Sep 142015
 
Nachwort zu dem Buch „Die volkeigene Erfahrung“ von Willibald Jacob

Von Josef Göbel

Die Biographie eines gesellschaftspolitisch-christlich orientierten Menschen wie es Willibald Jacob ist, wird immer eine politische Biographie. Schon in dem ersten Teil: „Vom Rande die Mitte suchen“ ist mehr als nur der persönliche Lebenslauf nachgezeichnet. Noch deutlicher ist das in diesem zweiten Teil. Der Titel kündigt das ausdrücklich an. Der Autor will sich gar nicht mehr nur auf die persönliche Erfahrung verlassen, sondern eine volkseigene Erfahrung bewusst machen und nicht verloren gehen lassen.  Diese Erfahrung ist nicht so einfach festzumachen wie die leicht manipulierbare vox populi. Darum geht es Dr. Jakob in vielen Facetten.

Die Lektüre regt mich an, einen von ihm hier mehrfach angerührten Bereich unter diesem Blickwinkel etwas näher zu betrachten: den des Eigentums. Aktuell wird die Frage nach dem Eigentum wieder von vielen Bewegungen aufgegriffen, u.a. von Kairos Europa oder den vielschichtigen Aktivitäten für eine solidarische Ökonomie. Mein Hintergrund ist der im katholischen Raum vor mehr als 40 Jahren entstandene Aktionkreis Halle, der sofort nach 1989 von der Ideologiekritik auf die Wirtschaftskritik umgestiegen ist, weil eine Diktatur der Wirtschaft nicht weniger gefährlich ist als eine politische. In diesem Zusammenhang wurden vorhandene Überlegungen zum Umgang mit dem Eigentum übernommen und weiter entwickelt.

Persönliche Erfahrung im Umgang mit Eigentum ist bestimmt vom Besitz oder Nichtbesitz. Dabei ist sie durchaus zwiespältig: Der Besitzende vermag auch die Nachteile seiner Situation zu erkennen und wenigstens theoretisch die Freiheit davon zu neiden; angefangen von geistigem Eigentum, das einen auch befangen sein lässt bis zu materiellem, dessen Vermehrung und Verwaltung einem Sorgen bereitet. Nur wenige haben allerdings daraus die Schlussfolgerung der persönlichen Enteignung gezogen, bis heute. Häufiger wird der Nichtbesitzende auf die Nachteile seiner Situation gestoßen und wird aus ganz existentiellen Gründen gezwungen, sein Sinnen und Trachten besonders in einer Zeit der Privatisierungsneurose auf Besitz zu richten.

In jedem Fall bleibt die persönliche Erfahrung abhängig von der eigenen Situation, von der ich mich nur theoretisch abheben kann – sie bleibt  vereinzelt und einseitig je nach „Stand“ bei den Dingen.

Nun gibt es volkseigene Erfahrungen, diffuser Art  (als vox populi) schon immer, die sich in dem Satz bündeln lassen: wenn Allen Alles gehört, gehört es niemandem und man geht entsprechend unverantwortlich  mit den Gütern der Erde und den Früchten der  Arbeit um. Nach dem staatssozialistischen Experiment gibt es  auch experimentelle Erfahrungen. Zunächst scheinen sie  das durch die Zeiten geschleppte Vorurteil zu bestätigen, dass nur Privatbesitz bzw. die Möglichkeit, zu solchem zu kommen, verantwortliches und zielstrebiges Handeln provoziert. Nur so gedeihe gesellschaftliches Leben. Wenn jeder an sich denkt, sei am Ende an alle gedacht. Letztlich wurde dieser Satz  auch im Wortsinn „sanktioniert“ von den Volksreligionen, etwa in der evangelischen und katholischen Soziallehre, wenn man da von der Bedeutung des Privatbesitzes für ein sittliches Leben, im persönlichen und gesellschaftlichen, spricht.

Aber warum bleibt der durch die Geschichte sich nagende Zweifel am Privat-(Raub-)Eigentum? Nach Katastrophen ist immer wieder die lawinenartige Wirkung des Privateigentums erlebt und beschrieben worden: dass es zwangsläufig nicht ausgewogen bleibt und alles und alle in die Krise zieht, aus der dann aber die reichlich Besitzenden wiederum den Vorteil für den Neustart haben bis zur nächsten Katastrophe.

Lohnt es sich doch, die volkseigene Erfahrung nach dem Experiment im vergangenen Jahrhundert auch hinsichtlich von Eigentum genauer zu betrachten?

Ein nicht zufälliger, sondern wohl beabsichtigter Konstruktionsfehler in dem sozialistischen Experiment war, dass nicht unterschieden wurde zwischen gesellschaftlichem und Staats-Eigentum. Man verließ sich auf die alte Rolle des Eigentums. Es blieb ein Mittel der Herrschaft über das Volk. Man sprach von vergesellschaftetem Eigentum und praktizierte Staats(partei)-Eigentum, ausgenommen dem genossenschaftlichem Eigentum an Ackerland, wie es der Autor auch beschrieben hat.

