten sich abends in unserem Wohnzimmer ab. Dabei ließ man zwar rücksichtsvoll seine Schuhe vor der Haustür stehen, aber Gemütlichkeit und Sorglosigkeit waren Eigenschaften, die ausgiebig gepflegt wurden und die mir als Hausfrau so manchen Seufzer abrangen. Bei 18 jungen Menschen und uns dazu herrschte drangvolle Enge im Wohnzimmer und manches Mal gab es Scherben oder Flecke und Krümel auf Teppich und Polstern.
In diesem Sommer ging auch mein sorgsam gesammeltes Geschirr einschließlich Gläsern, teilweise zu Bruch oder wurde stark angeschlagen. Jedenfalls wurde es nicht mit der gleichen Ehrfurcht behandelt, mit der ich es angeschafft hatte. Unser Bedarf wurde danach nur noch billig und zweckmäßig wieder aufgestockt.
Es war eine so bereichernde Zeit mit diesen jungen Menschen, dass sie uns für unser weiteres Leben prägte. Unter vielem anderen bewirkte sie auch, dass wir nie mehr übermäßigen Wert auf eine teure Wohnungseinrichtung legten. Wir hielten unser Haus fortan zum Anfassen, zum darin Leben und zum Beleben mit unseren Gästen offen.
Mit den vielen Kindern hatte es bereits begonnen und mit den jungen Ausländem setzte es sich fort. Später wussten das Freunde aus aller Welt zu schätzen. Sie liebten gerade unseren unkonventionellen Stil.
„Bei den Heinrichs geht alles!“, hörten wir oft. Wir nahmen es als Kompliment.
Übrigens bekam ich in dieser sehr arbeitsintensiven Zeit Hilfe von den Mädchen aus der Gruppe, die nicht bei den schweren Erdarbeiten mitmachten. Wir hatten viel Spaß bei der Hausarbeit für unsere Großfamilie. Die Kinderkrabbelei faszinierte sie geradezu. Das Sprachengewirr kam sogar bei den Kleinen an und sie behielten einige Schlagworte bis zum nächsten Jahr. Außerdem mussten wir Unmengen von Wäsche waschen, Mittagessen kochen, für die geselligen Abende Brötchen und Brote bestreichen und Kuchen backen.
Die tägliche Gemeinschaft mit den ausländischen Helfern brachte die unterschiedlichsten Einblicke in die Lebensart anderer Länder, Sitten und Unsitten wie zum Beispiel Geschmack in der Kleidung oder beim Essen. Ich übte mich mit Christian in Großzügigkeit und Toleranz.
Beides wurde manchmal hart auf die Probe gestellt. Einmal war es bei einem gemeinsamen Opernbesuch tatsächlich um unsere Gelassenheit geschehen. Da hatte doch einer der amerikanischen Jungen ein Transistorradio mit ins Theater geschleust, um ein für ihn wichtiges Baseballspiel in Amerika zu verfolgen. Er hörte es zwar so leise wie möglich ab, aber für die umsitzenden Opernbesucher leider doch noch zu gut wahrnehmbar. Gott sei Dank gab es „Carmen“ und die Musik war meistens laut und temperamentvoll. Bei den leisen Tönen allerdings hörte man deutlich die Beifalls- oder Anfeuerungsrufe der amerikanischen Baseballfans.
Christian und ich durchlitten peinliche Minuten, bis wir den verrückten Johnny in der Pause endlich an die Luft setzen konnten. Das bedeutete aber keineswegs eine Strafe für ihn. Als wir herauskamen, saß er vielmehr vergnügt auf den Treppenstufen vor dem Theater und berichtete seinen Landsleuten begeistert alle Einzelheiten über ein grandioses Spiel. Wir anderen hatten eine ebenso grandiose „Carmen“-Aufführung erlebt. Everybody had a wonderful evening! Indeed!
Quelle: Brunhilde Heinrich, Latschenkuchen nach der Art des Hauses, Hottenstein Buchverlag, 2004, Seite 73 – 78
Aus dem Nähkästchen geplaudert
Unser Haus voller Kinder, war das so viel anders als bei den Angerfamilien?
Wir tauschten manchmal „über den Gartenzaun“ unsere Erfahrungen und Ansichten über Kindererziehung aus. Die Erinnerung an eines dieser Gespräche ruft bei mir noch immer ein Schmunzeln hervor.
