Jul 262014
 

Notizen aus Bethlehem IV, 21. April 2010

Mit dem Auto auf palästinensischen Landstraßen zu fahren, kann abenteuerlich sein, denn die Täler sind tief und die Berge oft steil. Das gilt umso mehr für unsere Fahrt auf einer noch im Bau befindlichen Straße, die sich am Hang des Abu-Sid-Berges in Artas entlangzieht. Der Ort, eines der ältesten Dörfer des Landes, dehnt sich auf der Nordseite eines wunderschönen, an Quellen reichen Tales aus. Zahlreiche Gewächshäuser und eine dichte Folge von Gemüsefeldern zeugen von der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung des fruchtbaren Bodens. 90 % der arbeitsfähigen Bewohner sind in der Landwirtschaft tätig.

Am 16. Februar 2006 wurde die südliche Seite des Tales, der gesamte Abu-Sid Berg, per Militärbefehl konfisziert. Die Mauer, hier noch im Bau, wird, wenn die israelischen Pläne Wirklichkeit werden, das Tal der Länge nach durchziehen. Artas wird von einem beträchtlichen Teil seines Landes getrennt werden. Die Verordnung besagt, dass auf dem Berg eine israelische Siedlung angelegt werden soll, die bis auf 40 m an die Talsohle heranreichen würde. Der Charakter der Landschaft würde vollständig verändert werden. Die Menschen von Artas würden aufhören, Besitzer ihres Tales zu sein.

Der Dorfrat hat umgehend Widerspruch gegen die militärische Verordnung eingelegt. Die Entscheidung des Gerichts steht noch aus. Die Klage bewirkt vorerst einen Baustopp. Unsere Fahrt gilt der im Bau befindlichen Straße, ein Projekt das vom Landwirtschaftsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstützt wird. Wir durften uns dem Projektmanager des Ministeriums auf seiner Inspektionsfahrt anschließen. Die Straße ist Ausdruck der Entschlossenheit der Dorfbewohner, die Enteignung ihres Landes nicht ohne Widerstand hinzunehmen. Sie wird eine intensivere landwirtschaftliche Nutzung des Berghanges ermöglichen. Bereits jetzt wurden 2000 Bäume gepflanzt. Einige Familien wollen, sobald die Straße fertig ist, Häuser daran bauen.

Die offizielle Projektbesichtigung ist beendet. Wir setzen unseren Weg zu Fuß fort, gemeinsam mit Mohammed Abu-Sway, Sprecher des Kommittees gegen den Bau der Mauer und der Siedlungen. Er ist selber in Artas zu Hause und seine große Familie, zu der einige hundert Dorfbewohner zählen, besitzt etliche Stücken Land in dem Tal, dem wir aufwärts folgen. Baumplantagen – Aprikosen, Oliven, Mandeln und Nüsse – lösen die Gemüsefelder ab, wo eine Bewässerung nicht mehr möglich ist. Wir treffen Munir in seiner Aprikosen-Plantage an. Er ist einer der erfolgreichsten Bauern des Dorfes.

Er ist gerade dabei, den Boden zwischen den Baumreihen mit seinem Esel zu pflügen, um zusätzlich Gemüse anzupflanzen. Das nötige Wasser wird er von der tiefer liegenden Quelle mit seinem Esel heranschleppen. Er braucht dringend jeden Shekel, um die Kosten für den Prozess zu bezahlen, den er um sein Land führt. „Bereits 25.000 Shekel hat er mit Unterstützung der Verwandten dafür aufbringen müssen“, erklärt uns Mohammed im Weitergehen. „Das ist auch der Grund dafür, dass er noch nicht verheiratet ist.“ Sein Land und Erbe ist ihm vorerst wichtiger als die Gründung einer eigenen Familie. 

Nach einer Wendung des Tales taucht vor uns in der Ferne ein Fremdkörper in der Berglandschaft auf. Als wir näher kommen, erkennen wir einen gewaltigen Tunnel, 6 m hoch, 12 m breit, 120 m lang. Wir befinden uns unterhalb des Berges auf dem Efrat liegt, eine umfangreiche israelische Siedlung auf palästinensischem Boden. Die geplante neue Siedlung würde Efrat unmittelbar benachbart sein und ein weiteres Glied in der Kette der Siedlungen bilden, die Bethlehem einzuschließen drohen. Das Gerichtsverfahren, das der Dorfrat angestrengt hat, bewirkt momentan die Einstellung der Baumaßnahmen, zu denen der Tunnel gehört. Doch für wie lange? Experten erklären, dass der Tunnel dazu angelegt sei, Abwässer aus den israelischen Siedlungen in das Artastal zu leiten. Das wäre eine ökologische und für das Dorf zugleich eine ökonomische Katastrophe. 

Für Mohammed und seine Dorfnachbarn ist der Tunnel ein Albtraum. Als die Bauarbeiten 2007 eingeleitet wurden, haben sie ein Zeltlager eingerichtet und ihr Land 18 Tage und Nächte bewacht. Israelische Soldaten mit 60 Jeeps gingen rund herum in Stellung. Am 21. Mai 2007 wurde das Gebiet zum Militärbereich erklärt. Die Soldaten haben die Zeltinsassen buchstäblich über die Absperrung geworfen. Die Bulldozer begannen ihr Werk. Binnen kurzem waren 45 Aprikosenbäume entwurzelt und zu Abfall geworden. Sie gehörten Mohammeds Cousin. Mohammed ist die innere Bewegung immer noch anzumerken. Er gesteht, er habe an diesem Tag geweint – nicht als er verhaftet wurde, nicht als er geschlagen und gefoltert wurde, sondern als er zusehen musste, wie die Bäume starben.

Auf dem Rückweg erklimmen wir das Hochplateau des Berges. Mohammed erklärt lachend, dass er jetzt illegal sei, denn 2007, nach Entlassung aus der Haft, wurde ihm das Betreten des Berges verboten. Er verspricht uns eine Tasse Tee, als wir uns einem einsamen Anwesen auf der Kuppe des Berges nähern. Die Bäuerin, Lefisa, heisst uns willkommen. Sie betreibt ihre kleine Landwirtschaft allein. Gesicht und Hände sind von vielen Jahrzehnten harter Arbeit gezeichnet. Der Sohn ist gerade zugegen. Er ist mit Maurerarbeiten im Hof beschäftigt.

Mohammed erzählt, dass die Mauer ursprünglich Lafisas kleines Anwesen durchqueren sollte. Doch sie weigerte sich tapfer, Haus und Hof zu verlassen. Die Pläne mussten verändert werden. Ein kleiner Triumph. Wenn die Mauer erst einmal steht, kann es sehr wohl sein, dass ihr Anwesen zur militärischen Sicherheitszone erklärt und damit dem Abriss preisgegeben wird? Doch noch will die tatkräftige Greisin kämpfen, und sie ist nicht allein. Sie ist ein Glied in einer Kette des gewaltfreien Widerstandes im Dorf Artas, gemeinsam mit Mohammed, Munir, dem Gemeinderat und vielen anderen.