Dass sich dann oberflächlich am Ende wieder nur die „Volksweisheit“ bestätigt: „wenn allen alles gehört ….“,  kann nicht wundern. Also suchte man das Heil erneut im Gegenteil: alles privatisieren –  jetzt auch gesteigert bei denen, die nicht auf der staatssozialistischen Seite zu Hause waren. Auf diesem Weg kann nichts aus der Geschichte gelernt werden. Es muss unterschieden werden zwischen gesellschaftlichem- und Staats- und Privat-Eigentum, um voran zu kommen. Bei einer gemeinwohlorientierten Eigentumsverteilung hat Bedeutung, wie hoch der Anteil an wirklich gesellschaftlichen Eigentum ist.

Der Streit um die Rolle des Eigentums sollte nicht beginnen bei der Fage: Enteignung oder Privatisierung, sondern wie unser Streben nach Eigenem zum gesellschaftlichen Nutzen fruchtbar und das Eigene wirklich geschützt wird. Das geflügelte Wort: wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht, ist so massenhaft widerlegt, dass darüber eigentlich nicht mehr gestritten werden muss.

Unter dem Strich sagt die volkseigene Erfahrung nach dem staatssozialistischen Feldversuch , dass es ein Fehler war, wenn „sich Leistung nicht angemessen lohnt“, dass es aber ein Vorteil war, dass man nicht durch leistungslose Einkünfte seinen Besitz übermäßig vermehren konnte – mit allen Folgen der gesellschaftlichen Spaltung und ökologischen Verramschung. In dieser überprüfbaren Erfahrung steckt der Hinweis, was immer, so oder so,  zu einem Zusammenbruch führt: der undifferenzierte Umgang mit Eigentum, das entweder nur dem Sozialen oder nur der Wirtschaft dienen soll – und so jeweils und angeblich dem Wohl aller.

Sollten wir nicht aus den Katastrophen zweier Weltkriege endlich Schlussfolgerungen ziehen, wie es die ersten Parteiprogramme, nicht nur im linken politischen Lager, damals versucht haben, um in eine neue solidarische Gesellschaft aufzubrechen?

Sie postulierten die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik.

So heißt es  z.B. im Ahlener Programm der CDU von 1946 „Das kapitalistische Wirtschaftssystem  ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ …

Noch zwanzig Jahre später unterstreichen die Sozialausschüsse der CDU in der ‚Offenbacher Erklärung‚: „Die Wirtschaftspolitik ist darum keineswegs eine Voraussetzung der Sozialpolitik. Beide sind eine Einheit. … Die Wirtschaftspolitik ist keinesfalls die gestörte, die Sozialpolitik nicht der störende Bereich. … Alle Bereiche müssen sich als Gesellschaftspolitik in dem Bestreben ergänzen, das Gemeinwohl zu fördern.“  Auch die SPD hat noch in den achtziger Jahren in ihrem Nürnberger Programm ähnlich argumentiert.

Warum konnte man diese von einer großen Allgemeinheit getragenen Ziele nicht durchhalten? Weil wirklich gesellschaftliches Eigentum nicht vorgesehen war, blieb die Gesellschaft politisch ohnmächtig, konnte eine Gesellschaftspolitik im Sinn der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht durchgesetzt werden. Sie konnte auch in der staatssozialistischen Welthälfte trotz immer beteuertem Festhalten an diesem Ziel wegen Ineffizienz der Wirtschaft nicht nachhaltig gestaltet werden.

Die volkseigene Erfahrung lehrt, dass Eigentum als die Grundlage für die politische und wirtschaftliche Macht auch um einer funktionierenden Demokratie willen gespalten sein muss in spezifisch gesellschaftliches und spezifisch privates: Was immer und ursprünglich allen gehört: Grund und Boden und die Früchte aus dem Geldverkehr, den es ohne Gesellschaft nicht gibt, muss der Gesellschaft gehören. Was der konkurrierenden Initiative und persönlicher Motivation bedarf, ganz allgemein gesprochen, das Unternehmerische, muss in den verschiedensten Ausgestaltungen privat sein  – als persönliches  oder genossenschaftliches Eigentum oder auch in Form einer Aktiengesellschaft.

Die ersten Schritte zur Überführung von Grund und Boden wie auch des Mehrwertes, der aus dem Geldverkehr entsteht, in gesellschaftliches Eigentum  könnten (auf dem Entschädigungsweg) behutsam gegangen werden. Die Grundlage dazu bietet das Grundgesetzt in den  Art. 14 und Art. 15.

In einem ersten parlamentarischen Schritt würde per Gesetz das Privateigentum an Grund und Boden gegen Entschädigung aufgehoben und von kommunalen, länder- und bundeseigenen Fondsgesellschaften verwaltet, die unter demokratischer Kontrolle die Bodenpacht nach Marktwert festlegen. Die Entschädigung erfolgt hauptsächlich über die Verrechnung des fälligen Pachtzinses. Gebäude, Kapital und Produktionsmittel bliebe Privateigentum. Die gesellschaftliche Einbindung von Geld ließe sich über geregelte Abwertung solchen Geldes, das lediglich aufbewahrt wird, bewerkstelligen.