Mit verschmitztem Lächeln erzählte mir da ein kinderreicher Vater unter anderem, wie tüchtig seine Frau im Haushalt sei und welch eine gute, fürsorgliche Mutter.
„Aber wissen Sie, Frau Heinrich, über eins kann ich mich gar nicht freuen! Sie ist so gut zu unseren Kindern, dass sie sie einfach nicht bestrafen kann, wenn sie mal was ausgefressen haben. Das nutzen die kleinen Bälger natürlich aus. Prompt ruft dann die Frau nach mir, dem Vater. ‚Schatz‘, sagt sie ganz lieb, ‚du musst mal wieder ein ernstes Wort, mit Ilse, Else, Emil oder Egon reden!‘ – Wissen Sie, das heißt soviel wie, ihnen den Hintern versohlen!“
„Ja, ja!“, sagte ich daraufhin als ebenfalls geplagte, kinderreiche Mutter. „Die lieben Kleinen brauchen das manchmal.“
„Aber“, jammerte da der Vater los, „ich kann meine Kinder nicht schlagen! Das tut mir dann selber so weh, dass ich weinen muss!“
Der arme Mann! Als einzige Aufgabe neben dem Geldverdienen hatte er im großen Haushalt nichts weiter zu tun, als den Familienchef zu spielen und die Kinder abzustrafen, wenn das wieder mal nötig wurde.
„Und, Frau Heinrich, Sie wissen doch, wie das ist mit so vielen Kindern. Jeden Tag steht ein anderes vor Ihnen und soll sich ‚die gerechte Strafe‘ abholen! Nun mache ich das inzwischen aber ganz schlau: hole mir den kleinen Bösewicht in die gute Stube, schließe sie ab, schimpfe laut mit dem ‚armen‘ Kind, damit es meine Frau vor der Tür auch unbedingt hört. Dann lege ich es über mein Knie und noch ein Sofakissen auf seinen Po und flüstere: Du musst jetzt ganz laut schreien, dass Mutter es auch hört! Das klappt immer prima, ich haue tüchtig auf das Kissen ein und dann schicke ich das heulende Kind zur Mutter zurück. Die ist zufrieden, ich bin erleichtert und der oder die Bestrafte ist für eine Weile außer Reichweite.“
Kann man nun bei so einem Bekenntnis ernst bleiben? Ich musste herzhaft lachen. Besonders, als er noch erzählte, dass einmal das Kissen aufgeplatzt sei und, wie bei Frau Holle, die Federn durch die ganze Stube geschwebt seien. Da habe er großen Krach mit seiner ordentlichen Hausfrau bekommen, aber eine Erklärung, wie es dazu gekommen sei, habe er nicht abgegeben.
Meine Heiterkeit verflog jedoch, als der ideenreiche Familienvater nun nach unserer Erziehungsmethode fragte.
„Wie ist das bei Ihnen, muss Ihr Mann auch immer…?“
Nein, der hielte sich da ganz raus, erwiderte ich. Wir, meistens meine Mutter oder ich, drohten mit der Hand oder verteilten auch mal einen Klaps, wenn es erforderlich wäre. Wir hielten aber nichts davon, den Vater zum abendlichen Strafgericht zu verdonnern.
Pädagogisch falsch oder nicht, darüber wollten wir mit niemandem diskutieren. Wer je ein Haus voller Kinder unter einen Hut zu bringen hatte, der weiß, dass Eltern auch Nerven haben, die, wenn sie überstrapaziert werden, einen gewissen Knalleffekt hervorrufen können.
Wichtig für Christian und mich war bei alldem, dass wir uns stets über gewisse Abläufe im Tagesgeschehen einig wurden, dass wir uns ab- oder aussprachen und auch durchaus korrigierten, wenn es nötig schien. Dabei erlebten wir das Wunderbare, dass wir unser Leben bejahten mit Krach und Ärger, mit Aufregung, aber auch mit ganz vielen beglückenden Momenten.
Wenn wir uns die Akzeptanz dieses vielschichtigen Lebens erhalten wollten, mussten wir manchmal zu kleinen Tricks greifen, uns sozusagen selbst eine Lebenshilfe geben.
Davon möchte ich erzählen, weil wir von diesen trickreichen Ideen bis heute mit einem kleinen Lächeln profitieren.
Unser turbulentes, immer aufregendes Leben ließ Freunde, Bekannte und Familie gern zu uns zu Besuch kommen. Alle waren natürlich herzlich willkommen, das Haus war offen und zu jeder Zeit gastlich. Für Unterhaltung sorgten die Kinder oder auch ein beobachtender Blick aus dem Wohnzimmerfenster. Da draußen am Anger quirlte und brodelte es immer. Unser Angeralltag faszinierte jeden. Dabei hatten wir oft wenig oder immer nur kurz Gelegenheit zu einer Plauderei mit unseren Gästen. Das wurde selbstverständlich akzeptiert, denn bei uns war es nie langweilig. Wem das nicht passte, der kam eben nicht wieder, und um den sollte es uns auch nicht Leid tun! Hin und wieder hatten wir aber auch etwas formellere Einladungen auszusprechen.
Die legten wir nach Möglichkeit in die dunklere Jahreszeit und gern auf den Abend. Jedes Mal hätte sonst nämlich erst ein Hausputz stattfinden müssen, denn in dem hektischen Haushalt blieb so manches großzügig auf der Strecke. Es wäre also stets ein Kraftakt nötig gewesen, um geladenen Gästen ein annähernd empfangsbereites Haus zu präsentieren. Christian hatte da wieder eine seiner praktischen Ideen. Berechnend und mit Schalk in den Augen sagte er: „Wir sitzen bei Kerzenschein und Schlummerlicht! Da kann keiner bis in die hintersten Ecken schauen.“
Noch einen anderen Trick für unser persönliches Wohlbefinden und Regenerieren wandten wir bald mit viel Ausdauer an. Gesagt, getan, und das mit vollem Erfolg! Es sei immer so urgemütlich und interessant bei uns, versicherten die Besucher jedes Mal. Na bitte, hatte da vielleicht jemand bis in die Kramecken geschaut? Über unaufgeräumte Spielsachen breiteten wir dekorativ Decken oder Tücher. Bis heute erspart uns das Stress und Hetze, vermittelt aber umso mehr uneingeschränkte Freude auf den zu erwartenden Besuch.
Quelle: Brunhilde Heinrich, Latschenkuchen nach der Art des Hauses, Hottenstein Buchverlag, 2004, Seite 78 – 81
So lustig ist das Zigeunerleben gar nicht
Da gab es zunächst einen ganz profanen Einstieg. Der stank geradezu gen Himmel.
Heute, im dritten Jahrtausend, kann sich wohl kaum jemand vorstellen, dass einmal etwa 200 Menschen (in unserem Fall Sintis) auf einem eng begrenzten Terrain zusammenlebten und keinerlei Müllabfuhr hatten. Dabei lag die nächste ordnungsgemäß versorgte Wohnsiedlung (der Anger) nur etwa 500 Meter entfernt.
Heute kann ich getrost darüber berichten, denn der Gestank von damals gehört nun schon Jahrzehnte der Vergangenheit an. Die Lebensumstände gerade der Sinti haben sich grundlegend verändert und verbessert. Ihre Integration in unsere Gesellschaft ist mehr oder weniger gelungen, jedenfalls in unserer Stadt.
Ich bin sehr glücklich und auch stolz, dass unsere damalige Pionierarbeit die Vorbereitung für ein menschenwürdigeres Leben unserer Sintifreunde war.
Wie schon am Anger, bedienten wir uns auch hier recht drastischer Mittel, um einige Reformideen zu verwirklichen.
Mit Schaudern erinnere ich mich der wachsenden Müllberge am Rande des Sintiplatzes. Auf Anträge und Eingaben bei der Stadt, hier Abhilfe zu schaffen, erfolgte lange Zeit nichts. Dann wurden schließlich offene Müllbehälter angeliefert, aber nie abgefahren.
Das sollte es gewesen sein? Nach einer Krisensitzung mit dem Sinti-Ältesten in unserem Kirchenwagen war es dann beschlossene Sache: Wir fahren den Müll selber ab! Aber wohin bitte? Na, geradeswegs auf den Marktplatz vor das Verwaltungsgebäude unserer Stadt!