Für ein solches Vorgehen könnte auch in der Demokratie eine Mehrheit gewonnen werden, die es als sinnvoll anerkennt, dass der Mehrwert, der aus dem Geldverkehr immer entsteht, eine gesamtgesellschaftliche Leistung ist und also auch der Gesellschaft gehört.

Das dem Einzelnen gehörende Geld muss abnehmen, wenn er es nicht anlegt oder ausgibt. Er könnte sein Geld auch sparen, aber er hätte dann eine Aufbewahrungsgebühr zu entrichten, die das jeweilige Geldinstitut als Entgelt für die Sicherung des Aufbewahrten erhebt. 

Das Bankwesen selbst müsste nicht vergesellschaftet werden. Es wäre ein Dienstleistungsunternehmen wie viele andere. Die Kreditvergabe müsste allerdings über eine unabhängige Monetative als 4. demokratische Gewalt erfolgen, weil die Geldsicherung nicht mehr durch Eigentum an Grund und Boden, sondern vom gesamtgesellschaftlichen Leistungsvermögen garantiert wäre.

Natürlich sollte allen, die solche Schritte hoffnungsvoll  angehen, bewusst sein, dass in einer globalisierten Welt die Vergesellschaftung von Grund und Boden sowie die von Geldverkehrgewinnen nur weltweit möglich ist. Wichtig wäre trotzdem im Sinne einer demokratischen Meinungsbildung zu wissen, wohin die Reise gehen soll, und was jetzt schon lokal und partiell, etwa durch Komplementärwährungen oder genossenschaftlichen Grund- und Immobilienbesitz getan werden kann.

(Und die Kirchen könnten in der Verwaltung ihres Eigentums mit gutem Beispiel in dieser Richtung vorangehen: keine kapitalkonforme Veräußerung von Grund und Boden, keine unethische, also nur auf Maximierung gerichtete Geldanlage.) Wenn man sich nicht strukturell um eine gerechtere Welt müht, lohnen sich ethischen Ermahnungen nicht; die bestehende Welt wird bei der derzeitigen Eigentumsstruktur immer ungerechter, und das zwangsläufig.

Die volkseigene Erfahrung nach dem Scheitern des staatssozalistischen Experiments und dem aktuellen Neoliberalismus lautet: Eigentum muss aufgespalten sein. Peter Ruben und Nikolaus Hartmann, Ökonomen in der Akademie der Wissenschaften der DDR, haben Ende der 70iger Jahre schon in dieser Richtung die staatssozialistische Wirtschaftsweise korrigieren wollen. Das war nicht zur Freude der Regierenden. Sie durften daran nicht weiter arbeiten. Es entspricht auch der menschlichen Natur: wir sind nicht nur Egoisten, wie es uns der Kapitalismus einreden möchte, wir sind auch nicht nur Altruisten, zu denen uns der Staatssozialismus erziehen wollte. Wir sind beides. Um beides im Ausgleich zu halten, muss Eigentum gespalten sein. Die negative lawinenartig zerstörerische Wirkung von Eigentum – gleich ob alles staatlich oder alles privat ist – Richtung Übereffizienz oder Ineffizienz  rührt von dem ungeteilten Eigentum.

Die staatssozialistische Doktrin appelliert einseitig an die altruistische Seite und führt zu einer unproduktiven, auch heuchlerischen und überwachten Gesellschaft. Die kapitalistische Fixierung auf den  Egoismus  hat sichtbar systembedingtes Interesse und führt zur Katastrophe, immer abgefedert für die „Super-„tüchtigen“, -reichen, -rücksichtslosen.

„Alles ist gut“, dieses geflügelte Wort, ist eine wirkungslose Beruhigungspille. Nichts ist gut, wenn wir so einseitig uns selbstreflektieren, auf einem Auge, dem linken oder rechten, immer blind bleiben wollen, und so oder so ungespaltenes, nicht am Gemeinwohl orientiertes Eigentum in seiner verhängnisvollen Machtfülle respektieren.


Lic.theol. Josef Göbel wurde 1936 in Schlesien geboren. Er lebte zuerst in Westdeutschland, übersiedelte jedoch nach dem Abitur in die DDR. Hier studierte er Theologie. Den Priesterjob gab der Theologe 1975 auf. Ein Jahr später heiratete er und zog nach Berlin. Seinen Unterhalt verdiente er mit Gelegenheitsjobs. Vor einigen Jahren erregte er als Gründer der Initiative „Christen pro Ethik“ Aufmerksamkeit. Ihm ging es um die Beibehaltung des in Berliner Kirchenkreisen umstrittenen Ethikunterrichts.

Göbels Leben in der DDR war trotz Auseinandersetzungen mit Kirche und Staat „kein verpasstes“. Göbel ist der Meinung, der Unterschied zwischen Ost und West müsse damals gar nicht so groß gewesen sein, er wäre im Westen als Roter und im Osten als Schwarzer eingestuft worden.


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