Verschwörerisch beschloss man, die vollen, stinkenden Eimer in den großen Autos, den Opel-Kapitänen oder Admiralen, zu transportieren. Fast alle hatten ein Sonnendach, da würde sicher so manches Stück Abfall durch den Fahrtwind herausgeweht werden. Das lautstarke Hupkonzert sollte die Aufmerksamkeit der friedlichen Fußgänger erregen. Selbst die von Christian erwähnte eventuelle Einbeziehung von Zeitungsreportem wurde akzeptiert. Sonst war man eher medienscheu.
„Was der Heinrich sagt und tut, schadet uns nicht. Er ist seit dreißig Jahren unser Freund!“ So oder ähnlich waren die Kommentare.
Nun, „der Heinrich“ bemühte sich zumindest ihnen nicht zu schaden, wohl aber zu helfen, wo es möglich war. Im übrigen kannten sie sich erst ganze drei Jahre!
Oft verstanden wir die Sinti nicht richtig und reagierten leider auch mal falsch. Aber sie erkannten unser ehrliches Bemühen und Bedauern an, wenn etwas nicht gelang. Die Behauptung mit der dreißigjährigen Freundschaft machte eben das Liebenswerte dieses Volkes aus. Für sie zählte nur die Gegenwart, traurig oder fröhlich, beides wog doppelt oder dreifach, in Christians Fall sogar zehnfach.
Er behielt bei der stinkenden Aktion, Gott sei Dank, einen klaren Kopf. So wütend er auch war, teilte er der Verwaltung das drastische Vorhaben der Platzbewohner mit, emsthaft hoffend, dass auch ohne diese letzte Konsequenz eine akzeptable Regelung für den Sintiplatz getroffen werden könnte.
Murrend erklärten sich die aufgebrachten Sinti-Freunde damit einverstanden, noch ein letztes Ultimatum zu stellen und das sah so aus: Etwa dreißig mit Müll vollgepackte Autos mit grimmig dreinblickenden Fahrern daneben. Schade, dass der Gestank nicht mit ins Bild kam, denn Christian fotografierte alles mit unverhohlenem Vergnügen und legte das Bildmaterial direkt auf die Schreibtische der Ratsherren.
Es kam dann nicht zum Äußersten, denn man hatte die wilde Entschlossenheit der Platzbewohner, unterstützt von „dem Heinrich“, erkannt und wusste, dass es nicht bei einer Drohung bleiben würde. Der Kampfgeist der Leute war nicht zu übersehen! Außerdem war im Rathaus unser guter Draht zur Presse durchaus gefürchtet. Das reichte!
Nun endlich wurde das leidige Problem zu aller Zufriedenheit gelöst. Die Bewohner des Platzes mussten sich zwar erst an ihre neue Ordnung gewöhnen, aber sie setzten ihren ganzen Ehrgeiz darein, mit der nun regelmäßigen Müllabfuhr ordentlich umzugehen.
Der Platz bot endlich ein sauberes und akkurates Bild, und wir waren immer willkommen, wenn wir ihn Gästen zeigen wollten.
Wie sehr die Sinti Christians Entscheidungen vertrauten, lässt sich am besten mit der Aussage: „Herr Heinrich ist unser Papst!“ verdeutlichen. Natürlich wollte der so geehrte das nicht unwidersprochen hinnehmen und wies daraufhin, dass es nur einen Papst gäbe und der habe seinen Sitz in Rom. Von dort aus stehe er der großen Gemeinschaft der Katholiken vor.
„Das mag schon alles stimmen“, erhielt er zur Antwort, „aber Rom ist so weit weg, und der Papst dort kennt uns doch gar nicht und redet auch nicht mit uns! Auf dem Platz sagen alle: ,Herr Heinrich ist unser Pastor und Papst. Er redet mit uns und hört sich alle unsere Sorgen an!‘“
Christian beließ es schließlich dabei und erzählte mir später halb belustigt, halb gerührt von seiner „Beförderung“. Launig setzte er noch hinzu: „Dann sagt man alle ab sofort ‚Sie‘ zu mir!“
Womit er nicht gerechnet hatte war, dass die Kinder den letzten Satz aufgeschnappt hatten und die Sache mit dem „Sie“ auch gleich begeistert anwandten. Da das natürlich vor fremden Zuhörern besonders lustig war, bedurfte es mal wieder so mancher Erklärung.
Quelle: Brunhilde Heinrich, Latschenkuchen nach der Art des Hauses, Hottenstein Buchverlag, 2004, Seite 83 – 85
Eine Schule für die Sinti
Zu gern wäre eine der Aufbaugruppen, die nun in jedem Jahr zu uns kamen, auch bei den Sinti tätig geworden, aber dann hätten wir am Anger nicht so viel schaffen können. Dafür erlebten wir einen schönen Abend voller Zigeunerromantik auf dem Platz mit Diskussionen aber auch mit zündender Musik.
Besonders für die Amerikaner tat sich da eine ganz unbekannte Welt auf. Sie wollten das Volk der Sinti und Roma am liebsten an einem Abend total kennen und verstehen lernen. Dazu brauchte es jedoch viel mehr Zeit, einfühlsames Verständnis und Geduld.
Und was die umwälzende Arbeit auf dem Sintiplatz betraf, waren Christian und ich uns außerdem einig, dass die Stadtverwaltung für räumliche und bauliche Maßnahmen zuständig sei. Was sonst noch zu einem menschenwürdigen Zigeunerleben nötig und wichtig war, darüber wollten wir gem auch weiter wachen.
Mit der Konzentrationsfähigkeit und dem Durchhaltevermögen der Kleinen, die einmal Schulkinder werden sollten, hatten wir inzwischen Erfahrungen gesammelt. Da tat der Kirchenwagen gute Dienste, um zu üben und auszuprobieren.
Diese Erfahrungen flössen mit in die Anträge ein, die wir samt Kostenvoranschlägen wieder einmal auf die Schreibtische in der Verwaltung legten. Diesmal ging es um einen Unterrichtsbau, ein Schulgebäude für die Sintikinder.
Wir bekamen, was wir wollten. Nicht etwa, weil wir bei der Stadt einen „Stein im Brett“ hatten, sondern weil man fürchtete, dass wir unserer Meinung nach ungerechtfertigte Ablehnungen an die große Glocke hängen würden. Also genehmigte die Verwaltung einen einräumigen Pavillon unter der Voraussetzung, dass die Innere Mission für das Personal, das Unterrichtsmaterial sowie für die Einrichtung sorgen würde. Und ob die Mission das tun würde! Diesen Punkt hatten wir natürlich längst vorab geklärt!
Aber nun kam noch ein ernstes Problem auf!
Es sollte zwar eine Vorschule geben, die Stadt brüstete sich bereits mit dieser Neuerung, aber was, wenn die Kinder nun mal mussten? Na, klar! Wir brauchten Toiletten! Aber dann selbstverständlich gleich für den gesamten Platz, forderten wir mal wieder kämpferisch.
Bis jetzt hatte sich die Stadtverwaltung leider immer noch keine Gedanken gemacht, wo und wie die Sintifamilien ihre „Geschäfte“ erledigten. Jetzt war die Zeit reif, man hatte sich Gedanken zu machen! Zähneknirschend wurden auch noch ausreichende Sanitäranlagen bewilligt. Wir frohlockten!
Zur Einweihung beider Gebäude bestellten wir in Absprache mit den Sinti das Fernsehen. „Auf dem Platz“ mussten wir mit der Öffentlichkeitsarbeit viel behutsamer umgehen als am Anger. Alles wurde erst lange gemeinsam diskutiert und abgewogen, bis schließlich verantwortlich entschieden wurde. Die Angerleute dagegen, ließen sich gern alles von dem Heinrich sagen. Sie akzeptierten zwar die Meinungen und Vorschläge der Stadt nicht so ohne Weiteres, ließen aber die Verhandlungen viel zu gern von Christian fuhren. Sie blieben bis zu einer eventuell nötigen Abstimmung außen vor.
Bei den Sinti im Schulpavillon begann zunächst so etwas wie „Flöhe hüten“. Eine mühsame aber zugleich befriedigende Aufgabe. Wir hatten große Achtung vor der Geduld der Mitarbeiterin, die wir vom Anger-Kindergarten für den Schulpavillon der Sinti freigestellt hatten. Sie bekam aber bald Unterstützung von einer Junglehrerin, und die beiden leisteten vorzügliche Arbeit. Die Sintischule wurde zu einer wichtigen Institution, und sollte dem öffentlichen Schulbesuch vorausgehen.
Eigentlich galt für Sinti ebenfalls die Schulpflicht aber niemand hielt sie zurück, wenn die pfiffigen, freiheitsliebenden Schlauberger einfach an der Schule vorbeiliefen.
Das Ziel unseres Projektes sollte nun, nach ein bis zwei Jahren gesondertem Unterricht am gesonderten Platz, die Integration der Kinder in die öffentlichen Schulen sein.
Der Schulpavillon auf dem Platz war natürlich eine Attraktion, und die Sintieltern waren hoch erfreut, dass ihre Kinder ganz in ihrer Nähe beschult wurden. Sozusagen unter ihrer Aufsicht! Sie durften nämlich jederzeit durch die Fenster zuschauen und beobachten, was die junge Lehrerin und die Erzieherin da mit ihren Kindern „anstellten“. Anfangs ließen sich die Kinder davon ablenken, aber bald hatten sie soviel Spaß am Unterricht, dass sie die Gesichter draußen an den Scheiben vergaßen.
Mit der Zeit verloren auch die neugierigsten Zuschauer das Interesse, und es stellte sich drinnen wie draußen ein normaler Rhythmus ein.
Dennoch blieb es ein außergewöhnlicher Schulbetrieb und eine ständige Herausforderung für unsere jungen Lehrerinnen. Erfreulicherweise entwickelte sich ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Eltern; so gut, dass die Schule eine Art Auffangstelle für Hund, Katze und Kleinkinder wurde, wenn die Familie mal eine kurze Handelstour ohne ihren Kleinkind-Anhang unternehmen wollte. Dann wusste sie ihr Krabbelvolk in „ihrer“ Schule für ein paar Stunden gut und sicher aufgehoben. Gelassen nahmen unsere Damen diesen ungewöhnlichen Vertrauensbeweis der Sinti hin. Nur die Aufsicht über Lotti lehnten sie ab. Wenn die Sinti mit ihren Wagen losfuhren, fühlte sich die Meckerziege so einsam, dass sie die Nähe der Schule suchte und ausdauernd und laut meckernd das Schulhaus umkreiste. Dann aber verwehrten sie ihr den Zutritt. Und daran taten sie gut, denn Lotti umgab ja immer der penetrante Ziegengeruch und sehr reiniich war sie auch nicht, wo sie ging und stand, ließ sie etwas fallen. Sonst hatten sie wenig Not mit ihr.
Wirklich, eine etwas andere Schule!
Der besondere Status brachte es mit sich, dass oft Besucher oder auch offizielle Gäste kamen, die sich informieren wollten. Auch das Gesundheitsamt kam, um zu kontrollieren, ob alles den Hygienevorschriften entsprach. Das entlockte uns dann natürlich ein spöttisches Lächeln. Wie schwer hatten wir uns diese Hygiene erst erkämpfen müssen.
Je nachdem, wie offiziell die Gäste waren, mussten die Meinen, inoffizieil Anwesenden schnell verschwinden. Aber das hatten die Betreuerinnen gut im Griff: Alle nicht schulpflichtigen Kinder samt Hund und Katze wurden durch das Fenster hinausbefordert und in den Sandkasten geschickt, bis die Herrschaften wieder gegangen waren.
Aber nicht jedes Mal klappte eine Visitation reibungslos. Ein vergessenes Babyfläschchen in der Fensterbank oder das Hundekörbchen in der Ecke verrieten die zeitweiligen kleinen Gäste. Schmunzelnd fragte daraufhin einmal eine Besucherin: „Halten Sie auch Babystunden oder Mütterberatung ab, vielleicht mit Hund oder Katze als Babysitter?“
Mutig erwiderte die junge Lehrerin: „Hier läuft eben alles ein bisschen anders! Wenn wir nicht mitlaufen, geht gar nichts mehr. Wir sind stolz darauf, dass man uns die kleinen Kinder und Tiere anvertraut, wenn die Erwachsenen zur Arbeit gehen!“
Quelle: Brunhilde Heinrich, Latschenkuchen nach der Art des Hauses, Hottenstein Buchverlag, 2004, Seite129 – 133